Gesang der Fledermäuse. Olga Tokarczuk

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Gesang der Fledermäuse - Olga Tokarczuk

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zuckte die Achseln.

      »Ich weiß nicht. Vielleicht Mücke oder Schneeball.«

      Ich sagte nichts, aber das gefiel mir nicht. Das waren keine Namen, die zu diesem Tier gepasst hätten, besonders im Hinblick auf seine persönliche Geschichte. Wir würden uns etwas anderes für sie ausdenken müssen.

      Offiziell verliehene Namen beschneiden massiv die Kreativität. Man kann sie sich nicht merken, denn sie sind losgelöst von der Persönlichkeit und meist sehr banal. Sie haben überhaupt nichts mit der Person zu tun. Dazu kommt, dass jede Generation ihre Moden hat, und plötzlich heißen alle Magdalena, Patrick oder – du lieber Himmel – Janina. Deshalb bin ich bemüht, keine bestehenden Vor- und Nachnamen zu verwenden, sondern eher Bezeichnungen, die einem spontan einfallen, wenn man jemanden zum ersten Mal sieht. Ich bin überzeugt, dass dies der einzig richtige Umgang mit Sprache ist und dass man niemandem abgegriffene Worte überstülpen soll. Matoga zum Beispiel heißt Świerszczyński, so steht es an seiner Tür, und vor dem Nachnamen steht ein »Ś.« Gibt es einen Vornamen mit Ś? Er stellt sich immer mit »Świerszczyński« vor, erwartet aber offenbar nicht, dass sich jemand die Zunge verknotet, um das auszusprechen. Ich glaube, jeder von uns sieht die anderen Menschen auf eine eigene Art, also darf er diesen auch Namen geben, die ihm passend erscheinen. Ich habe ebenso viele Vornamen, wie ich Menschen kenne, die mit mir in irgendeiner Beziehung stehen.

      Świerszczyński habe ich Matoga genannt und ich finde, dass dieser Name ganz gut zu ihm passt.

      Jetzt eben, als ich die Hündin ansah, kam mir prompt ein Menschenname in den Sinn – Marysia. Vielleicht weil sie so ein ausgemergeltes Waisenkind war.

      »Heißt sie nicht zufällig Marysia?«, fragte ich.

      »Kann sein«, antwortete Matoga. »Ja, ich glaube ja. Sie heißt Marysia.«

      In ähnlicher Weise war Bigfoot zu seinem Namen gekommen. Es lag ja ziemlich nahe, wenn man seine Spuren im Schnee sah, da war es einfach sonnenklar. Matoga hatte von ihm immer als »Zottelkopf« gesprochen, dann übernahm er aber automatisch meinen »Bigfoot«. Und das konnte nur heißen, dass ich gut gewählt hatte.

      Leider konnte ich für mich selbst keinen vernünftigen Vornamen aussuchen. Was in den Papieren steht, halte ich für skandalös unpassend und kompromittierend – Janina. Ich glaube, dass ich in Wirklichkeit Emilia heiße oder Joanna. Manchmal glaube ich auch, irgendwie so ähnlich wie Irmtrud. Oder Bożygniewa. Oder Nawoja.

      Matoga hingegen vermeidet es, wo er nur kann, mich beim Vornamen zu nennen. Das bedeutet sicher etwas. Irgendwie schafft er es immer, mich unmittelbar mit »du« anzureden.

      »Wartest du mit mir, bis sie kommen?«, fragte er.

      »Na klar.« Gerne war ich dazu bereit, und mir fiel auf, dass ich mich gescheut hätte, ihn noch extra mit seinem Namen »Matoga« anzusprechen. Wenn man so dicht beieinander wohnt, braucht man keine Namen zu nennen, um sich direkt aneinander zu wenden. Wenn ich bei ihm vorbeigehe und sehe, dass er Unkraut jätet, brauche ich seinen Namen nicht, um ihn anzusprechen. Es ist ein besonderer Grad der Vertrautheit.

      Unsere Siedlung besteht aus wenigen Häusern, die auf einem Hochplateau stehen, weit ab vom Rest der Welt. Ein Hochplateau ist geologisch gesehen ein entfernter Verwandter des Tafelbergs, so etwas wie dessen Vorbote. Vor dem Krieg nannte sich unsere Kolonie »Luftzug«, heute, im Polnischen, ist – nicht ganz offiziell – »Lufcug« daraus geworden, und offiziell gibt es gar keinen Namen. Auf der Karte sieht man bloß den Weg und einige Häuser, keine Buchstaben. Hier weht immer Wind, enorme Luftmassen strömen durch die Berge von Westen nach Osten, von Tschechien zu uns. Im Winter pfeift der Wind gewaltig, er heult in den Kaminen. Und im Sommer streicht er raschelnd durch die Blätter. Still ist es hier nie. Viele Leute können es sich leisten, ein Haus in der Stadt zu haben, als offizielles, als Ganzjahreshaus, und ein zweites – ein irgendwie verspieltes, ein Kinderhaus – auf dem Land. So sehen die Häuser denn auch aus, kindlich. Klein, geduckt, mit steilen Dächern und winzigen Fenstern. Alle sind vor dem Krieg auf die gleiche Art gebaut worden: mit langen ost- und westseitigen Mauern, eine kurze Mauer Richtung Süden und eine zweite, kurze nordseitige Mauer, an der eine Scheune lehnt. Nur das Haus der Schriftstellerin, mit seinen überall angebauten Terrassen und Balkonen, ist etwas exzentrischer.

      Man darf sich nicht über die Leute wundern, die im Winter das Hochplateau verlassen. Von Oktober bis April ist es hart, hier zu wohnen, davon kann ich ein Lied singen. Jedes Jahr fällt hier der große Schnee, und der Wind meißelt mit Akkuratesse seine Verwehungen und Dünen in den Schnee hinein. Die letzten klimatischen Veränderungen haben alles erwärmt, bis auf unser Hochplateau. Hier ist es gerade umgekehrt, im Februar schneit es noch einmal besonders stark, und der Schnee bleibt besonders lange liegen. Die Temperaturen sinken im Winter mehrere Male bis auf minus zwanzig Grad, und bis Ende April ist hier Winter. Der Weg ist schlecht, Frost und Schnee zerstören das, was die Gemeinde mit ihren kümmerlichen Mitteln immer wieder zu reparieren versucht. Bis zum Asphaltweg muss man vier Kilometer auf einem tief zerfurchten Feldweg fahren, und eigentlich gibt es nichts, wofür man sich das antun würde – der Autobus hinunter nach Kudowa fährt morgens ab und kehrt nachmittags zurück. Im Sommer, wenn die wenigen, bleichen Kinder hier Ferien haben, fährt gar kein Bus. Durch die Gegend führt eine Straße, die sich an einem Punkt wie eine Wünschelrute verzweigt und dann unbemerkt in den Vorort des Städtchens verwandelt. Sollte jemand Lust dazu bekommen, so kann er auf dieser Straße weiter nach Wrocław oder Tschechien fahren.

      Aber es gibt auch Menschen, denen das gefällt. Man könnte viele Hypothesen darüber aufstellen, so man Spaß an hypothetischen Ansätzen hat. Psychologie und Soziologie könnten hier auf manche Spur lenken, aber mich lässt so was vollkommen kalt.

      Matoga und ich zum Beispiel, wir bieten dem Winter tapfer die Stirn. Übrigens ist die Wendung »die Stirn bieten« ziemlich blödsinnig, denn wir schieben kämpferisch den Unterkiefer vor, wie die Männer auf der kleinen Brücke im Dorf. Wenn man die provoziert oder anpöbelt, dann sagen sie angriffslustig: »Na, und? Na, und?« In gewissem Sinne provozieren wir auch den Winter, aber der ignoriert uns ebenso wie den Rest der Welt. Die alten Exzentriker. Hippies von Gottes Gnaden.

      Alles hier ist so schön in weiße Winterwatte gekuschelt. Der Winter kürzt die Tage maximal, sodass man, wenn man unbesonnen etwas zu lang in die Nacht hinein zusammensitzt, erst im Dämmer des nächsten Nachmittags erwacht. Was mir, zugegebenermaßen, seit letztem Jahr immer wieder passiert. Der Himmel hängt hier über uns, tief und dunkel, wie ein schmutziger Bildschirm, auf dem sich übermütige Wolken-Kissenschlachten abspielen. Dafür sind unsere Häuser da – um uns vor diesem Himmel zu schützen, der ohne die Häuser unsere Körper bis ins Innerste durchdringen würde, bis in unsere Seele, die einer kleinen Murmel gleicht. Wenn es so etwas wie die Seele überhaupt gibt.

      Ich weiß nicht, was Matoga in diesen dunklen Monaten macht. Wir haben wenig Kontakt zueinander, auch wenn ich – zugegeben – gerne mehr hätte. Wir sehen uns alle paar Tage und wechseln ein paar Worte. Aber wir sind nicht deshalb hierhergezogen, um miteinander Tee zu trinken. Matoga hat sein Haus ein Jahr nach mir gekauft, und es sieht so aus, als hätte er beschlossen, ein neues Leben zu beginnen, wie jeder, dem die Ideen und die Mittel für das alte Leben ausgegangen sind. Angeblich hat er früher im Zirkus gearbeitet, aber ich weiß nicht, ob er dort Buchhalter oder Akrobat war. Lieber wäre mir Akrobat, denn wenn ich ihn humpeln sehe, dann stelle ich mir immer vor, dass vor langer Zeit, in den schönen siebziger Jahren, während einer ganz besonderen Nummer etwas geschehen sein könnte, was bewirkte, dass seine Hand das Trapezholz nicht erreichte, und er von weit oben in die mit Sägespänen bestreute Manege fiel. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr will mir scheinen, dass der Beruf des Buchhalters auch kein schlechter Beruf ist, und die den Buchhaltern eigene Ordnungsliebe weckt meine Bewunderung, Zustimmung und meinen ausnehmenden Respekt. Matogas Ordnungsliebe erkennt man auf seinem kleinen Anwesen

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