Die Osterglocken. Clara Viebig
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Читать онлайн книгу Die Osterglocken - Clara Viebig страница 6
Sie läßt das Weinen und blinzelt ihn unter ihrem Lockengeringel hervor fragend an; dann hebt sie das Fingerchen und sagt so ernsthaft wie eine Alte: »Wahrhaftig ins Gott, Karlchen?« »Wahrhaftig ins Gott,« bekräftigt er, »und nu –«
Da wird die Kellertür aufgerissen, »Karl, Mariechen, wo seid Ihr? – Jeses, Maria, da stehn die Kinder! So ’ne Blagen, so ’ne Puten!« Atemlos stürzt das Grittchen, die alte Magd, die Treppe herunter und zieht die Kinder unsanft mit sich die Stufen hinauf – »Marie, Karlchen, komm Du nach oben, Du kriegst Haues, un Mariechen – ne, dat Kind! Dem sein Röcksken is ja quatschennaß – mach, du Krott, daß du nach Haus kommst, Dein Mamma war als zweimal hier, die sucht dich überall!«
Die Kellertür wird zugeschlagen, die blinkenden Lichtchen drunten flackern noch einmal auf, dann verlöschen sie; es wird ganz still und dunkel.
* * *
In dem freundlichen Hause an dem hübschen Platze mit den hohen Bäumen hatte der Herr Rechnungsrat Zehrenpfennig mit Frau und Sohn viele Jahre gewohnt. Nun war er tot; am Gallenfieber gestorben, aus Ärger über seinen nichtsnutzigen Lümmel meinten die Leute, und da hatten sie so unrecht nicht.
Aus dem Karlchen, das heimlich in der Bütte fuhr und auf die nassen Hosen vom gestrengen Herrn Papa eins aufgezählt bekam, war ein großer Karl geworden. Ein hübscher, frischer Bengel, gar nicht böse, gar nicht dumm, und doch zu nichts zu gebrauchen. In der Schule saß er zu unterst und kaute gelangweilt an der Feder, jede Freistunde lag er unten am Rhein bei den Schiffern, hantierte mit denen auf ihren Kähnen herum, rauchte aus der kurzen holländischen Tonpfeife und ließ sich Wunderdinge erzählen. Die halben Nächte saß er wach im Bette und las mit pochendem Herzen und brennenden Augen die Abenteuer und Gefahren kühner Seefahrer und Entdecker.
Die Lehrer klagten, die Eltern klagten, der Junge wurde nicht anders, im Gegenteile! Eines Tages kommt er nicht zu Tische, man wartete auf ihn, die Mutter wurde schon ängstlich, der Vater machte sich selbst auf, um nach dem Karl zu sehen. Recht ärgerlich wandelte der Herr Rechnungsrat die Straße hinunter – da, ist’s möglich?! In dem Winkel, den zwei vorspringende Häuser bilden, steht das verlorene Söhnchen, den Rücken der Straße zugekehrt, ein Buch gegen die Mauer gestemmt und liest und liest unbekümmert um Lärm und Wagengerassel. Ein heftiger Schlag auf die Schulter schreckt den Versunkenen auf, im Bogen fliegt der edle Cooper in den Schmutz, unheimlich, wortkarg gehen Vater und Sohn nach Hause. Konnte man es dem Herrn Rechnungsrate verdenken, dass er daheim den Buben rüttelte und schüttelte?
»Mensch, Du bist sechzehn, sitzest noch auf Tertia, kommst nicht voran, bist größer wie ich, schämst Dich nicht vor den kleinen Jungen, die mehr wissen als Du – Mensch, Mensch, was soll aus Dir werden?!« Herr Zehrenpfennig rang die Hände.
»Vater,« hatte der Karl ganz ruhig gesagt, »lass mich Seemann werden, ich will zur See.«
»Du – Du –«, der Herr Rechnungsrat schnappte nach Luft und lachte dann krampfhaft. »Du und Seefahrer? Natürlich! Bummler, Nichtstuer, Abenteurer – daraus wird nichts. Du machst die Schule durch und würdest Du dreißig darüber, und dann studierst Du und wirst, was ich geworden bin – verstanden?!«
»Nein, Vater,« – der Junge sah in dem Augenblicke merkwürdig erwachsen aus, »das kann ich nicht. Du magst sagen, was Du willst. Ich will und muss zur See.«
»Du –« dem Herrn Rechnungsrate versagte das Wort – eine schallende Ohrfeige brannte auf des Knaben Wange. – Mach, dass Du weg kommst und tritt mir nicht mehr unter die Augen!«
Es war nicht so schlimm gemeint gewesen, aber anderen Tages war der Junge fort und kam nicht wieder. Herr Rechnungsrat Zehnerpfennig grämte sich darüber zu Tode, die Frau Rätin saß manches Jahr in ihrem einsamen Witwenstübchen und weinte sich die Augen rot. Da kam eines Tages ein Brief mit seltsam ausländischem Poststempel, Kapstadt, der verlorene Sohn schrieb, reuig, liebevoll, unsäglich rührende Worte! Er hätte nicht schreiben wollen, so lange es ihm schlecht gegangen, nun gehe es ihm gut, er wünsche nur die Verzeihung der Eltern und würde dann bald kommen, sie zu besuchen.
O diese Freude, o dieser Schmerz! Aus wunderlich gemischtem Born quollen die Tränen der Mutter – ja, es ist ein eigenes Ding um das Mutterherz! Da liegen in der engen Kammer, wie Zwillingsgeschwister in einer Wiege, Zürnen und Vergeben, bitteres Gekränktsein – unendliche Liebesfülle! Die Mutter schrieb an den Sohn, sie nannte ihn ihr böses geliebtes Kind, und sie wartete auf sein Kommen. Das neue Frühjahr sollte ihn bringen, aber das alte Jahr mußte erst scheiden, und das nahm die gute Frau Rätin mit – so geht’s mit der Pflanze, die allzulang im Schatten gestanden, rückt man sie jäh in die Sonne, so welkt sie, sie verträgt das Licht nicht mehr. Auf dem Grabe der Frau Rätin blühten unterm Schnee die weißen Sterne der Christrose, die Nachbars Mariechen mit zitternden Händen und weinenden Augen dorthin getragen.
Nachbars Mariechen! Sie war der Sonnenstrahl im Leben der einsamen Frau gewesen, sie hatte Frische, Jugend, Heiterkeit in das Witwerstübchen gebracht, mit niemandem konnte die Mutter so gut von dem Verlorenen reden wie mit der kleinen Nachbarin. Die erinnerte sich des Kindheitsgespielen so genau, die erzählte laufend lustige Streiche, die sprach von der Tanzstunde und – von dem ersten Kusse – nein, von dem sagte sie doch nichts, sie neigte nur den Kopf tiefer und die blonden Locken fielen ihr über das rosige Gesicht.
* * *
Es war ein feuchter, helldunkler Märzabend, als Karl Zehrenpfennig nach Hause kam. Er stand unter den hohen Bäumen an dem hübschen Platze und starrte unbeweglich hinüber zu dem freundlichen Hause, hinter dessen Mauern nun andere Menschen wohnten, andere Herzen schlugen. Er war zu Hause und doch so fremd. Sein Herz zog sich krampfhaft zusammen. Warum war er gekommen? Er würde nur die Gräber seiner Eltern finden, eine zierliche, klare Mädchenhand hatte ihm das geschrieben. »Mariechen!« Für einen Augenblick flog ein freundlicher Schein über das tiefernste Männergesicht, dann blickte es suchend umher – wo wohnte sie doch? Richtig, dort die benachbarte Tür mit dem blanken Messingknopfe, an dem seine Kinderhand täglich geläutet! Wie sehnsüchtig hatte der Bube oft das Öffnen erwartet und ungeduldig mit dem Stiefelabsatze gepocht! Auch jetzt ging die Tür, eine schlanke Mädchengestalt schritt die Stufen hinunter, sah prüfend umher und hüpfte dann mit leichtem Satze über den Rinnstein. Der Fremde trat näher, das blonde Gelock unter der braunen Pelzmütze schimmerte so seltsam bekannt. Er lüftete den Hut: »Fräulein Mariechen?!« – Sie schrak zusammen und sah ihn einen Augenblick starr an, glühendes Rot stieg in ihr Gesicht; dann schossen ihr plötzlich die Tränen in die Augen, sie streckte ihm mit einem kleinen Schrei beide Hände entgegen: »O mein Gott – bist D – sind Sie’s?!« Er ergriff diese Hände und drückte sie herzhaft. »Ja, Mariechen, ich bin’s, der alte Karl, kennen Sie mich denn noch?«
Ob ich Sie kenne –« Röte und Blässe wechselten auf den weichen Mädchenwangen, und dann huschte ein kleiner Schalk um den roten Mund – »Sie böser Weltumsegler!« Er seufzte schwer und drückte den breiten Filzhut tiefer in die sonnenverbrannte Stirn. »Alles ist hier anders geworden – o, meine Mutter – ich bin fremder wie in der fremdesten Fremde!«
»Sagen Sie das nicht –« bat sie leise und legte zutraulich ihre Hand in seinen Arm – »Sie sind nicht fremd, bei uns sind Sie zu Hause – – ich freue mich so!«
»Gutes Mariechen!« Er preßte ihren Arm fester an sich, und nun schritten sie langsam unter den hohen Bäumen auf und nieder, hin und her, wie unendlich viel war zu fragen, wie unendlich viel zu antworten! Eine Ewigkeit hätte nicht genügt. Die weiche Mädchenstimme klang wie ein Hauch durch das abendliche Dunkel, es lauschte sich so angenehm, so längst vertraut. Was lag alles in dieser Mädchenstimme – Heimat, Kindheit, erste Jugend, Vater, Mutterwort, alles – alles!
Aus den Fenstern der Häuser, jenseits