Die Osterglocken. Clara Viebig

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Die Osterglocken - Clara Viebig

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Schleier – die blankgeputzten Scheiben, die frisch aufgesteckten Gardinen, das papierblumengeschmückte Lamm bei Metzger Dietrich, die Fastenbrezeln und die zuckerbestreuten Rodonkuchen beim Bäcker an der Ecke. Die Glocken hallen nicht mehr, mit einem letzten »Bum« sind sie verstummt. Es ist fast finster.

      »Komm!«, sagte Susanna Schommer eintönig und beugte sich zu dem Kinde nieder, das müde die lahmen Füße schleppte. – »Leg Deine Ärmcher um meinen Hals, ich tragen Dich!« Und so schritten sie miteinander die bunten Läden entlang, die belebte Straße hinunter, immer weiter, einen langen Weg, bis die Gegend armselig wurde und düster; da wohnten sie. Das schlanke Mädchen hielt den Kopf aufrecht – was war die leichte Last der Schwester? auf dem Herzen lag eine weit schwerere. Die hübschen traurigen Augen blickten gradaus vor sich ins Leere – ach, zwanzig Jahre und kein Lachen mehr, das ist ein Frühling ohne Blumen.

      Am Himmel ziehen die Sterne auf, einer nach dem andern, bis sie in Reih und Glied stehen und herunterfunkeln auf die Welt, in der alles Ostern entgegenjauchzt – die Glocken, die Berge, der Strom und der Wald, die schwarze duftende Erde und das Menschenherz. Alle wollen sie Grün, Blumen, Wärme, Licht, Freude – sie strecken die Hände verlangend aus – die Glocken schlagen an – kling klang gloria – Osterglocken.

      ***

      In der schmutzigsten, engsten Gasse, im »Hänneschen sieh dich um« wohnte Schuhmacher Schommer. Er hätte da nicht zu wohnen gebraucht in dem erbärmlichen Hause, er hatte mal einen schönen Laden in der Simeonstraße. Aber wie das so geht, das Moselweinchen schmeckt gut, ’s ist ja auch so billig, und vom billigen Moselweinchen ist es nicht weit zum billigen Schnaps – der Laden schrumpfte immer mehr ein, die Nase blühte immer röter, voller. Über ein paar Jahre hatte man nur noch den ewigen Durst und den guten Humor; die verließen Schommers Pittchen nicht, die waren mit Moselmilch großgezogen. Wenn seine Frau weinte, dann lachte er; wenn sie schalt, lachte er auch, lief nach Dorf Euren auf die Kirmes und schwenkte die hübschesten Mädchen herum; kam er betrunken nach Hause, schlug er nicht – i bewahre – er lachte. Er lachte seine Frau unter die Erde und lachte seiner Sus, der Ältesten, alle Jugend weg.

      Sie war vierzehn, als die Mutter starb und das jüngste Kind, das lahme Kättchen, kaum ein paar Wochen alt – nun war sie zwanzig. Sie hatte das Kättchen herumgeschleppt, die drei Brüder geprügelt, den Vater aus dem Wirtshaus geholt, und wenn der draußen in der Sonne lag und faulenzte, saß sie drinnen im Schatten und hämmerte und pochte und steppte und setzte Riester auf – das war ihr Leben. Ein einziges Mal – man soll nicht lügen – ja, da war sie auch lustig gewesen, da hatte sie ein helles Kleid getragen und ein rosenrotes Band um den Hals – sie war jung, sie war hübsch, sie war lebensfroh.

      Mit dem Franz Cleren, dem netten Polier, hatte sie zu Euren getanzt – rundirum la la – rundirum la la la – o, war das schön! Hand in Hand waren sie dann nach Hause gegangen, die lange Chaussee unter Obstbäumen zurück. Der Frühling hatte die Bäume mit Blüten überschüttet, die Birnen schneeweiß, die Äpfel rosenrot. Im Straßengraben saß die Grille und zirpte vor Glück; links am Berghange aus lauschigen Büschen klang ein sehnsüchtiges Lied, es war die Nachtigall, sie sang von Liebe; rechts rauschte die Mosel, bald laut, bald leise, sie rauschte ein Schlummerlied. Die Welt war zur Ruh – man hörte nur von Glück und Liebe; Glück sang die Grille, Liebe die Nachtigall. »Ach, wenn wir uns doch kriegten«, pochten zwei Herzen im Takt dazu, zwei selig bange Seufzer folgten wie ein Echo. Es war ja Frühling!

      Nun wurde es wieder Frühling, seitdem schon zum dritten Male – der Franz und die Susanna waren noch immer kein Paar; sie war sein Mädchen, er ihr Schatz, und dabei würde es bleiben. Er hatte nichts, sie hatte nichts. Dem Franz sein Onkel, der Küster Cleren im Dome, der hatte wohl was, aber man konnte es ihm doch nicht abverlangen. »Dass de ke Wort sagst«, vermahnte der Franz, und »Jesses, was denkste denn?«, sagte die Susanna. Sie sah den alten Junggesellen nur stumm wehmütig mit den hübschen Augen an; er strich ihr dann die Backen und schenkte dem Kättchen blanke zwei Pfennige. Ach, sie kamen wohl nie zusammen! – – – – –

      Mit einem tiefen Seufzer stellte Susanna Schommer die kleine Schwester auf die Schwelle und öffnete die knarrende Haustür im »Hänneschen sieh dich um«. Der Schustertisch war leer, der Vater lag der Länge lang auf dem Rosshaarsofa und ließ die Beine über die Lehne baumeln. Er pfiff sich eins. Jetzt blinzelte er vergnügt.

      »No, guden Awend, dir Mädercher! Haste Geld, Sus!«

      Zögernd steckte die Tochter die Hand in die Tasche.

      »Nor här dermit!«, lachte Schommers Pittchen, sprang wie der Wind vom Sofa auf, entwand ihr die paar Markstücke und kniff sie dann in die Backen. »No, Sus, eweil gehn ich e bische spazieren; gleich bin ich widder zurück!«

      »Spazieren?!« Die Tochter lachte bitter. »Du gehst als wieder in’t Wirtshaus, Vatter – morgen ist kein Pfennig mehr da von dem Geld, was ich heut for die besohlten Stiefel gekriegt hab. Denk doch, morgen ist Ostern! Alle Leut feiern, nur wir net – keinen Osterkuchen for uns Kättchen, keine paar Eier for die Jungens! – Vatter« – sie steckte blinzend die Hand aus, ein trostloser Ausdruck lag auf ihrem Gesicht – »Vatter – – !«

      »Huit« – er pfiff – »dumm Zeug! Sei net e so uncommod, Sus – immer lustig, dat is hübsch for junge Mädcher, adjö, Kättchen!« Er hob das Kind in die Höhe und küsste es herzhaft ab – »Den Pappa kauft dir ebbes Gudes – en Palzerkuchen on en Zuckerei – gelt Du, e so groß! Adjö, adjö!« Er schwenkte lachend zur Tür, heraus war er – fort – durch den stillen Abend klang sein helles Pfeifen.

      »O Jesses – oh – –!« Susanna ließ sich auf den Schemel fallen und hielt die Hände vors Gesicht – die schlanken Finger waren schwarz gefärbt vom Schusterpech – leise kam Kättchen geschlichen und nestelte sich auf ihren Schoß ein. Das klägliche Lämpchen flackerte und beleuchtete matt den blonden Mädchenkopf, der sich tief, tief neigte, die schmächtige Kindergestalt mit dem altklug bleichen Gesicht. Draußen ging der Abendwind.

      – – – –

      »Sus, Essen! Sus, Hunger! Sus, wat kochste morgen?« Wie die wilde Jagd stürmten die Brüder ins Zimmer, drei halbwüchsige, freche Burschen, denen die Eßlust aus den Augen sah. »Sus« – – der jüngste fasste sie um die Taille und wirbelte sich mit ihr durch die Stube – »Sus, morgen is Ostern, da kriehn mer ebbes Feines! Hei!«

      »Nix Feines«, sagte die Schwester hart, »der Vatter is im Wirtshaus. Wir haben kein Ostern!« – – »Kein Ostern« – das sagte sich Susanna die ganze Nacht vor, als sie wachend im Bett lag. Nebenan polterte der Vater – er kam betrunken nach Hause – jetzt schnarchte er. O, die Kammer so dunkel, und im Herzen noch mehr Dunkel! Das war wie ein Grab. Ganz unten eingesargt lagen Jugend, Hoffnung und Lebensfreudigkeit, kein grüner Halm sprosste, kein Blütentrieb – Winterstarre deckte alles zu. Es gab kein Ostern, kein Auferstehen!

      Heiße Tränen liefen über Susannas Gesicht, sie dachte an ihren Schatz und rang die Hände. »Wir kommen nie zusammen« – eiliger rannen die Tropfen, sie fielen dem Kättchen auf die Stirn, das an der Seite der Schwester fest schlummerte. Es regte sich im Traum, es seufzte, es warf sich hin und her – jetzt flüsterte es: »Im Dom – sie läuten e so komisch – bimbam – bi – i – im – das tut net den Küster Cleren o ne« – sie kicherte – »das sind die lieben Engelcher – Sus – de Engelcher – im Dom – in Lintzen – bimbam – bi – i – im« – –

      »Schlaf doch!«

      »Bi – i – – – « das Weitere erstarb in undeutlichem Gemurmel. Endlich schlossen sich auch Susannens Augenlider – sie träumte nicht von Engeln, nicht von Ostern, nicht von ihrem Franz; sie träumte vom alten Küster Cleren mit den weißen Haaren um das freundliche Gesicht. Der saß auf

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