Gesang der Fledermäuse. Olga Tokarczuk

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Gesang der Fledermäuse - Olga Tokarczuk

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redete ihr zu, sie solle auch für sich ein Plätzchen zum Schlafen suchen. Schließlich kroch sie unter den Heizkörper und schlief ein. Da ich sie über Nacht nicht allein in der Küche lassen wollte, blieb ich einfach auf dem Sofa liegen.

      Ich schlief unruhig, irgendwie wurde mein Körper ständig von den erlebten Aufregungen überrollt, die immer wieder die gleichen Träume nach sich zogen, von überheizten, berstenden Öfen, von riesigen, unendlichen Heizräumen mit rot glühenden Wänden. In Öfen eingesperrte Flammen verlangten tosend nach Befreiung, um dann schrecklich explodierend auf die Welt überzuspringen und alles einzuäschern. Diese Träume könnten aber auch die Folge eines nächtlichen Fiebers gewesen sein, das oft mit meinem Leiden einhergeht.

      Ich erwachte früh morgens, als es noch dunkel war, mit steifem Hals von der unbequemen Schlafhaltung. Die Hündin stand an meinem Kopfende und sah mich durchdringend an, sie fiepte erbärmlich. Stöhnend stand ich auf, um sie hinauszulassen. Schließlich hatte sie am Vorabend eine große Menge Milch getrunken. Durch die offene Tür drang kalte, feuchte Luft ins Haus. Sie roch nach Erde und Fäulnis – wie ein Grab. Die Hündin sprang hinaus und pinkelte, indem sie ein Hinterbein in die Luft streckte. Das sah komisch aus, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie ein Männchen oder Weibchen sei. Dann sah sie mich traurig an, ich könnte fast sagen, sie blickte mir tief in die Augen – und rannte schnurstracks zum Haus von Bigfoot.

      So kehrte sie in ihr Gefängnis zurück.

      Sie war verschwunden. Ich rief nach ihr, ich ärgerte mich, dass ich mich so leicht hinters Licht hatte führen lassen, und ich war ratlos angesichts der Mechanismen der Gefangenschaft. Schon wollte ich mir die Schuhe anziehen, um hinauszugehen, doch der schreckliche, graue Morgen ängstigte mich. Manchmal scheint mir, als lebten wir in einer riesigen, geräumigen Gruft für viele Personen. Ich blickte auf die Welt, eingehüllt in den grauen, kühlen, unangenehmen Morgendämmer. Das Gefängnis ist nicht außen, es steckt in jedem von uns. Vielleicht können wir ohne es nicht leben.

      Einige Tage später, noch bevor der große Schnee fiel, sah ich den großen Polonez der Polizei vor Bigfoots Haus. Ich muss zugeben, dass mich dieser Anblick freute. Ja, es erfüllte mich mit großer Zufriedenheit, dass die Polizei endlich zu ihm gekommen war. Ich legte mir zwei Patiencen, und sie gingen auf. Ich stellte mir vor, dass sie ihn festnahmen, ihn in Handschellen abführten, seine Drahtvorräte konfiszierten und ihm die Kettensäge abnahmen – für ein solches Utensil sollte man eine ähnliche Genehmigung verlangen wie für eine Waffe, denn sie richtet unter den Pflanzen große Verwüstungen an. Doch das Auto fuhr ohne Bigfoot wieder weg, und dann wurde es schnell dunkel und begann zu schneien. Die zurückgesperrte Hündin winselte den ganzen Abend. Das erste, was ich am darauffolgenden Morgen im makellosen Neuschnee sah, waren die verwackelten Spuren von Bigfoot und gelbe Urinspuren an meiner Silberfichte.

      Das alles fiel mir ein, als ich mit Matoga am Tisch saß. Und meine Mädchen.

      Matoga, der aufmerksam meinen Erzählungen zugehört hatte, kochte weiche Eier und servierte sie in Porzellanschälchen.

      »Ich habe nicht so ein Vertrauen in die Obrigkeit wie du«, sagte er. »Man muss alles selber machen.«

      Ich weiß nicht, was er damals meinte.

      3 Das Ewige Licht

      »Was sterblicher Geburt entspross,

      Muss wieder in der Erde Schoß.«

      Als ich nach Hause kam, war es schon hell, und ich war nicht ganz bei mir. Wieder schien mir, als hörte ich das Getrappel meiner Mädchen auf dem Boden im Flur, als sähe ich ihre fragenden Blicke, ihre in Falten gelegten Stirnen, ihr Lächeln. Und schon war mein Körper bereit für das zärtliche Begrüßungsritual.

      Doch das Haus war ganz leer. Kaltes Weiß fiel durch die Fenster in weichen Wellen nach innen, und das ganze große Hochplateau drängte herein. Ich verwahrte den Rehkopf in der Garage, wo es kalt war, und ich legte Holz nach. So wie ich war, ging ich ins Bett und schlief wie eine Tote.

      »Frau Janina.«

      Und kurz darauf, lauter: »Frau Janina.«

      Eine Stimme im Flur weckte mich. Tief, männlich, schüchtern. Jemand stand im Flur und rief meinen mir verhassten Namen. Das erboste mich doppelt, erstens, weil ich schon wieder am Schlafen gehindert wurde, und zweitens, weil ich meinen Namen weder mochte noch akzeptierte. Er war mir zufällig und gedankenlos verliehen worden. So ist das, wenn der Mensch nicht an die Bedeutung der Worte und noch weniger der Namen denkt, und sie einfach drauflos verwendet. Mich mit »Frau Janina« anzusprechen, konnte ich niemandem gestatten.

      Ich stand auf, strich meine Kleidung glatt, die nicht besonders schön aussah, nachdem ich zwei Nächte darin geschlafen hatte, und verließ das Zimmer. Im Flur standen in einer Pfütze aus geschmolzenem Schnee zwei Männer aus dem Dorf. Beide waren groß, breitschultrig und schnurrbärtig. Sie waren einfach eingetreten, weil die Tür nicht abgesperrt gewesen war, und sie sahen mich schuldbewusst an.

      »Wir möchten Sie bitten, dorthinzukommen«, sagte der eine mit rauer Stimme. Sie grinsten entschuldigend, und ich sah, dass sie fast identische Zähne hatten. Irgendwoher kannte ich sie, sie arbeiteten als Holzfäller. Ich hatte sie schon einige Male im Dorfladen gesehen.

      »Dort komme ich gerade her«, brummte ich.

      Sie sagten, die Polizei sei noch nicht da gewesen, und sie warteten auf den Pfarrer. Der Weg sei über Nacht zugeschneit. Sogar der Weg nach Tschechien und nach Wrocław sei nicht befahrbar, und die Lkw steckten in langen Staus. Nur die Nachrichten verbreiteten sich schnell in der Gegend, und einige Bekannte von Bigfoot seien zu Fuß gekommen. Schön zu hören, dass er Bekannte hatte. Die Widrigkeiten des Wetters wirkten sich offenbar positiv auf ihre Laune aus. Sie nahmen es lieber mit dem Schneegestöber auf als mit dem Tod.

      Sie pflügten sich durch den flaumigen, frischen weißen Schnee, dem die kalte Wintersonne rote Wangen verlieh, und ich folgte ihnen. Die Männer bahnten mir den Weg. Beide trugen hohe Stiefel aus starkem Gummi mit hohen Filzschäften, was hier die einzige Wintermode für Männer war. Mit ihren breiten Sohlen traten sie für mich eine kleine Rinne frei.

      Vor dem Haus standen einige weitere Männer und rauchten. Sie verbeugten sich unsicher und wichen meinem Blick aus. Der Tod eines gemeinsamen Bekannten raubt jedem die Selbstsicherheit. Sie hatten alle den gleichen Gesichtsausdruck aus feierlichem Ernst und förmlicher Trauer. Sie sprachen mit gedämpften Stimmen. Wer fertig geraucht hatte, ging ins Haus.

      Alle, ohne Ausnahme, hatten Schnurrbärte. Sie standen düster um die Couch mit der Leiche herum. In einem fort ging die Tür auf und neue Männer kamen herein, sie brachten Schnee und den metallischen Geruch des Frostes mit. Es waren hauptsächlich ehemalige Arbeiter der staatlichen Landwirtschaftsbetriebe, die jetzt arbeitslos waren und ab und zu beim Abholzen des Waldes halfen. Einige von ihnen fuhren nach England zum Arbeiten, doch irgendwie kamen sie alle schnell wieder zurück, weil das Fremdsein ihnen Angst machte. Oder sie führten hartnäckig ihre kleine unrentable Landwirtschaft weiter, die sie dank EU-Finanzierungen knapp am Leben erhalten konnten. Nur Männer.

      Der Raum dampfte von ihrem Atem, es roch leicht nach Alkohol, Tabak und feuchter Kleidung. Sie warfen einen Blick auf die Leiche, verstohlen und schnell. Sie zogen vernehmlich die Nase hoch, doch es war schwer zu sagen, ob das vom Frost kam. Vielleicht waren diesen riesigen Männern doch die Tränen in die Augen gestiegen? Und nachdem diese dort nicht gesehen werden durften, hatten sie sich in der Nase einen unauffälligen Ausgang gesucht? Weder Matoga noch sonst ein bekanntes Gesicht war unter ihnen.

      Einer zog aus der Tasche eine Handvoll Teelichter und reichte sie mir

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