Der Schreckenswald des Hoia Baciu. Marie Kastner
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Читать онлайн книгу Der Schreckenswald des Hoia Baciu - Marie Kastner страница 6
»Was bist du doch für ein dämliches, einfältiges Weibsstück«, schimpfte Mihai abfällig. »Der Mond, pah … man sieht doch auf den ersten Blick, dass sich die Lichtquelle da draußen bewegen muss. Der Einstrahlwinkel verändert sich stetig, sieh halt gefälligst genauer hin! Und würde bloß jemand auf unserem Grund und Boden herumgehen, hätte er mitsamt seiner Laterne schon längst den Stall passiert.«
»Wenn du meinst, Meister Oberschlau«, brummte die Rumänin beleidigt. »Dann geh am besten und finde es heraus, bevor du mir Vorträge hältst. Ich mache derweil hier alles fertig.«
Um die Ehe der Stancius stand es schon seit einigen Jahren nicht mehr zum Besten. Dănuţa genoss daher jeden Augenblick, in dem sie sich nicht mit ihrem grantigen, besserwisserischen Gatten befassen musste. Für einen Augenblick beschlich sie der sehnliche Wunschgedanke, etwas Böses möge für das unheimliche Strahlen verantwortlich sein und sie für immer von diesem respektlosen Blödmann befreien.
Zärtlich strich die Frau über den Kopf eines munteren Zickleins, das sie besonders gerne hatte. Das Tier hob erfreut den Kopf, ließ sich zwischen den Hörnchen kraulen.
»Du bist mein kleiner Liebling, nicht wahr?«, flüsterte die korpulente Mittvierzigerin. Sie hatte nach einer dramatischen Fehlgeburt vor mehr als zwanzig Jahren keine Kinder mehr bekommen können, was sie unendlich bedauerte. Wahrscheinlich hatte diese traurige Tatsache maßgeblich dazu beigetragen, dass der damals total untröstliche Mihail sich emotional von ihr entfernte, bis von der Liebe kaum noch etwas übrig war. Seither stürzte Dănuţa sich ersatzweise auf jegliches kleine Wesen, um es mit ihren Gefühlen zu überschütten – egal ob Mensch oder Tier.
Draußen wurde es plötzlich stürmisch. Auffrischender Wind heulte mit schauerlichen Tönen um den Stall, pfiff unangenehm kühl durch die Ritzen und wirbelte feinen Staub auf. Die Partikel schwebten wie Fischschwärme in den Lichtstrahlen, die den Verschlag noch immer diffus erhellten. Dănuţa musste niesen, zog ihr selbstgestricktes Schultertuch enger um den Leib. Mihail war nun schon seit mehreren Minuten weg, ihr wurde nun doch ein wenig mulmig. Ob sie nachsehen gehen sollte?
Mit zitternden Händen drückte die Frau gegen die Lattentür, bis die Scharniere quietschten. Der Wind entriss ihr die Tür, so dass sie krachend außen gegen den Verschlag knallte. Erschrocken steckte sie zunächst nur den Kopf nach draußen, drehte ihn nach links und rechts. Das grelle Licht blendete ihre Augen so sehr, dass man lediglich undefinierte Formen erkennen konnte; Schatten, die mit dem sich verändernden Einstrahlwinkel chaotisch durch die Landschaft zu wandern schienen.
»Mihai?« Ihr Ruf ging im Tosen des Sturmes unter. Sie wagte sich nun ganz aus dem Bretterverschlag, tastete sich vorsichtig um die Ecke. Was sie dort zu sehen bekam, ließ ihr fast das Blut in den pochenden Adern gefrieren. Fassungslos stand sie auf der Wiese, beschirmte ihre Augen mit dem rechten Unterarm gegen die gleißende Helligkeit. Der Wind zerrte jählings an ihren Kleidern, drohte sie jeden Moment von den Füßen zu werfen. Sie wagte nicht mehr, sich zu bewegen, stemmte sich bloß verzweifelt gegen den Sturm.
Nur wenige Meter vor ihr stand die dunkle Silhouette ihres Gatten, ebenso unbeweglich wie sie selbst. Auch er schien entgeistert auf das Lichtspektakel zu starren, welches offensichtlich zugleich die Quelle der peitschenden Windböen war. Und nicht nur das … Dănuţa spürte ein Kribbeln und Krabbeln am ganzen Körper, am stärksten am Scheitelpunkt des Kopfes und in den Extremitäten. Es schwoll rhythmisch an und ebbte wieder ab, um die Sequenz gleich darauf von neuem zu beginnen.
Konnte es möglich sein, dass die grünlichen Strahlen hierfür verantwortlich waren? Sie pulsierten im selben Muster, tasteten ihren Körper mehrfach von oben bis unten ab. Sie begann gellend zu schreien, als urplötzlich das giftgrüne Leuchten mitsamt dem Kreischen des Windes erlosch und eine unheilvolle Stille zurückließ.
Für wenige Sekunden entstand eine Art starker Sog, dann ein Vakuum, das Mihai und Dănuţa brutal den Atem aus den Lungen presste. Es war indessen vollkommen windstill geworden. Eine Art dunkler Nebel umfing die aufgelöste, japsende Frau, die deshalb den Standort ihres Mannes nicht mehr ausmachen konnte. Panik befiel sie.
Auf einmal verebbten auch Dănuţas Schreie. Jegliches Geräusch erstarb, obwohl sie schon wieder nach Leibeskräften ihre Angst hinausplärrte. Ihr war, als würde ihr der Erdboden unter den Füßen weggezogen. Es gab einen Knall, ein Riss bildete sich in dem finsteren Nebelgespinst und für einen kurzen Augenblick bemerkte sie einen schmutzig wirkenden Regenbogen, in dessen fahlem Licht sich sie und ihr Mihail widerspiegelten. Die Schemen der beiden Körper wirkten durchscheinend, standen auf dem Kopf. Dann war unversehens auch dieses Schauspiel vorbei. Der Nebel wurde dünner, verflüchtigte sich in Nichts.
Verdattert standen die Eheleute in der hügeligen Landschaft, trauten sich kaum vom Fleck zu rühren. Der Spuk war vorüber, hatte nichts Ungewöhnliches zurückgelassen. Beide schlotterten am ganzen Körper, brachten keinen Ton heraus.
Erst die Laute der verschreckten Tiere im Stall führten dazu, dass Mihai Stanciu und seine Ehefrau allmählich in die nüchterne Realität zurückfanden, schließlich aufeinander zugingen und sich erleichtert umarmten. Lange Zeit standen sie, sich fest umklammernd, auf der Wiese.
»Was, um Himmels willen, war das?«, hauchte Dănuţa, inzwischen bibbernd vor Kälte.
»Ich weiß es auch nicht. Aber ich fühle, dass sich etwas verändert hat. Als hätte eine unbekannte, jedoch völlig kompromisslose Macht das Ruder übernommen. Hast du das silbrig glänzende Etwas im Licht bemerkt?«
Seine Frau nickte nur, barg verstört ihren pausbäckigen Kopf an seiner Schulter. Ihr Gehirn weigerte sich strikt darüber nachzudenken, worum es sich dabei gehandelt haben könnte. Mihais Knie fühlten sich immer noch weich an. Er führte seine käseweiße Frau zum Wohnhaus und bemerkte beim Gehen, dass der Raureif von der Wiese verschwunden war.
Von dieser Nacht an lebten die Stancius zurückgezogen, verrammelten täglich vor Einbruch der Dunkelheit alle Fenster und Türen. Sie sprachen mit keinem einzigen Menschen über ihr unheimliches Erlebnis der Dritten Art, weil sie von den weiter entfernt angesiedelten Nachbarn ihres Einödhofes möglichst nicht für verrückt gehalten werden wollten. Grausige Albträume suchten sie jede Nacht heim. Für den Rest ihres gemeinsamen Lebens schwiegen sie und warteten darauf, dass die fremdartige Macht, die ihnen eine schauerliche Kostprobe ihrer Fähigkeiten geschickt hatte, die gesamte Erde übernähme.
Doch das geschah wider Erwarten nicht. Erst auf dem Totenbett erzählte Dănuţa einem Priester, was sie in jener Nacht erbeziehungsweise überlebt hatte. Er schob das wilde Fantasieren auf den halb entrückten Geisteszustand einer Sterbenden.
*
In der Nähe des Baciu-Waldes, 18. August 1968
Bereits am Morgen dieses wunderschönen Sommertages wurden im Kreis Cluj über dreißig Grad Celsius gemessen. Bei solch einem heißen, sonnigen Wetter wollte sich kein Mensch freiwillig in geschlossenen Räumen aufhalten, auch der fünfundvierzigjährige Emil Barnea nicht. Zu seiner Freude hatte der gewissenhafte Techniker sich freinehmen und auch seine Freundin Zamfira Mattea zu einem Tag Urlaub überreden können. Sie arbeitete als Angestellte für eine Wohltätigkeitsorganisation. Begeistert hatte die Vierunddreißigjährige ihren Emil gefragt, ob sie noch zwei lieben Freunden Bescheid geben könne. Ein Autoausflug mit gemütlichem Picknick wäre doch heute genau das Richtige! Das sahen besagte Freunde dann genauso, denn ihnen war es selbst leider noch nicht vergönnt gewesen, ein eigenes Auto zu erwerben. Im Rumänien der 1950-er Jahre waren Privatfahrzeuge noch eine rare Mangelware.
Gut gelaunt fuhr die Gruppe los. Man besichtigte zusammen einige Sehenswürdigkeiten und Aussichtspunkte,