Das Corona-Buch. Mathias Scheben
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Welche Entwicklung nimmt nach Corona die Automobilindustrie? Die Nachfrage nach Personenkraftwagen ist in den ersten Monaten der Pandemie weltweit kräftig gesunken. Der schon vor Corona eher müde Automarkt wurde durch die zusätzliche Verunsicherung der Verbraucher weiter nach unten gedrückt. Mit der plötzlichen Angst um den Arbeitsplatz, um die Gesundheit oder gar die Existenz schoss die Kauflust der Deutschen in den Keller.
Die Zeiten sind schon lange vorbei, in denen wir uns alleine deshalb ein neues Auto kauften, weil der Nachbar sich einen Neuwagen vor die Türe stellte. Laut Zulassungsstatistik des Kraftfahrtbundesamtes sind fast ein Viertel (23,4 Prozent) der Autos in Deutschland älter als 15 Jahre, das sind mehr als 11 Millionen Fahrzeuge. Ein knappes Zehntel des Gesamtbestandes ist älter als 20 Jahre und jedes 50. Fahrzeug hat mehr als 30 Jahre auf dem Buckel. Viele Bewohner großer Städte kommen inzwischen praktischerweise gut und gerne sogar ohne eigenen Wagen aus. Das Fahrrad ist dem Pkw zweckmäßige und nachhaltig sinnvolle Ergänzung und Konkurrenz. Vom gesunden Spaziergang, vom entspannten Schlendern bis hin zur eiligen Schrittfolge gar nicht zu reden!
Wer von uns ein Auto braucht, der leiht sich im Bedarfsfall eines oder muss sich trotz aller Bedenken tatsächlich eine Karre kaufen. Wir achten dabei nun aber mehr auf Format und Folgekosten als auf Farbe und Fahrkomfort. Wir protzen nicht mit Hubraum, sondern bedenken den knappen Parkraum in Stadt und Land: Kleinkarierte Parkplätze im öffentlichen Raum und in traditionellen Parkhäusern machen uns zusätzlich vernünftig.
Große und stark motorisierte Fahrzeuge, vor Jahren noch der Stolz mancher Führerscheinbesitzer, sind bei uns eh in den beschämenden Ruf als Proletenpanzer gekommen. Wozu sind sie gut, diese peinlichen Umweltschädlinge, lärmenden Zuhälterboliden, lächerlichen Angeber-Karren? Sie sind schlecht, zumal in ihrer Funktion als Tötungsinstrumente, wenn sie bei verbotenen Autorennen Mord und Totschlag anrichten. Da hilft auch eine ab Januar 2021 höhere Besteuerung nicht.
Sollten wir einen fahrbaren Untersatz benötigen, dann wählen wir ein zweckmäßiges Gefährt. Wir werden es nicht lieben, sondern mit Vorsicht benutzen und unter den Gesichtspunkten der Sicherheit pflegen. Luxus dem Loddel, basta. Wer sich aber vom eigenen Wagen als Statussymbol partout nicht trennen mag, der kann sich beim Fahren in Bus und Bahn eine Anstecknadel mit dem Hersteller-Logo oder dem Auto-Modell seiner Wahl ans Revers heften. Das mag ihn billig zu etwas „Besserem“ machen. „Identity Signs dieser Art gibt es aus Messing und Kupfer, in edler Matt-Glanz-Ausführung, farbig feueremailliert, als Relief und voll- oder halbplastisch. Und in Siebdruck und Email-le“, heißt es beim Hersteller.
Wenn wir uns mit weltlichen Devotionalien schmücken, die uns als Fans eines bestimmten Fußballvereins ausweisen, warum dürfen wir nicht zeigen, welchen Wagen wir in der Garage haben, hatten oder gerne hätten? Wir müssen aber nicht alles machen, was wir dürfen. Diese Einsicht hat uns das Corona-Erlebnis in den Tagen der ersten Lockerungen mitgegeben.
Kaum ebbte die erste Welle der Corona-Pandemie in Deutschland ab, taten sich die großen deutschen Automobilhersteller mit den Ministerpräsidenten der Länder zusammen, in denen sie hierzulande produzieren. Es ging ihnen darum, dem darniederliegenden Absatz mit staatlichen Fördermitteln wieder auf die Sprünge zu helfen. Alleine für Deutschland rechnet die Autoindustrie mit einem Zulassungs-Minus von 35 Prozent. Ob Diesel-, Benzin- oder E-Auto – der Verkauf aller auf Halde stehenden Wagen sollte mit Steuergeld bezuschusst werden. Kritik zu diesem Ansinnen kam von allen Seiten – nur nicht aus dem Verkehrsministerium, dem Hindernis auf dem Weg zur Verkehrswende.
Bei den Kritikern hieß es, die deutschen Autofirmen sollten, statt um Geld für Unverkäufliches zu betteln, lieber ihre E-Autos zu ernst zu nehmenden Fahrzeugen aufpäppeln. Es sei nötig, Abschied zu nehmen von all den Antriebsarten, die den Klimawandel beflügeln. Außerdem sei es für die meisten Verbraucher angesichts der Pandemiefolgen eh nicht die Zeit, sich ein neues Automobil zu kaufen. Und wenn doch, dann würden mit Hilfe der Mitfinanzierung aus Steuergeld wohl eher kostengünstige Kleinwagen ausländischer Produktion gekauft, wie 2009 gesehen.
Damals hieß die staatliche Hilfe im Volksmund „Abwrackprämie“. Wie auch immer, das Auto ist nicht mehr ein Objekt der Begierde, und überflüssige Geldausgaben sind in dieser Zeit eh nicht „in“: Lediglich 9 Prozent der Bevölkerung sprachen sich zur Jahresmitte 2020 für eine unspezifische staatliche Kaufprämie aus, 28 Prozent befürworteten sie für umweltfreundliche Autos. 61 Prozent lehnten eine Auto-Kaufprämie laut einer Umfrage des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) generell ab. Schließlich wurde Mitte 2020 beschlossen, nur den Erwerb von E-Autos zu bezuschussen. Die Lobby der Autoindustrie, inzwischen offenbar ohne Bodenhaftung, stand düpiert da, und es wurde deutlich, dass nun die Arbeitnehmer bei VW, Daimler etc. für die Fehler der Automanager werden büßen müssen.
Ohne funktionierenden Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) wird es eine Verkehrswende schwer haben. Kleinere, wendige Busse, die je nach Passagieraufkommen in individuellen Minutentakten ihre Routen fahren, sollten die überlangen Vehikel ersetzen, die auch als Gelenkmodelle kaum die Kurven in der Innenstadt kriegen. Kleine Busse kosten mehr Fahrerpersonal – solange die Fahrzeuge nicht automatisch fahren – und schaffen damit zunächst einmal Arbeitsplätze.
Verantwortliche sollten sich das Dolmuş-System der Türkei ansehen und prüfen, ob es sich nicht unter gewissen Voraussetzungen auch in Deutschland realisieren lässt: Städtische Sammeltaxis, elektrisch oder mit Wasserstoff angetrieben, fahren feste Strecken und Haltestellen an, kommen ohne starren Fahrplan aus, stoppen aber zuverlässig binnen höchsten 15 Minuten vor dem wartenden Fahrgast. Natürlich sind die Fahrten dann kostenlos, oder wir bezahlen einen pauschalen Betrag, unabhängig von der Länge der Fahrtstrecke. Die innerstädtischen Routen sind so aufeinander abgestimmt und verzahnt, dass wir, durch flottes Umsteigen an nahezu jedem Haltepunkt, rasch und sicher ans Ziel kommen.
Für europäische Binnenstrecken möge der Bahn die Zukunft gehören, auch wenn in den ersten Monaten der Corona-Krise 90 Prozent weniger Menschen von der Bahnsteigkante zugestiegen sind. Vor 2022, so die Bahnchefs, werde sich die „Normalauslastung“ der Züge nicht einstellen. Denn wir werden wegen der vielen Videokonferenzen deutlich weniger reisen und wegen der latenten Ansteckungsgefahr die Enge in den Waggons meiden. Andererseits wird mancher Monteur oder Manager im innerdeutschen Reiseverkehr lieber den Zug als den Flieger nehmen. Wer freilich mit sicherem Abstand reisen will, der schätzt seinen Pkw als individuelle „Schutzhütte“ und profitiert dabei ein wenig von den niedrigen Spritpreisen.
„Die Verbraucher werden vorsichtiger und den Euro öfter umdrehen“, sagt der Professor für Soziologie und Präsident der Universität Trier, Dr. Michael Jäckel. Die Erfahrungen der Corona-Krise hätten ein neues „Knappheitsbewusstsein“ entwickelt, meint er. Uns sei die „Verletzlichkeit der Art und Weise, wie wir leben, wie wir wirtschaften, deutlich vor Augen geführt worden“. Wir sind wohl ein wenig „geerdet“ worden, meint Jäckel. Nicht nur in Sachen des eigenen Autos. Er erwartet generell, dass „dieses neue Gefühl zu einem etwas verantwortungsvolleren Umgang führt – mit der Art und Weise, wie wir uns ernähren, wofür wir und wo wir unser Geld ausgeben, auch wo die Produkte herkommen“.
Die neue Sparsamkeit: Zu viel Konsum kompensiert Angst
In diesem Anfang liegt kein Zauber: Das Elend des unnützen Überflusses beginnt bei unseren Anschaffungen. Kaufrausch und der 10-Sekunden-Orgasmus bei der Selbstbefriedigung an der Ladenkasse machen uns im