Tausend Monde. Sebastian Barry

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Tausend Monde - Sebastian  Barry

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wusste. Er sagte, er sei neunzehn. Ein rothaariger Bursche mit einem Gesicht, das das ganze Jahr über verbrannt aussah, nicht nur im Hochsommer.

      Da bekam auch John Cole ein rotes Gesicht. Wurde wütend wie ein Wels.

      »Kommt nicht in Frage, Madam«, sagte er.

      Immerhin war ich für den Anwalt Briscoe tätig, eine ungewöhnliche Beschäftigung für ein Mädchen, ganz zu schweigen von einer Indianerin. Ich glaube, John Cole hatte mich zur ersten indianischen Präsidentin bestimmt.

      Nun, ich würde Jas Jonski sehr gern heiraten, glaubte ich. Es hörte sich gut an. Ich konnte es geradezu vor mir sehen. Hatte ein Bild davon im Kopf. Ich hatte ihn nicht einmal geküsst, sah aber schon, wie ich ihm das Gesicht zum Kuss entgegenstreckte. Wenn John Cole uns nicht mehr im Blickfeld hatte, hielten wir Händchen.

      Doch John Cole, ein weiser Mann, sah die Dinge anders. Er sah die Welt nicht in rosigen Farben. Er wusste, wie es um sie bestellt war, wusste, was die Welt sagen und was die Welt schließlich tun würde. Und behielt in fast allem recht.

      Aber ich war kaum siebzehn, vielleicht gerade mal siebzehn, und was wusste ich schon von alledem? Nichts. Nun, einige Dinge wusste ich. In meinem Hinterkopf war ein schwarzes Gemälde voller Blut und Gebrüll, und das Blut quoll daraus hervor. Die weiche bronzene Haut meiner Schwester, meiner Tanten. Manchmal konnte ich mich eben doch an Dinge erinnern oder bildete mir es zumindest ein. Vielleicht behauptete ich ja nur, mich nicht erinnern zu können, weil ich mich nicht erinnern wollte – nicht einmal für mich selbst. Blauröcke, die über uns herfallen, Bajonette und Blei und Feuersbrunst und Menschenseelen, die brutal gemetzelt werden. Ich weiß es nicht. Vielleicht war’s ja auch nur das, was Thomas McNulty mir erzählt hatte. Ein rußgeschwärztes Gemälde. Doch dann die lange, klare Erinnerung an all das, was Thomas McNulty und John Cole für mich getan hatten, die mächtigen Anstrengungen, die sie unternommen hatten, um mich froh zu stimmen und mir Schutz zu gewähren.

      Thomas McNulty war zwar keine richtige Mutter, aber doch beinahe. Von Zeit zu Zeit trug er sogar ein Kleid.

      Ich dachte, wenn’s darum geht, einen Menschen froh zu stimmen und ihm Schutz zu gewähren, könnte Jas Jonski in die Fußstapfen von John und Thomas treten.

      Er war nicht gerade ein Bild von einem Mann – wie sollte er auch mit seinem geröteten Gesicht? Seine ganze Erscheinung glich der Unterseite eines herabgestürzten Baumstamms, wenn man ihn aufgerichtet hat. Nun ja, aber dass er aus zwanzig Schritt Entfernung ganz passabel aussah, das kann ich bezeugen. Ach, er war einfach nur ein gewöhnlicher Bursche, eigentlich ein mickriger Bursche, der von nach Amerika ausgewanderten Polen abstammte; doch für die Menschen in Paris zählte in Wahrheit nur eines: dass er weiß war. Er war ein Weißer. Liebe mag blind sein, aber die Stadtbewohner waren es nicht. So blind jedenfalls nicht.

      Leute, die immer wieder dieselben Dinge zu dir sagen, können dich zermürben. Ich wusste, dass Mr Hicks dachte, Jas Jonski sei verrückt geworden. Auf gewisse Weise sei er vielleicht sogar verkommen. Jemanden heiraten zu wollen, der einem Affen näher steht als einem Menschen, wie Mr Hicks es formulierte. Das alles erzählte mir Jas Jonski und war sehr aufgebracht, vielleicht aber auch ein wenig erschrocken. Obwohl Jas Jonski eine Mutter in Nashville hatte, wurde ich nie mitgenommen, um sie kennenzulernen, nichts dergleichen.

      Es kam der Tag, da ich voller Blutergüsse zur Farm zurückkehrte. Rosalee Bouguereau schrie auf, als sie mich sah, und brachte mich nach draußen zum Waschhaus, weil sie geheime Arbeit an mir verrichten musste, die die Männer nicht sehen durften. Dann führte sie mich ins Haus, zerstampfte Blätter zu einem Brei und verrieb ihn sachte auf meinem zerschundenen Gesicht.

      Als die Männer von ihrem Tagwerk hereinkamen, machte Thomas McNulty sich Vorwürfe. Er knirschte mit den Zähnen.

      »Ich verstehe nicht, wieso du ein kleines Mädchen überhaupt in die Stadt fahren lässt«, sagte Rosalee Bouguereau.

      »Ach, sei still«, sagte ihr Bruder Tennyson, aber nicht einmal er wusste, was er damit meinte. Seine eleganten Gesichtszüge waren verschleiert vor Angst.

      Es fühlte sich an, als wären sämtliche Knochen in meinem Gesicht zerbrochen wie ein fallengelassener Teller. Als ich ein paar Tage später hinausging, um mein Gesicht in die Regentonne zu tauchen, konnte ich selbst in dem zitternden Wasser sehen, dass ich keine Augenweide war. Es war derselbe Tag, an dem auch ich zu zittern begann, genau wie das Wasser. Ich zitterte zwei Wochen lang, und sogar als ich aufhörte zu zittern, könnte ich schwören, dass etwas in mir, in meinem tiefsten Innern, noch lange Zeit danach zitterte. Wie ein Querschläger, der in einer Felsenschlucht widerhallt. Damals war mein Hochzeitskleid erst halb genäht, und Thomas McNulty hatte es auf einen Stuhl mit hoher Rückenlehne drapiert, damit er es, wenn er eine freie Stunde hätte, gleich vor sich hatte und weiter daran arbeiten konnte. Es sah aus wie ein Mensch, weiß wie ein Geist.

      »Ich will nicht mehr heiraten, am besten legst du das Kleid beiseite für ein andermal«, sagte ich.

      »Gnade mir«, sagte Thomas mit dem Kummer der Weißnäherin, die Stunde um Stunde genäht hat.

      Im Haus herrschte eine Art Verzweiflung. Als wäre der Himmel eingestürzt und niemand hätte Maultiere und Seile zur Verfügung, um ihn wieder aufzurichten.

      John Cole sagte, er werde in die Stadt fahren und mit Sheriff Flynn reden.

      »Sei kein Narr«, sagte Thomas McNulty. Er sagte es freundlich, sanft.

      Es war einfach so, dass man etwas tun wollte. Wurde in jener Welt eine Missetat begangen, hatte man das Gefühl, etwas müsse unternommen werden, um sie sofort auszugleichen. Ausgleichende Gerechtigkeit. Ich glaube, so war’s schon, noch ehe die Weißen kamen. Meine Mutter erzählte immer eine Geschichte über mein Volk vor Hunderten von Jahren. Es gab eine Stammesgruppe, die unsere Sprache sprach, sich aber von uns abgesondert hatte und deren Mitglieder dazu übergangen waren, ihre Feinde nach der Schlacht zu verzehren. Sie suchten die Orte auf, an denen wir unsere Toten begruben, stahlen des Nachts die Leichen und fraßen sie. Sie versuchten sogar, uns lebendig zu fangen, um uns zu fressen. Wie ich vor Angst bebte, als ich diese Geschichte hörte! Schließlich zog unser Stamm gegen sie in den Krieg und tötete viele von ihnen. Am Ende hielten sich die Letzten in einer großen Höhle versteckt, und wir schichteten am Eingang Holzstöße auf und sagten, wenn sie nicht aufhörten, Menschen zu fressen, würden wir das Holz in Brand setzen. Sie wollten aber nicht aufhören, und so wurde das Feuer entzündet. Eine Woche lang brannte es tief im Berg.

      Doch so schrecklich es war, sich als Kind etwas derartiges anhören zu müssen, so schien es doch auch von Gerechtigkeit zu zeugen. Ausgleichende Gerechtigkeit. Etwas zu tun, um Dinge unverzüglich wiedergutzumachen. Das wollte man. Selbst wenn es bedeutete, jemanden zu töten. Andernfalls hätte noch viel Schlimmeres bevorgestanden. So empfanden auch Thomas McNulty und John Cole, das gehörte zu der Welt, in der wir zu überleben versuchten. Sie hatten die Farm gegen Tach Petrie und seine Bande verteidigt, die damals, wie gesagt, mit ihren Gewehren kamen, um uns das Geld zu rauben, das wir in jenem Jahr mit der Tabakernte verdient hatten. Sie waren so mutig wie nur irgendeiner.

      Doch wir waren arm, und zwei von uns waren Indianer.

      Und es war, wie ich bereits erwähnte, ohnehin kein Verbrechen, eine Indianerin zu schlagen. Lige Magan suchte den Anwalt Briscoe auf, der natürlich sein Freund und ein Freund seines Vaters war, um sich genau das bestätigen zu lassen, und der bestätigte es.

      Lige Magan kehrte in düsterer, nachdenklicher Stimmung zurück.

      Thomas McNulty und John Cole hatten eigentlich nichts außer mir. Ich meine, nichts, ohne das sie nicht leben konnten. Für das sie ihr Leben geben würden.

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