O du fröhliche, o du grausige. Friederike Schmöe

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O du fröhliche, o du grausige - Friederike Schmöe

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und bleiben im Parkhaus stecken. Dann meckern sie rum, dass der Beton sich nicht dehnt. Extra für sie. Sonst noch Fragen?«

      »Gibt es irgendwelche Details?« Sie drückte die Kippe aus und kramte in der Jeanstasche nach der Packung mit den Mentos.

      »Als Schmankerl für die Leser Ihrer Zeitung?«

      »Nein, als Hinweis auf etwas, das wichtig werden könnte, um herauszufinden, wer sie überfahren hat.« Sie schob sich ein Bonbon in den Mund.

      »Sie starb nicht gleich. Brach zusammen und lag dann benommen auf der Straße, vielleicht auch ohnmächtig.« Der Pathologe hustete wieder. »Wahrscheinlich wurde sie bei hoher Geschwindigkeit gerammt. Der Aufprall schleuderte sie seitwärts auf den Acker. War wohl keine sanfte Landung, sie hat sich dabei die Schädelbasis gebrochen. Ihr Anorak ist ganz voller Erde. Schätze, sie schaffte es, ein paar Meter zum Weg zurückzurobben, bevor sie gänzlich zusammenbrach. Ohnmächtig wurde oder auch nicht. Die Lage der verletzten Knochen lässt darauf schließen, dass sie sich noch einmal bewegt hat. Gekrochen ist, vermutlich.«

      Bella ließ das sacken. Vor ihren Augen flackerte das Blaulicht über die schneebedeckten Äcker.

      »Sie meinen, die Frau hat alles bei Bewusstsein mitbekommen?«

      »Um das sicher sagen zu können, müsste ich Hellseher sein. Wir checken noch, ob sie Alkohol oder Drogen im Blut hatte. Immerhin ist ein Flurbereinigungsweg in der Nacht auch nicht das Gelbe vom Ei für eine Frau heutzutage, wie?«

      »22 Uhr. Noch nicht ganz Nacht.«

      »Finster aber trotzdem.« Der Pathologe schnäuzte sich. »Verzeihung. Schnupfenviren sind so ziemlich das Gefährlichste, was wir in unseren Breiten haben. Absolut tödlich, wenn man’s zu Ende denkt. Glaubt nur keiner.«

      »Ich habe die Frau gefunden.«

      »Oh.« Er schwieg einen Moment. »Tut mir leid. Keine angenehme Erfahrung.«

      »Sie ist gestorben, während ich neben ihr hockte und auf den Rettungswagen wartete.«

      »Wie gesagt, es gibt Entspannenderes. Wollen Sie deshalb drüber schreiben?«

      Ich will drüber schreiben, weil ich eine Chance suche, endlich wieder als feste Mitarbeiterin zu einer Redaktion zu gehören. Als eine mit richtigen Storys. Mit einem richtigen Gehalt. Mit Urlaub und Weihnachtsgeld.

      »Mein Redakteur hat mir die Angelegenheit zugeteilt.«

      »Tja, der Ober sticht den Unter, nicht?«

      »Auf welches Alter schätzen Sie sie ungefähr?«

      »Sie war um die 20. Eher jünger als älter. Ich muss jetzt weiterarbeiten.«

      »Danke für die Auskunft.« Bella legte auf.

      Der Typ nervte, aber er hatte recht: Welche Frau würde gern nachts bei Schneetreiben auf den Äckern herumspazieren? Kaum eine.

      Und welcher Irre raste mit einem SUV in der Dunkelheit mit hoher Geschwindigkeit über die »Narbe«? Es gab zu viele Irre.

      Bella legte den Stift weg. Auf ihrem Zettel stand ganz unten:

      Wer ist sie?

      Warum war sie nachts auf der »Narbe«?

      5

      »Papa, ich muss kurz weg. Kommst du zurecht?«

      Josef Blum richtete seinen hageren Körper auf. Eben noch hatte er über Diethards Tablet gebeugt eine Netflix-Serie angesehen.

      »Natürlich, Melanie.«

      Sie setzte sich neben ihn. »Bella.«

      »Ach. Bella.« Ein Lächeln leuchtete auf. »Meine Lieblingstochter. Wo ist denn Melanie?«

      »In Bamberg. Sie studiert, Papa, und hat ihre eigene Studentenbude.«

      »Stimmt, stimmt.« Josef strich sich über die Stirn, als geriete er ins Schwitzen bei dermaßen vielen Informationen. »Wann kommt sie denn heim?«

      »Vielleicht am Wochenende«, wich Bella aus, wohl wissend, dass ihr Vater die Antwort bald vergessen haben würde. Ihre Tochter Melanie probierte sich gerade in ihrem eigenen Leben aus, hatte einen Freund, einen gewissen Ed, ein schlaksiger Knabe, der seinen Pubertätspickeln noch nicht ganz entwachsen war. Manches Mal hatte Bella Melanie gebeten, bei ihrem Großvater nach dem Rechten zu sehen, vielleicht ein- oder zweimal die Woche, aber selbst dazu war Melanie sich zu fein gewesen.

      »Am Wochenende.« Josef Blum blickte auf seinen Arm. »Warum habe ich den Gips?«

      »Das ist nur eine Schiene, Papa, keine Sorge. Die kommt bald weg. Nur um deine Knochen zu stabilisieren, verstehst du?«

      Josef hatte sich vor zwei Wochen die Hand gebrochen. Die anschließende Operation inklusive Narkose hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen. So sehr, dass Bella ihn zu sich nach Hause holte, wo er nun in Melanies Zimmer wohnte und zunehmend die Orientierung verlor.

      »Wann werde ich eigentlich operiert?«

      Er fragte ab und zu nach. Dabei war er längst operiert. Bella brach es das Herz, wenn er sie so konfus und ängstlich ansah, als fürchte er sich jedes Mal neu vor dem Eingriff.

      »Du hast es schon hinter dir. Vor 14 Tagen. Weißt du noch?« Bella hatte jede freie Minute bei ihm in der Klinik verbracht, weil er extrem abbaute und seine Verwirrung sich nur legte, wenn er seine Tochter bei sich hatte. Ihren Redakteur hatte sie mit permanenter Abwesenheit auf die Palme gebracht und ihre Artikel nach diversen Abendterminen in tiefer Nacht getippt.

      »Ach so? Wie gut!« Erleichtert wandte der alte Mann sich wieder dem Tablet zu.

      »Schau dir in Ruhe deine Serie an!« Bella küsste ihn auf die stoppelige Wange. »Ich bin nur kurz weg, in Ordnung?« Für Momente überlegte sie, ob sie ihre Nachbarin Hilde bitten sollte, ihrem Vater Gesellschaft zu leisten, verwarf den Gedanken jedoch gleich wieder. Hilde nervte auf ganzer Linie und stellte ohnehin dermaßen viele Ansprüche an Bella, dass sie besser unsichtbar blieb. Wenn sie daran dachte, dass sie ab Sonntag für den dörflichen Weihnachtsmarkt eingespannt war, wurde ihr blümerant. Wie jedes Jahr erwartete Hilde Kaminsky und mit ihr die Dorfgemeinschaft, dass jeder sich mit allen seinen Mitteln und Kräften für den Weihnachtsmarkt engagierte. Bella hatte bereits daran gedacht, Diethard zu bitten, seinen Jahresurlaub auf die Vorweihnachtszeit zu legen, um dieser Verpflichtung zu entkommen. Aber Hilde war unerbittlich. Als nicht berufstätige Vollzeitmutter ans Haus gefesselt, welches ihre beiden pubertierenden Söhne Tim und Simon täglich in wildes Chaos verwandelten, suchte sie sich Bestätigung im Organisieren des Dorflebens. Der Weihnachtsmarkt war darin der uneingeschränkte Mittelpunkt, sozusagen Epizentrum des wahren und rechten Lebens.

      Josef war bereits in seinen Film vertieft.

      Rasch schlüpfte Bella in ihren Anorak und glitt aus dem Haus.

      6

      Bella bremste den Mini ab. Es schneite aus grauen Wolken. Friedfertiges Grauweiß bedeckte die »Narbe«. Von Seiten des Dorfes war der Flurbereinigungsweg durch Flatterband gesperrt. Vermutlich auch von der Siedlungsseite.

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