Familie Dr. Norden 734 – Arztroman. Patricia Vandenberg

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Familie Dr. Norden 734 – Arztroman - Patricia Vandenberg Familie Dr. Norden

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      Von solchen knallharten Geschäften hatte die junge Krankenschwester Johanna Rehwald keine Ahnung. Ihr erschien München wie das Paradies, verlockend schön, aber ebenso unerreichbar dank der Sturheit ihrer Eltern.

      »Hanna, jetzt sei doch nicht so bockig.« Das war die flehende Stimme ihrer Mutter, die an der verschlossenen Tür rüttelte. »Laß uns noch mal darüber reden.«

      »Ich wüßte nicht, was es da noch zu reden gibt«, gab Johanna patzig zurück. »Ich gehe nach München in die Behnisch-Klinik. Aus, basta, Schluß!«

      »Kannst du die Bedenken von Papa nicht verstehen?«

      »Mama, ich bin zwanzig Jahre alt und kein Kind mehr. Wenn ihr glaubt, ich habe Lust, in diesem Nest zu versauern, dann täuscht ihr euch.«

      »Aber Kind, wir haben doch immer nur dein Bestes gewollt.«

      »Woher wollt ihr wissen, was gut für mich ist? Ich weiß es ja selbst nicht mal. In diesem Kaff kann man ja keine Erfahrungen sammeln.« Verbittert trommelte Johanna mit der Faust auf ihre geblümte Tagesdecke ein, und ihre Mutter gab seufzend auf.

      Johanna konnte hören, wie sie die knarrende Holztreppe im Haus langsam hinunterstieg. Kurz darauf klapperten Töpfe in der Küche, Wasser rauschte. Margarethe Rehwald begann, das Abendessen für Mann und Tochter vorzubereiten, während Johanna im Geiste Abschied von dem Zuhause ihrer Kindheit nahm. Seit sie denken konnte, wohnte sie in dem putzigen, kleinen Haus am Rand des Tausend-Seelen-Dorfes mitten auf dem Land, kilometerweit von der nächsten Stadt und noch weiter von München entfernt.

      Hügelige Wiesen und weite Felder umgaben das Dorf, dessen Mitte ein spitzer Kirchturm zierte. Auch das Haus der Familie Rehwald war von einer großen Wiese gesäumt, wilde Rosen schmückten den Garten. Obstbäume gaben dem Bild einen romantischen Anstrich.

      Viele Jahre hatte Johanna ihre

      idyllische Heimat über alles geliebt, doch je älter sie wurde, um so beengter fühlte sie sich zwischen Mutter und Vater und deren einfachen Vorstellungen. Nach Freiheit und Anonymität sehnte sie sich, die sie auch als Krankenschwester in der kleinen Klinik im Nachbarort nicht fand. Deshalb hatte sie nicht lange gefackelt, als sie zufällig in einer überregionalen Tageszeitung, die ein Patient weggeworfen hatte, eine Anzeige der Behnisch-Klinik in München gesehen hatte. Dort wurden erfahrene, freundliche Krankenschwestern für alle möglichen Bereiche gesucht. Noch am selben Abend hatte Johanna ihre Bewerbung mit Foto weggeschickt. Heimlich natürlich, denn ihre Eltern waren der Ansicht, ein junges, unverdorbenes Mädchen hätte in einer verruchten Großstadt wie München nichts verloren. In den schönsten Farben malte sie sich ihre Zukunft aus, weg aus dem Provinzkrankenhaus, hinein in das bunte Leben einer Privatklinik, die sie vom Vorstellungsgespräch kannte, zu dem sie bald darauf gebeten worden war. Ihr Jubel war grenzenlos gewesen, als sie die Zusage für eine der begehrten Stellen bekam.

      Aber als sie ihren Eltern das Schreiben beim Mittagessen vorgelegt hatte, folgte die große Ernüchterung. Seitdem saß Johanna in ihrem Zimmer und schmollte, während Grete ihren schimpfenden Mann zu beruhigen versuchte. Dann war August Rehwald in seinen kleinen Lebensmittelladen zurückgekehrt. Stille breitete sich im Haus aus, die sich jetzt durch Margarethes geschäftiges Treiben in der Küche belebte.

      Das war die Gelegenheit für Johanna. In plötzlicher Entschlossenheit stand sie auf, holte ihre Reisetasche aus dem Schrank und leerte ihre Kindheit mit einem Schwung aufs Bett. Kleine Püppchen, Glasmurmeln, Perlen und allerlei anderer Krimskrams kam zum Vorschein, Relikte einer glücklichen Zeit, die ein für allemal ein Ende gefunden hatte. Nur kurz mußte Johanna schlucken, dann machte sie sich an die Arbeit. Hosen, Pullover und Wäsche kamen in die Reisetasche, ebenso ihr bescheidener Vorrat an Kosmetika. Schuhe, ein paar Bücher, das Notizbuch und der abgeschabte Teddybär, dann war alles verstaut. Mit einem Ruck zog Johanna den Reißverschluß zu, steckte ihre Ersparnisse in die Hosentasche und sah sich ein letztes Mal im Zimmer um, ehe sie leise die Tür öffnete und lauschte.

      »Wo ist denn die Hanna?« Die tiefe Stimme ihres Vaters, der inzwischen aus dem Geschäft gekommen war, klang durch den Flur.

      »Oben in ihrem Zimmer.«

      »Bockt sie noch immer?«

      »Kennst sie doch, deine Tochter«, entgegnete Margarethe lakonisch. »Sie sieht’s halt nicht ein, daß sie dableiben soll.«

      »München ist zu gefährlich. Da laß ich nicht mit mir reden. Dann soll sie halt weiter bocken.« Nachdenklich zerteilte August die Kartoffeln auf seinem Teller, auf die Grete dicke Bratensoße löffelte. Er bemerkte nicht die Augen, die ihn heimlich dabei durch den Türspalt beobachteten, und auch Margarethe nahm ihre Tochter nicht wahr. Erst das leise Klappen der Haustür ließ sie aufhorchen.

      »Was war denn das?« fragte sie und spähte durchs Fenster hinaus in den düsteren, nebligen Abend. Nichts war zu sehen, nur der Wind trieb die Blätter von den Bäumen. »Vielleicht ein Ast, der an der Tür schabt.«

      »Ich hab’ nix gehört.«

      »Dann hab’ ich mich wohl getäuscht.« Schulterzuckend ließ sich Grete auf der Bank neben ihrem Mann nieder und löffelte stumm ihr Abendessen, nachdem sie das Tischgebet gesprochen hatte.

      Johanna wanderte unterdessen die dunkle Straße entlang zur Bushaltestelle. Die Wehmut war verflogen, und sie freute sich auf das Leben, das vor ihr lag. Ein spannendes, aufregendes Leben sollte es sein. Nur weg aus dem langweiligen Dorf.

      Auch Fabian Reischl war an diesem späten Nachmittag zu der Ansicht gelangt, daß sein Leben eine Spur zu ereignislos war. Zumindest sein Geschäftsleben zog sich lähmend in die Länge, ohne daß auch nur ein Kunde den Laden betrat. Hin und wieder blieb ein Passant vor der geschmackvollen Auslage stehen und betrachtete die zart gemusterten Blechdosen mit Veilchenpastillen aus Frankreich, das eingelegte Gemüse aus Italien, die spanischen Oliven und den korsischen Schinken. Dem einen oder anderen lief dabei wohl auch das Wasser im Mund zusammen, das konnte Fabian an den leuchtenden Augen deutlich erkennen. Doch jeder widerstand an diesem Nachmittag der Versuchung. So beschäftigte sich Fabian damit, Warenlisten zu überprüfen, Dosen mit Wachteleiern und anderen Leckereien in die Regale zu räumen und mit dem Staubtuch über die honigfarbenen Holzregale und Kästchen zu wischen. Schließlich war alles getan und frustriert blickte er sich in seinem schönen Laden um. Was war das geschmackvollste Geschäft wert, wenn es keine Beachtung fand? Als sich Fabian schon dazu durchgerungen hatte, den Tag zu beenden und vor der Zeit abzuschließen, erschien wie aus dem Nichts eine Passantin aus der undurchdringlichen Dunkelheit und blieb vor dem beleuchteten Schaufenster stehen. Fabian zögerte einen Augenblick, ehe er zum Angriff überging, um wenigstens noch einen Kunden zu haben.

      Entschlossen riß er die Ladentür auf, das kleine Glöckchen bimmelte aufgeregt.

      »Wollen Sie nicht hereinkommen und sich hier drinnen umsehen? Schauen kostet nichts und ist wärmer.«

      »Gern, vielen Dank.« Charlotte Pattis hob ihre braunen Augen und betrachtete ihr Gegenüber interessiert. »Sind Sie ein Verkäufer?«

      »Mitnichten«, wehrte sich Fabian gekränkt. »Sie sprechen mit dem Inhaber persönlich.«

      »Das trifft sich gut. Mein Name ist Pattis, Charlotte Pattis. Sie haben sicher schon von mir gehört.«

      Fabian, der noch nichts von dem Besuch seines Vaters bei Frau Pattis wußte, riß die Augen weit auf.

      »Ja, natürlich. Wer kennt Sie nicht?«

      »Sehr

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