Scheidung kann tödlich sein. Andrea Ross

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Scheidung kann tödlich sein - Andrea Ross

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erhalten und das Kind tagsüber seiner Lebensgefährtin zur Betreuung übergeben oder bei der Oma lassen, wodurch sich sein eigener Stress damit in Grenzen halten würde. Klaus-Werner setzte alle Hebel in Bewegung, um dieses Ziel zu erreichen. Er spielte in der Praxis der Kinderpsychologin den verständnisvollen, treusorgenden Vater, und Ann beeinflusste er auf eine Art und Weise, die mich schier verzweifeln ließ. Ich wusste noch sehr genau, wie er sie zuvor links liegen gelassen hatte. Es folgte ein Tag, den ich nie wieder vergessen werde. Ich, Klaus-Werner und Ann vor dem Schreibtisch der Kinderpsychologin. Diese fragte, ob Ann zum Vater ziehen wolle. Ann war total nervös und unsicher, sah mich überhaupt nicht an und blickte unsicher zum Vater. Dann: ja, sie will umziehen. Breites Grinsen bei Klaus-Werner, betretener Blick bei Ann und Freude bei der Psychologin, dass sie diesen Fall endlich vom Tisch hatte. Wie ich an diesem Tag nach Hause gekommen bin, entzieht sich vollkommen meiner Kenntnis. Ich muss wohl so etwas wie einen Filmriss gehabt haben, stand unter Schock. Und Theo? Der freute sich. Er war das lästige Kuckuckskind los. Es steht ja wohl für jeden Menschen, der ein Fünkchen Gefühl in sich birgt fest, dass eine solche Beziehung allenfalls pro forma aufrechterhalten werden kann, wenn sich derartige Dinge ereignet haben.

      Und ich hielt sie tapfer aufrecht. Ich litt, ich musste fast kotzen, wenn Theo mich auch nur anfasste. Ich ließ mich beschimpfen, versuchte meinen Sohn zu erziehen und ging nebenbei zur Arbeit. Kein Mensch merkte, was bei uns los war, weil ja alle nur den Anschein einer Beamtenfamilie mit zwei Kindern wahrnahmen, der es ja so gut geht in ihrem neuen Häuschen.

      Selbstverständlich merkte auch meine Mutter absolut nichts, sie hatte ja nie etwas von meinem Seelenleben mitbekommen – mangels Interesse. Ich versuchte, mich mit Nähen, Lesen, Malen und langen Spaziergängen im Wald psychisch auf die Reihe zu bekommen. Vergeblich, mein Unterbewusstsein dankte es mir mit Panikattacken, die Krankenhausaufenthalt, Angstzustände und schließlich die ständige Einnahme von Tabletten zu meinen Begleitern machten. Ein Vierteljahr traute ich mich so gut wie nicht aus dem Haus, Autofahren durfte ich sowieso nicht. Bei einer anschließenden Psychotherapie, die mir neuen Mut und neue Kraft gab, reifte in mir der Wunsch, neben einem Leben ohne Theo auch eine Ausbildung als Psychotherapeutin zu beginnen. Günther, auf den ich zwischenzeitlich auch immer wieder getroffen war, gab mir neue Zuversicht.

      Eben diese neu erworbene Kraft war es, die mich schließlich nach einer leicht tätlichen Auseinandersetzung mit Theo nach Pleinfeld flüchten ließ. Ich hatte mich bei einem Streitthema verbal zur Wehr gesetzt, Theo konnte nicht ausreichend mitargumentieren und wollte daher das Faustrecht wieder einführen, warf mich wütend gegen die Küchenzeile. Als er abends in die Kneipe ging, packte ich Koffer und Kinder ein und fuhr zu meiner Cousine Uschi, die zwischenzeitlich in Pleinfeld mit Attila ein riesiges Haus gemietet hatte. Ich erfuhr zuvor schon von Günther, dass er dort in die Einliegerwohnung im Keller ziehen werde, Uschi habe ihm das angeboten. Das war zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht geschehen.

      Uschi quartierte uns alle ein und ich trank abends mit Uschi und Attila noch ein Gläschen Wein, kotzte mich aus. Attila sah ich während dieser zwei Tage selten, bekam von Uschi in abfälligem Tonfall als Begründung zu hören, der arbeite sowieso nur, und das Tag und Nacht. Ich besichtigte seinen Arbeitsplatz unter dem Dach auch einmal und hörte dabei Uschis Klagen, dass er zwischen sechs Computern hin und herarbeite, dann auch noch auf dem Fußboden darunter schlafe. Wahrscheinlich nehme er Drogen, ernähre sich fast ausschließlich von Kaffee. Und sie sitze alleine auf der Couch, müsse ohne ihn fernsehen.

      Ich bewunderte Attila insgeheim für sein Engagement, hatte er sich doch selbst den Beruf eines Programmierers beigebracht und versuchte nun, sich einen Kundenkreis aufzubauen. Nebenbei hatte ich noch gesehen, dass er sich nicht scheute, beispielsweise unter dem Vogelkäfig zu kehren, wenn dort Berge von Federn und Streu lagen. Uschi interessierte es herzlich wenig, wie die Wohnung aussah. Sie konnte mühelos Staub und Krümel herumliegen sehen, saß während seiner Bemühungen desinteressiert auf der Couch.

      Nach zwei Tagen Aufenthalt in Pleinfeld wurde mir klar, dass diese Flucht zwar notwendig, aber nicht die Lösung war. Ich musste zurück nach Hause, mit Theo reden. Der war erst einmal handzahm und nahm den Warnschuss durchaus als das, was er war. Aber schnell kamen dieselben Probleme wieder auf und mir blieb nichts anderes übrig, als mich mit der Tatsache der Notwendigkeit einer zweiten Scheidung abzufinden. Nebenbei zog ich mein Psychotherapie-Studium durch. Ich traf mich auch mehrfach mit Günther, vollkommen platonisch natürlich, aber trotzdem heimlich. Die Umwelt dachte schließlich nur allzu gerne schlecht über einen und würde keine Schwierigkeiten haben, Geschichtchen zu erfinden. Günther tat mir einfach gut, und umgekehrt schien dies auch der Fall zu sein.

      Günther war mittlerweile nach Pleinfeld gezogen, in die hübsche Einliegerwohnung bei Attila und Uschi. Von ihr hörte ich bei nahezu jedem Telefonat, dem Günther gehe es total gut, er schleppe ständig irgendwelche Weiber an, mit denen er jedes Mal an den See gehe. Das klang etwas abfällig, oder sogar auffällig eifersüchtig. Wie konnte man freiwillig an einen See gehen? Uschi tat so etwas niemals. Die konnte jahrelang direkt am Ufer wohnen und würde den See trotzdem nicht behelligen. Ich wurde hellhörig, weil sie auch erwähnte, dass sie selber des Öfteren mit Weinflasche und Kerze bewaffnet zu guten Gesprächen zu Günther in den Keller hinuntergehe, das sei ja so ein netter Kerl, ein Traummann eben. Schon immer gewesen. Nun ja, dieser Meinung war ich auch. Günther hatte einfach immer ein offenes Ohr, wenn jemand Probleme hatte.

      Da reifte in mir der Entschluss, mir diesen netten Kerl zu sichern, bevor die anderen, laut Uschi zahlreichen Interessentinnen oder Uschi selbst es täten. Dass Günther eigentlich schon immer mit mir zusammen sein wollte und stinksauer und neidisch auf Theo und dessen Handlungsweisen war, wusste ich schon sehr lange. Genauso war mir klar, dass die Ehe zwischen Uschi und ihrem Mann schon lange herben Krisen ausgesetzt war.

      Tatsächlich hatte Günther zu diesem Zeitpunkt gerade eine relativ doofe Tussi in Arbeit, die Bille genannt wurde. Ein unbeholfenes, genau wie Günther ständig kränkelndes Wesen. Aus heutiger Sicht hätte die auch bestens zu ihm gepasst, oder womöglich auch Uschi. Sei es drum. Und was tat ich wohl? Genau. Schon tauchte ich an Günthers Seite freudestrahlend bei Uschi auf, verschwand anschließend mit ihm in seiner Kellerwohnung. Weder Uschi noch Attila wollten sich so richtig mit mir freuen, wenn ich auch heute erst die jeweiligen Gründe dafür kenne.

      Theo, den ich sofort über die neue Situation informierte, kapierte natürlich überhaupt nicht, warum ich ihn verlassen hatte. Erst stundenlange Jammergespräche bei gemeinsamen Freunden, Kollegen und seiner Mutter konnten ihm einigermaßen ein Bewusstsein dafür vermitteln, dass er das Dilemma selber herbeigeführt hatte. Er tröstete sich dann mit einer »Neuen«, die er über ein Partnervermittlungsinstitut kennengelernt hatte.

      Die Anfangszeit mit Günther war klasse. Wir unternahmen viel, wir redeten viel, wir schmiedeten Zukunftspläne. Alles sollte besser werden, für jeden von uns. Sofort suchten wir uns eine große Altbauwohnung und waren der Ansicht, dass diesmal doch alles gut werden müsse. Zwar hatte ich, wie auch schon bei Klaus-Werner und Theo, so einen Ansatz von ungutem Gefühl in mir, dass die Übereinstimmung doch nicht hundertprozentig sei. Aber natürlich fand ich wieder Gründe, um mich zu beruhigen. Günther sei halt noch keine Familie gewohnt gewesen, sondern war bisher immer allein. Der müsse sich erst an Axel gewöhnen und wohl auch an die Tatsache, dass er nicht mehr alleine in der Wohnung war.

      Seine Pechvogelhaltung, die er bei jeder Gelegenheit zelebrierte, sah ich als Spleen und auch zum Teil als gerechtfertigt an, weil er tatsächlich dauernd Pech hatte. Er ließ kein Fettnäpfchen, keine Krankheit und keine Katastrophe aus. Hinzu trat sein Stress auf der Arbeit, auf den er ständig hinwies. Da er immerzu hektisch herumrannte, nahm ich ihm den Dauerstress auch ab und hinterfragte dies nicht. Ansonsten war er lieb zu mir, wie ein großer Bub. Wir wussten wegen meines Alters beide, dass es jetzt höchste Zeit war, wenn wir noch ein gemeinsames Kind haben wollen. Günther wollte ja schon immer Kinder. So wurde dieser Wunsch unverzüglich in die Tat umgesetzt.

      Dann erlebte ich ein sehr positives Erlebnis. An einem Besuchswochenende, als ich Ann bei mir hatte, besuchten

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