Gesang der Fledermäuse. Olga Tokarczuk
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Deshalb der Fernsehapparat.
Ich habe eine große Programmauswahl. Die Antenne, die wie eine Emailleschüssel aussieht, hat mir Dyzio einmal mitgebracht. Es gibt einige Dutzend Kanäle, doch das ist mir zu viel. Selbst zehn wären zu viel. Selbst zwei. Eigentlich schaue ich nur den Wetterbericht an. Ich hatte diesen Wetter-Kanal gefunden und gleich darauf, glücklich darüber, dass ich alles hatte, was ich brauchte, die Fernbedienung verschusselt. Vom frühen Morgen an begleitet mich also der Anblick von atmosphärischen Wetterfronten, von wunderschönen abstrakten Linien auf Landkarten, blauen und roten, die unaufhaltsam vom Westen näher rücken, über Tschechien und Deutschland. Die Fronten brachten die Luft, die vor Kurzem in Prag geatmet worden war, oder auch in Berlin. Die Luft strömte vom Atlantik herüber, strich über ganz Europa hinweg, man könnte sagen, dass die Meeresluft immer hier in den Bergen war. Besonders mag ich es, wenn die Luftdruckkarten gezeigt werden, die den unerwarteten Widerstand gegen das morgendliche Aufstehen, die Knieschmerzen oder sonst etwas erklären, etwa auch eine unerklärliche Traurigkeit, deren Natur ganz bestimmt in einer Wetterfront liegt, in einer launenhaften Linie, die sich durch die Erdatmosphäre schlängelt.
Mich bewegen die Satellitenbilder und die Krümmung der Erde. Stimmt es, dass wir auf der Oberfläche einer Kugel leben, dem Blick der Planeten ausgesetzt, in eine große Leere geworfen, in die das Licht nach dem Untergang in kleine Stückchen zersplittert und verspritzt wurde? Es stimmt. Wir sollten uns das täglich vor Augen halten, denn sonst vergessen wir es. Wir glauben, wir seien frei und dass Gott uns verzeiht. Ich persönlich denke anders darüber. Jede unserer Taten, in winzige Vibrationen der Photonen verwandelt, fliegt letztlich in den Kosmos, wie ein Film, und die Planeten werden sie bis ans Ende der Tage ansehen.
Wenn ich mir Kaffee mache, kommt meistens der Wetterbericht für Skifahrer. Die raue Welt der Berge, Abhänge und Täler werden gezeigt, und die inkonsequente Schneedecke bedeckt mit ihrem Weiß nur an wenigen Stellen die schorfige Erdkruste. Im Frühling sind die Skiorte von Allergikern bevölkert, und das Bild kriegt Farbe. Weiche Linien bezeichnen die Gebiete mit ihren Bedrohungen. Wo es rot ist, sind die Attacken der Natur am heftigsten. Diese hat den ganzen Winter über im Winterschlaf gelegen, um jetzt zum Schlag auf das filigrane Immunsystem des Menschen auszuholen. Irgendwann wird sie uns auf diese Art völlig von der Erde verjagen. Vor den Wochenenden kommen die Wetterberichte für Autofahrer, doch deren Realität beschränkt sich auf einige wenige Striche im Reich der Autobahnen. Die Aufteilung der Menschen in drei Gruppen – Skifahrer, Allergiker und Autofahrer – überzeugt mich ganz und gar. Eine simple und gute Typologie. Skifahrer sind Hedonisten. Sie verbreiten sich über die Abhänge. Die Autofahrer hingegen wollen das Schicksal in ihre Hände nehmen, auch wenn dabei oft die Wirbelsäule leidet. Das Leben ist eben einfach schwer. Dann die Allergiker – immer im großen Krieg. Ich gehöre ganz sicher zu den Allergikern.
Ich würde mir noch einen Kanal zum Thema Sterne und Planeten wünschen. »Kosmische Einflüsse TV« oder etwas Ähnliches. So ein Fernsehen bestünde eigentlich nur aus Karten, es würde Einflusslinien zeigen, die Felder der Planetenvernichtung. »Sehr geehrte Damen und Herren, über der Ekliptik wird nun allmählich der Aufgang des Mars sichtbar, dessen Bahn gegen Abend von der Einflussbahn des Pluto durchkreuzt wird. Wir möchten Sie bitten, Ihre Autos in der Garage oder auf überdachten Parkplätzen abzustellen, bitte räumen Sie auch die Messer weg, seien Sie vorsichtig, wenn Sie in den Keller hinuntergehen, und solange dieser Planet auf seinem Weg durch das Zeichen des Krebses ist, empfehlen wir Ihnen, auf heiße Bäder zu verzichten und bei Familienstreitigkeiten eher einen Rückzieher zu machen.« So oder so ähnlich würde uns eine schlanke, ätherische Moderatorin informieren. Und wir wüssten, warum die Züge heute Verspätung hatten, warum der Briefträger mit seinem Cinquecento im Schnee stecken blieb, warum die Mayonnaise nichts geworden ist und die Kopfschmerzen ohne Tabletten plötzlich von selbst verschwanden, wie sie gekommen waren. Wir wüssten, wann man mit dem Haarfärben beginnen soll und zu welchem Zeitpunkt man am besten Hochzeiten plant.
Am Abend betrachte ich die Venus, ich verfolge die Wandlungen dieses schönen Himmelskörpers besonders akribisch. Sie ist mir lieber als der Abendstern, wenn sie aus dem Nichts auftaucht, wie hervorgezaubert, und hinter der Sonne nach unten sinkt. Ein Funken des Ewigen Lichts. In der Dämmerung passieren die interessantesten Dinge, denn dann verschwimmen die einfachen Unterschiede. Ich könnte in ewiger Dämmerung leben.
4 999 Tode
»Wer bezweifelt, was er sieht,
Glaubt euch nie, trotz aller Müh’.
Wär’n Mond und Sonne frei von Zweifeln nicht,
Erlöschte augenblicks ihr Licht.«
Den Rehkopf begrub ich am nächsten Tag auf meinem Friedhof beim Haus. In dieses Erdloch hatte ich fast alles gelegt, was ich aus dem Haus von Bigfoot mitgenommen hatte. Die Plastiktüte, an der noch Blutspuren waren, hängte ich an einen Ast des Pflaumenbaums, als Andenken. Sofort fiel Schnee hinein, der in der Nacht zu Eis gefror. Ich plagte mich lange, um in der gefrorenen, steinigen Erde eine Grube zu graben. Die Tränen gefroren mir auf den Wangen.
Auf das Grab legte ich einen Stein, wie immer. Es gab schon viele solcher Steine auf meinem Friedhof. Hier lag der alte Kater, dessen Leiche ich beim Hauskauf im Keller vorgefunden hatte, die halbwilde Katze, die gleich starb, nachdem sie geworfen hatte, samt ihren Jungen, der Fuchs, den die Waldarbeiter getötet hatten und von dem sie behaupteten, er sei tollwütig gewesen, einige Maulwürfe und ein im letzten Winter von einem Hund totgebissenes Reh. Das waren nur einige der Tiere. Alle, die ich im Wald, in den Schlingen von Bigfoot, tot auffand, brachte ich an einen anderen Ort, damit sie wenigstens irgendwem als Futter dienten. Von diesem hübsch gelegenen Miniaturfriedhof, zwischen einem Teich und einem sanften Hügel, konnte man das ganze Hochplateau überblicken. Hier wollte auch ich einmal liegen und alles in meiner Obhut haben, für immer.
Ich bemühte mich, zweimal täglich einen Rundgang über meine Ländereien zu machen. Ich muss Lufcug immer im Auge haben, daher habe ich mich dazu verpflichten lassen. Der Reihe nach ging ich die von mir betreuten Häuser ab, und zum Schluss stieg ich auf den Hügel, um unser ganzes Hochplateau zu überblicken.
Aus dieser Perspektive konnte ich das sehen, was aus der Nähe unsichtbar war: Die Spuren im Schnee dokumentierten hier im Winter jede Bewegung, und dieser Evidenz konnte nichts entgehen. Der Schnee als sorgfältiger Chronist zeichnete alle Schritte von Tier und Mensch auf, er verewigte auch die wenigen Autospuren. Ich betrachtete aufmerksam unsere Dächer, ob sich nicht irgendwo ein Überhang aus Schnee gebildet hatte, der die Rinne abreißen konnte oder, was noch schlimmer war, beim Kamin hängen blieb. Dort würde er dann langsam schmelzen und Wasser durch die Schindeln nach innen sickern lassen. Ich sah nach den Fenstern, ob sie heil waren, ob ich bei der letzten Visite nichts übersehen und kein Licht brennen gelassen hatte. Und ich inspizierte auch das umliegende Anwesen, die Zäune, die Gartenpforten, die Schuppen und die Holzstapel.
Ich war die Hüterin des Eigentums meiner Nachbarn, während sie ihren Winterarbeiten und ihren Vergnügungen in der Stadt nachgingen. An ihrer statt verbrachte ich hier den Winter für sie, bewahrte ihre Häuser vor Kälte und Feuchtigkeit und kümmerte mich um ihren flüchtigen Besitz. So half ich ihnen an der Finsternis teilzunehmen.
Dummerweise machte mir wieder mein Leiden zu schaffen. Damit musste ich rechnen, Stress und andere ungewöhnliche Ereignisse verstärkten es. Manchmal genügte eine Nacht, in der ich schlecht geschlafen hatte, und alles plagte mich. Dann zitterten meine Hände, und ich hatte ein Gefühl, als flösse Strom durch alle Gliedmaßen, als sei mein Körper von einem unsichtbaren elektrischen Netz umhüllt, und als ob mir jemand wahllos kleine Züchtigungen