Der Schreckenswald des Hoia Baciu. Marie Kastner
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Читать онлайн книгу Der Schreckenswald des Hoia Baciu - Marie Kastner страница 4
»Das ewig Böse ist wieder erwacht! Geht hinein und ihr werdet allesamt auf grausame Weise sterben«, stieß sie mit kehliger Stimme hervor, kicherte schadenfroh – und verschwand genauso schnell und leichtfüßig, wie sie gekommen war.
Ihr eindrucksvoller Auftritt führte dazu, dass keine der Frauen freiwillig einen Fuß in den mutmaßlich verfluchten Wald setzen wollte. Alle weigerten sich hysterisch, ob Toma nun bettelte, an ihre Hilfsbereitschaft appellierte oder mit Spott drohte. Die eine oder andere bekreuzigte sich hastig.
Die Gruppe teilte sich notgedrungen auf. Während die Männer fluchend zwischen den Bäumen verschwanden, suchten die Frauen das Gebiet außerhalb ab. Wortlos, weil jede einzelne von einem unheimlichen Gefühl beschlichen wurde.
An diesem Tag wirkte alles auf unerklärliche Weise falsch, obgleich die vertraute Landschaft im strahlenden Sonnenschein vor ihnen lag. Die Vögel ließen sich nicht am Himmel blicken, auch sonst gab es kaum Geräusche. Selbst das Tageslicht wirkte verändert. Gleißend, aber wie durch graues Glas gefiltert.
Speziell die feinfühlige Tereza verspürte beunruhigt eine Art elektrisches Kribbeln, das sich in Wellen über ihren gesamten Körper zog und Gänsehaut erzeugte. Am liebsten hätte sie sich die Haut von den Knochen gerissen. Sie zweifelte mittlerweile stark an ihrer eigenen Aussage, dass Hoia im Tagesverlauf bestimmt unversehrt wieder auftauchen werde.
Die Frauen fanden auf Wegen und Wiesen jede Menge Spuren vom Vermissten und seinen Schafen – doch das war leider auch schon alles. Hinter jeden Busch spähten sie, wohl wissend, dass sich dahinter schwerlich zweihundert Schafe nebst Schäfer verbergen könnten. Achselzuckend machten sie am vereinbarten Treffpunkt Halt und warteten niedergeschlagen auf die Rückkehr ihrer Gatten, Söhne und Väter.
»Ich fürchte mich. Was, wenn wir sie auch an den Wald verlieren?«, jammerte eine ältere, hagere Frau namens Sofia, die sich zum Ausruhen auf einen flachen Felsen gesetzt hatte. Sie hielt ihre krallenartigen, runzlig-fleckigen Hände im Schoß gefaltet. Da ihr Ehemann im vergangenen Winter verstorben war, kümmerte sich seither der einzige Sohn um sie. Und der weilte gerade in einem Waldstück, das seit Generationen ein Zentrum für unerklärliche Phänomene zu sein schien.
»Pah, lass das Jammern lieber bleiben. Mir ist ohnehin schon nach Davonrennen zumute«, sagte Tereza vorwurfsvoll. »Außerdem habe ich da drüben gerade ein verräterisches Knacken gehört. Ich glaube, sie kommen!«
Alle Blicke richteten sich auf den Waldrand. Nur Sekunden später traten die herbeigesehnten Männer fast zeitgleich ins helle Tageslicht, beschirmten ihre Augen mit den Händen. Sie wirkten bei weitem nicht mehr so forsch und mutig wie noch vor zweieinhalb Stunden. Der gesuchte Schafhirte war allerdings nicht unter ihnen.
»Und?«, bohrte die vorlaute Tereza ungeduldig nach. Männer waren ja sowas von maulfaul!
»Nichts. Es sieht danach aus, als wären sie außerhalb des Waldes geblieben. Und bei euch?«
»Spuren gibt es trotz der Regenfälle, sogar jede Menge davon. Niedergetrampeltes Gras, Kot, abgerupfte Kräuter, Brotkrümel
… aber weit und breit kein Hoia, kein Hund und erst recht kein Schaf. Weder lebend noch tot«, antwortete Tereza augenrollend. Die Männer setzten sich ins Gras und wurden mit einer Vesper aus dem mitgebrachten Korb versorgt.
Am späten Nachmittag machte sich die Truppe ergebnislos auf den weiten Nachhauseweg. Mirela musste gestützt werden. Gut fünfundzwanzig Kilometer, die sie über Stock und Stein gewandert waren, steckten den hilfsbereiten Dorfbewohnern in den müden Beinen. Sie mussten die Suche schweren Herzens abbrechen, zu Hause ihre Tiere versorgen.
Tereza sah den wortkargen Männern überdeutlich an, dass sie im Wald auf etwas Unaussprechliches gestoßen sein mussten. Hatten sie womöglich Hoias Leiche gefunden und wollten ihre grausige Neuigkeit nur aus Pietätsgründen noch nicht preisgeben? So unauffällig wie irgend möglich schob sie sich beim Gehen näher an ihren Vater Toma heran.
»Was ist da drin vorgefallen? Mir kannst du es doch sagen!«, gurrte die hübsche Siebzehnjährige mit einem taktischen Augenaufschlag. Der verfehlte seine Wirkung selten, was sie sehr genau wusste. Toma wiederum kannte seine Jüngste. Die würde garantiert nicht locker lassen, bevor sie ihn nach allen Regeln der Kunst ausgequetscht hatte. So ergab er sich ins Unvermeidliche, blickte sich links und rechts über die Schultern um sicherzustellen, dass sonst niemand zuhörte, und schilderte mit leiser Stimme die Waldbegehung.
»Du erinnerst dich doch sicher, dass ich dir als Kind von einer kreisrunden Lichtung erzählt habe, auf der zu keiner Jahreszeit jemals Pflanzen wachsen? Diese Stelle wird landläufig Tanzboden des Teufels genannt. Im Winter sieht sie übrigens genauso aus wie jetzt, selbst Schneeflocken meiden sie. Rundherum liegt dann ein Meter Schnee, doch der Kreis bleibt frei.
Wahrscheinlich war noch niemand so dumm, die ebene Fläche zu betreten oder gar näher in Augenschein zu nehmen. Man spürt instinktiv, dass dies ein kapitaler Fehler wäre. Die umstehenden Bäume biegen sich weg, kein Zweig ragt hinein.
Nun, wir sind vorsichtig am Rand dieses unheimlichen Ortes entlang gegangen und haben festgestellt, dass selbst der Wind ihn zu meiden scheint. Nichts rührte sich, man hörte nichts und konnte dort nicht einmal mehr das nasse Gras riechen. Man meint, die Natur halte den Atem an. Und die Lichtverhältnisse passen nicht zur Tageszeit! Obwohl das Sonnenlicht direkt von oben einfallen müsste, wirkt die kahle Stelle düster, was ich mir überhaupt nicht erklären kann.
Wenige Meter weiter fiel Radu dann auf, dass an mehreren Bäumen einzelne Äste verbrannt aussahen und auch so rochen. Dabei kann es in diesem kleinen Wald in letzter Zeit nicht gebrannt haben, denn das hätte man weithin gesehen! Normalerweise fackeln Bäume zudem vollständig nieder, wenn sie einmal Feuer gefangen haben, nicht jeweils nur einzelne Äste, oder? So ähnlich wie die Pappel am Wegrand. Es müsste versengtes Gras zu sehen sein, oder wenigstens Rußspuren … !«
Tereza nickte mit weit aufgerissenen Augen. Ihr lief es eiskalt den Rücken hinunter, doch sie hielt Wort und wahrte das Geheimnis. Es reichte, dass sie sich durch eigene Schuld nun noch mehr als zuvor ängstigte, aber diese Erfahrung wollte sie den restlichen Frauen nicht auch noch zumuten.
Und tatsächlich, in der folgenden Nacht suchten sie fürchterliche Albträume heim. Schwitzend wälzte sich Tereza kreuz und quer durch ihr Nachtlager. Mehrfach stand sie auf, spähte mit wild pochendem Herzen durch das Fenster ihrer Kammer zur dunklen Silhouette des Waldes hinüber. Glomm dort ein grünliches Licht? Vermutlich nur Einbildung – oder doch nicht?
Das hatte sie nun von ihrer leichtfertigen Neugierde! Dieser verdammte Wald … Tereza nahm sich fest vor, so weit wie möglich vom Schauplatz des Grauens wegzuziehen, sobald sie einen lieben Ehemann gefunden hätte.
In den folgenden Wochen befragten die ratlosen Dorfbewohner jeden, dessen sie habhaft werden konnten, aber durch keines der angrenzenden Dörfer war der Hirte gewandert. Auch der örtliche Polizeiposten fahndete nach dem Verbleib von Hoia Baciu – oder gegebenenfalls seiner Leiche. Vergeblich, der Schäfer war und blieb spurlos verschollen.
Nach einem Jahr wurde für die Polizei ein ungeklärter Vermisstenfall aus der Sache. Für die abergläubischen Einwohner der Dörfer rund um den Wald stand hingegen fest, dass sich die Mächte der Finsternis Hoias bemächtigt hatten und sie ihn niemals wiedersehen würden. Sicher … es kam durchaus vor, dass Personen Verbrechen zum Opfer fielen und man sie beseitigte. Leichname wurden, soweit sie nicht begraben waren, meist von wilden Tieren gefressen. Aber