Die Osterglocken. Clara Viebig

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Die Osterglocken - Clara Viebig

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auf dessen Efeu, und zu der Stimme, die plötzlich zu mir herauf – oder war es aus mir heraus? – etwas sprach, sprach ich wie zur Antwort: »Laß mich dereinst meinem Sohn so gegenwärtig sein, wie du mir noch immer gegenwärtig bist und stets gegenwärtig bleiben wirst – o, meine Mutter!«

      Textquelle:

       Linzer Tages-Post, 17. Juli 1930, S. 3–4

      Grundwasser

       Novellette

      Ja, es ist eine eigentümliche Geschichte mit dem Grundwasser! – Daß der Rhein seine Mucken hat, ist bekannt, dafür ist er eben ein alter Herr; alte Leute sind immer wunderlich. Besonders, wenn’s aufs Frühjahr geht, wenn feuchte Winde aus Westen wehen und die Märzsonne mit scharfer Zunge an Eis und Schnee leckt, daß den Bergen die Tränen übers Gesicht rinnen, dann fasst den alten Herrn eine merkwürdige Unruhe. Er dehnt sich, er reckt sich, er wächst, er schwillt, er greift übers Ufer, schier, als ob er ein ganz gemeiner Langfinger sei und kein ehrwürdiger Patriarch unter den Gewässern. Und zieht dann gar noch der Himmel seine Schleusen auf und lässt den Regen herunterströmen, was so gemeinhin »pladdern« oder mit »Mulden gießen« heißt, dann ist eben in ein paar Tagen die netteste Überschwemmung fertig, und die Menschen schreien Ach und Oh. Das kommt davon, warum setzen sie sich dem Rhein auf die Nase!

      Was eine Rheinüberschwemmung heißen will, weiß jedermann, und ich werde mich wohl hüten, sie zu beschreiben. Ich lasse lieber Vater Goethe das Wort, der Band II in den Cantaten erhaben einfach spricht:

      »Der Damm zerreißt, das Feld erbraust,

      Die Fluten spülen, die Fläche saust!«

      Da kann man in kurzen Versen eine lange Geschichte lesen von Angst und Verzweiflung, Heldenmut und Aufopferung, da hört man die Wellen heranrauschen, den Sturmwind heulen, die Mauern zusammenstürzen, die Balken knicken wie dürres Rohr, da sieht man die endlose Wasserwüste und darüber den grauen trostlosen Himmel. Da kann einem wohl das Lachen vergehen!

      Ich aber will gar keine solch ernsthafte Geschichte erzählen, ich bleibe bei meinem Grundwasser. Das ist auch eine Überschwemmung, aber mehr komischer als tragischer Art.

      Wenn der Fluss hoch geht und drunten am Niederrhein auf den flachen Weidestrecken zur Rechten und Linken, auf denen im Sommer das fette braune Rindvieh grast und die selbst im Winter einen grünen Schimmer zeigen, das Wasser fußhoch steht, dann regt sich’s auch in den Straßen der Stadt. Liegt die auch ein Stückchen abseits, die Leute rennen doch ans Ufer und messen mit besorgten Blicken den Wasserstand, rennen dann wieder heim, steigen in ihren Keller und heben in der Ecke die Steinplatte mit dem eisernen Ringe unter »Uf« und »Oha« in die Höhe und leuchten mit dem Lichtstümpfchen am langen Stocke in die Tiefe. Au weh, es geht gar nicht mehr weit hinunter, da blinkt schon unheimlich ein regungsloses schwarzes Wasser und der Lichtschein wirft zitternde Kringel darüber! »Et kömmt«, sagt der biedere Hausvater und kratzt sich hinter den Ohren, »mer müssen uns plagen, dat mer fertig weren!« Und nun geht ein Rumoren los, daß Ratten und Mäusen die Schwänze zu Berge stehen und sie vor Angst die Wände hinanlaufen. Das Sauerkrautfaß wird die Treppe heraufgeschrotet, die Kartoffeln, der Lohkuchen, die Hobelspäne in Körben nach oben geschleppt, und ist einer ein Schlemmer, dann packt er eiligst seinen Johannisberger Kabinett oder sein Moselblümchen unter den Arm und läuft mit jeder bestaubten Flasche extra und birgt sie sicher und birgt sie warm in höheren Regionen. »Oha,« sagt der Hausherr und wischt sich den Schweiß von der Stirne, »dat war en sauer Stücksken!«, setzt sich zu seiner Frau und harrt mit Ruhe der Dinge, die da kommen sollen. Und sie kommen!

      Wenn alles schläft, müde von der Arbeit des Tages, dann fängt unten im Keller ein merkwürdiges Etwas an. Es gluckst und gurgelt unter der Steinplatte, es quillt aus den Ecken, es rinnt feucht über den Boden – erst ein Rinnsälchen, dann ein Rinnsal – erst steht ein Tümpel – dann stehen ihrer zwei, drei – am Morgen ist der ganze Raum ein schwarzer unheimlicher See, am Mittag spült die Flut über die unteren Stufen der Kellertreppe, am Nachmittage steht sie ellenhoch!

      Und draußen in den Straßen? O, da sieht’s hübsch aus! Die harmlosen Rinnsteine, die sich höchstens als einzige Extravaganz zur warmen Jahreszeit ein sanftes Duften erlauben, sind schnell zum Bache geworden. Sie erweitern sich blitzgeschwind in Buchten und Bogen, sie dehnen sich ins Unendliche; aus den Abflussröhren strömt es, von überall kommt’s gelaufen, jedes Loch ein unerschöpflicher Born, es tropft, es sickert, es quillt, es schwillt, es rinnt, es stürzt – die Straßen der unteren Stadt sind Flüsse, der Markt ein Meer, auf schwanken Brettern balanciert man über die Gasse, von einer Haustür zur anderen; wo’s hoch kommt, weiter zum Rhein hinunter, steigt man gar in einen Nachen und stößt sich mit langen Stangen vorwärts. Wer da Parterre wohnt, zieht in die Beletage zu Gast, die Väter der Stadt gondeln zur Sitzung, die gestrenge Justiz, die hohe Verwaltung dito, in manchen Straßen brennen am hellen Tage noch die Laternen, man hat sie in der Eile nicht löschen können; wer Lust hat, kann jetzt das Lied von der großen Seestadt und der Wassernot anstimmen – es paßt. Aus den Fenstern gucken die Leute und lächeln bittersüß – »Ä, Grundwasser!« – Nur die Kinder haben ihre Freude; sie sind eben wie die Bienen, die auch aus giftigen Blüten Honig saugen.

      In dem freundlichen Hause, an dem hübschen Platze, unter dessen hohen Bäumen noch kein Wasser steht, nur die Rinnsteine unnatürlich geschwollen sind, blinkt auch im Keller der bewußte See. Durch die Luke fällt ein ganz schwacher Tagesschein herein auf die Mitte der stillen Flut, die Ecken bleiben dunkel; aber nun huschen zwei glitzernde Pünktchen über die schwarze Oberfläche, Kinderlachen ertönt, so fröhlich wie die Morgensonne, so traulich wie Taubengurren. Aus dem Winkel kommt langsam eine große Waschbütte geschwommen, ein Knabe steht darin und rudert mit einem Holzscheite, und neben ihm hockt ein kleines Mädchen. In jeder Hand hält sie einen Bindfaden, daran zieht sie zwei ausgehöhlte Nußschalen hinter der Bütte her; in jeder Nußschale klebt ein brennendes Wachslichtlein, das leuchtet hell und lustig wie ein Stern. Mit aufmerksamen Augen folgt das Mädchen dem Gleiten der kleinen Boote, der Knabe aber streckt das Bein über den Büttenrand, taucht ein bis weit über den Stiefelschaft und schlenkert kräftig nach rechts und nach links: »Kuckst de, das gibt Wellen!« Die Bütte schwankt, das Wasser spritzt, die Kinder jubeln laut. Weiter geht die Fahrt. »Wendekreis des Krebses!«, ruft der kühne Schiffer, daß die Wölbung wiederhallt – und nun »Wendekreis des Steinbockes!« mit majestätischer Schwenkung wird ein Lattenverschlag umfahren – »Kap der guten Hoffnung, aussteigen!« Man landet an der Kellertreppe, mit keckem Satze schwingt sich der Bube heraus, zieht mit der Linken die stolze Fregatte näher heran und hilft mit der Rechten der Gefährtin.

      Wie zierlich die kleine Mamsell sich bewegt, wie sie halb ängstlich, halb selig aufkreischt, als jetzt der Schiffsrand sich neigt und das Wasser über ihre Füßchen platscht. Nun stehen sie beide auf den schlüpfrigen Stufen, mit nassen Füßen, mit nassen Kleidern, aber seelenvergnügt. Die Wangen glühen ihnen wie rote Rosen, man glaubt selbst durch das Kellerdunkel ihre Augen glänzen zu sehen und mitten in der Moderluft den süßen Hauch der Kindlichkeit atmen. »Du, Mariechen«, sagt der größere Junge und tippt der Kleinen mit dem nassen Finger auf den blonden Krauskopf, »das war fein! Wann ich groß bin, fahr’ ich aufs Weltmeer, das is noch viel feiner.«

      »Nimmst Du mich dann mit, Karlchen?«

      »Ne,« antwortete er geringschätzig, »Mädchens fahren nich auf dem Weltmeere!«

      »O ja,« sie verzieht das Mäulchen, »die fahren doch – ich will aber mit Dir fahren.«

      »Ne, Du kannst nich!«

      »O ja,« sie verzieht das Mäulchen noch mehr und nun tropft ein Tränchen aus den großen Augen. »Du ek – li – er Jung« – sie schluchzt laut, »ich – will – mit – fahren – Du – ek – li – er« – »Sei

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