O du fröhliche, o du grausige. Friederike Schmöe

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O du fröhliche, o du grausige - Friederike Schmöe

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grobschlächtige Mann hinter dem Steuer ließ das Fenster herunter. »Was ist das denn für eine Sauerei!«

      »Wolltest du in die Siedlung?« Bella grinste in sich hinein. Ferdinand Weißgerber, ein eingefleischter Dörfler, mied die Neubausiedlung wie Pest und Cholera.

      Er schlug mit der Pranke auf sein Lenkrad. »Dass so etwas bei uns passiert! Fahrerflucht! Sauerei.«

      Bella nickte. »Ganz meine Meinung.«

      »Dem breche ich alle Knochen, der das gemacht hat.« Er ließ das Fenster hoch und wendete, dass der Schnee nur so spritzte.

      7

      Zufrieden klickte Bella auf »senden«. Ihr Artikel für die morgige Ausgabe würde noch rechtzeitig in der Redaktion sein. Nach dem mühsamen Mittagessen mit ihrem Vater, der wie ein trotziges Kind das Gemüse auf dem Teller herumschob, hatte sie ihn dazu gebracht, sich hinzulegen. Eine geschenkte Stunde, in der sie sich abgemüht hatte, die wenigen Informationen zu einem Bericht zusammenzustellen, der genügend Fragen beantwortete, aber auch noch Raum für Neugierde ließ. Der Todesfahrer musste wahrscheinlich jemand aus dem Dorf oder der Siedlung gewesen sein. Bei dem Aufprall war in der Karosserie des Wagens mit Sicherheit eine Delle entstanden. Früher oder später fiele das auf. Bella rieb sich die Hände. Wie in den beiden Jahren vor Melanies Geburt, als sie für das damals gerade stark gewordene Lokalradio als Reporterin arbeitete, genoss sie das fiebrige Gefühl, an einem Rätsel dran zu sein, das verzwickt, aber dennoch zu knacken war. Wie das Kreuzworträtsel freitags in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die Diethard abonniert hatte.

      Doch jetzt begann das Modul »Freizeit«.

      Die bestand darin, nach ihrem Vater zu sehen. Josef kam mit seiner verbundenen Hand gut zurecht, und auch sonst war er mobil genug, um im ganzen Haus umherzutrotten und mitunter Dinge von ihrem angestammten Platz zu einem anderen zu bringen. Bella und Diethard versuchten sich anzugewöhnen, Portemonnaies, Schlüssel und Handys samt Ladekabeln im Schlafzimmer unter Verschluss aufzubewahren. Natürlich vergaß einer von beiden das meistens. Erst gestern Morgen hatte es eine Krise gegeben, weil Diethard seinen Autoschlüssel nicht finden konnte. Sein Schwiegervater hatte ihn in der Gästetoilette auf einer Ersatzklorolle deponiert.

      Bella stand vom Stuhl auf, das Ziehen im Kreuz ignorierend. Sie musste sich dringend um einen besseren Schreibtischstuhl kümmern, das alte Ding würde ihr noch das Rückgrat brechen. Die meisten Möbel in ihrem winzigen Studio stammten aus vergangenen Dekaden: Schreibtisch, Rollschrank und Aktenablage hatte sie von ihrem Vater abgestaubt, als der in Pension ging und keinen Wert mehr darauf legte, täglich Stunden in einem Arbeitszimmer zu verbringen.

      Auf dem Flur knipste sie das Licht an. Draußen war es schon fast wieder dunkel. Hatte sie doch länger als gedacht hier gesessen? Auf dem Treppenabsatz blieb sie stehen.

      »Papa?«

      Stille im Haus.

      Nicht nervös werden, Bella.

      »Papa?«

      Nichts. Sie sah rasch in die Zimmer im ersten Stock, ließ auch das Bad nicht aus, flitzte dann nach unten. Das Wohnzimmer: leer. Küche: leer. Gästetoilette: leer. Diele: leer. Josefs Winterstiefel standen ordentlich auf der Abtropfmatte.

      Fuck!

      Wenn er ausgerückt ist und draußen zu Schaden kommt, verzeihe ich mir das nicht.

      Hektisch schnappte Bella ihren Anorak, stieg in ihre Boots und griff nach der Taschenlampe.

      Kann das sein, dass er weg ist und ich nichts gemerkt habe?

      Der verdammte Artikel hatte sie total in Beschlag genommen. Bella riss die Haustür auf. Es regnete. Oder graupelte. Irgendwas zwischen Regen und Schnee. Rasch sah sie auf die Uhr. Halb vier. Ihr fiel auf, dass die Beleuchtung nicht ansprang. Wahrscheinlich stimmte etwas mit dem Bewegungsmelder nicht. Sie betätigte den Schalter. Das Außenlicht warf einen milchigen Lichtkegel in den düsteren Garten.

      »Papa?« Bella lief ums Haus herum.

      Bitte, liebes Universum, sorg dafür, dass er wenigstens hier im Garten ist.

      Auf der Terrasse wartete die Gartengarnitur auf den Frühling. Das konnte noch dauern. So ungefähr vier Monate, rechnete Bella resigniert nach. Ihr Mund war ganz trocken. Sie warf einen Blick über die Buchsbaumhecke. Drüben bei den Kaminskys brannte das Terrassenlicht. Die Jungs hatten sich an einem Schneemann versucht, der mittlerweile schlapp in den Seilen hing. Mit 14 mochte man sich noch auf den Winter freuen. Später war alles nichts als Mühsal. Winterreifen, Streusalz, Stürze, Auffahrunfälle, Winterdepression. Sie kniff die Augen zusammen. War das nicht …

      »Papa!«, rief sie nun lauter.

      Ihr Vater stand auf der Terrasse der Kaminskys und spähte ins Wohnzimmer, beide Hände um die Augen gelegt. Bella schwankte zwischen Erleichterung, ihren alten Herrn auf dem Radar zu haben, und Ärger, dass er sich ausgerechnet bei den Kaminskys herumtrieb. Nun würde sie in Hildes Fänge geraten und …

      Die Terrassentür drüben wurde geöffnet.

      »Aber Herr Blum!«, flötete eine Stimme.

      Bella machte, dass sie sich durch die Hecke quetschte.

      »Papa!«, rief sie. »Hilde! Entschuldige bitte!«

      Ihre Nachbarin stand in der Terrassentür, blinzelte betont verwirrt in Bellas Richtung und schaffte es, gleichzeitig Josef anzustrahlen, der ohne Jacke und in Hausschuhen nun die Hand ausstreckte und Hildes schüttelte. Hilde Kaminsky lachte. Das blonde Haar, das nach neuer Farbe und einer Feuchtigkeitsspülung förmlich schrie, stand in alle Richtungen ab.

      »Meine Güte, Herr Blum, schön, dass Sie mal reinschauen! Ich freue mich immer über Besuch! Sie wissen doch, ich bin den ganzen Tag mit den Buben allein, und bis Herbert abends nach Hause findet …«

      »Ja, wir Männer sind Rabenväter.« Josef grinste spöttisch.

      Womit er nicht ganz falsch liegt, wenngleich er sich selbst wahrscheinlich nicht dazurechnen würde, dachte Bella. Die Alltagsprobleme hatte Josef in ihrer Kindheit gern seiner Frau überlassen, um dann bei besonderen Anlässen hart durchzugreifen. Seine Autorität als Familienoberhaupt klarzumachen. Obwohl Bella als sein Liebling kaum ins Fadenkreuz geraten war.

      »Kommt doch rein! Hallo, Bella!« Hilde zwinkerte ihr zu.

      »Danke, Hilde, wir müssen heim, ich habe das Abendessen auf dem Herd.«

      Gelogen. Sie weiß es wahrscheinlich. Egal. Ich will jetzt nicht bei Kaminskys auf dem Sofa hocken.

      »Nur kurz, bitte, Bella. Dein Vater ist ganz durchgefroren.«

      Verdammte Schuldgefühle.

      Mein Vater, der seinen Sohn im Winter ausgesperrt hat. Um es ihm mal zu zeigen.

      Genervt streifte Bella die Stiefel und mit ihnen die de­­struktiven Erinnerungen ab und folgte ihrem Vater in Hildes Wohnzimmer. Das wohlorganisierte Tohuwabohu einer Familie mit 14-jährigen Zwillingsjungen umfing sie. Technikkram lag herum, Zeitschriften, Radhelme, Parkas.

      »Ich mache uns einen Tee. Nicht wahr, ein Tee tut jetzt gut, oder Herr Blum?«

      Josef

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