Kalte Nacht. Anne Nordby

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Kalte Nacht - Anne Nordby

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Skagen überlegt, welche Ausrede er Göran am Abend auftischen könnte, um aus der Sache möglichst schadlos rauszukommen, ruft dieser die zweite Runde der Suche aus und weist die Kollegen anhand der Karte in den neuen Quadranten ein. Diesmal würden sie in das unbesiedelte Waldgebiet östlich des Hauses vordringen. In parallelen Reihen und bewaffnet mit ihren Stäben schwärmen die Polizisten aus.

      »Ein Mantrailerhund wäre hilfreich«, schlägt Skagen vor. »Steht Ihnen einer zur Verfügung?« Er blickt Göran an.

      »Nicht in Karlskrona. Den müssten wir in Malmö anfordern. Ich rufe gleich mal an. Wenn wir die Frau heute nicht finden, können wir den morgen vielleicht einsetzen. Vorausgesetzt, wir kriegen einen.« Göran holt sein Handy hervor. »Und was haben Sie jetzt vor?«

      »Ich werde den nächstgelegenen Nachbarn befragen, falls das okay für Sie ist.«

      Göran streckt seinen Daumen hoch und beginnt mit jemandem am Telefon zu sprechen.

      Skagen will den Weg zu Fuß zurücklegen, denn weit ist es nicht. Während er der staubigen Auffahrt bis zur asphaltierten Straße folgt, taucht vor seinem inneren Auge der rote Volvo der Nowaks auf, wie er von hier aus zu seiner letzten Fahrt aufbricht. Der Wagen biegt auf die Straße ein und fährt in Richtung Hultsjö, wo er die Hauptstraße in Richtung Süden nimmt und dann … Weiter kommt Skagen mit seinen Gedanken nicht, denn ihm fehlen zu viele Puzzleteile. Er sollte sich die Unfallstelle ansehen, vielleicht bekäme er dadurch ein Gefühl dafür, was an dem unglückseligen Abend vor zwei Tagen geschehen ist.

      Am Schild »Ärkilsgård« lenkt er seine Schritte auf den Feldweg, der zu dem Hof führt, dabei klatscht er eine Mücke auf seinem Unterarm tot. Diese Plagegeister sind wirklich überall. Nach einer Weile weicht der Wald zurück und macht Platz für eine von einer niedrigen Steinmauer umfangenen Weide, auf der Islandpferde und Ziegen grasen. Hundert Meter weiter entdeckt Skagen auf einer Rodung drei nagelneue baugleiche Ferienhäuser. Sie blicken auf einen kleinen See, der einladend kühl schimmert. Vor zwei Häusern stehen Autos mit deutschen Kennzeichen, unten am Steg spielen lachende Kinder. Herr Dahlberg verdient also nicht nur mit der Landwirtschaft sein Geld, sondern auch mit Tourismus. Clever.

      Skagen folgt dem Weg und gelangt schließlich zu einem Gutshaus. Aber anders als vermutet, ist es von eher schlichtem Baustil. Allein die Lage lässt es idyllisch wirken.

      Gegenüber dem Wohnhaus befindet sich eine langgestreckte Scheune, vor deren Tor ein Traktor parkt. Auf dem Rasen daneben reihen sich diverse kleinere Gebäude aneinander. Von mehreren Gäststugas bis hin zu einem Pavillon ist alles vertreten.

      Schmunzelnd öffnet Skagen das Tor zum sorgfältig gepflegten Vorgarten, in dem die schönsten Blumen blühen. Bei dem Wetter müssen diese sicherlich zweimal am Tag gegossen werden, wenn nicht gar häufiger. Eine Heidenarbeit. Er steigt die Stufen zum Eingang hinauf und sucht nach einer Klingel, aber es gibt lediglich einen altmodischen Klopfer. Er greift den Ring und will ihn fallen lassen, da wird die Tür aufgerissen und eine ältere Frau blickt ihn erschrocken an.

      »Huch!«, ruft sie und legt eine Hand auf ihre Brust. Ihre Haare sind knallrot, genau wie ihre Lippen. Modischer Schmuck in Form von geometrischen Figuren baumelt an ihren Ohren. »Wer sind Sie?«

      »Tom Skagen von der Polizei, Sondereinheit Skanpol.« Er zeigt seinen Ausweis vor. Während die Frau das Dokument aufmerksam studiert, erklärt er, dass er Herrn Dahlberg im Ort getroffen und dieser ihm gesagt hätte, er könne gern vorbeikommen.

      »Das sieht Ture ähnlich«, entgegnet die Frau und gibt Skagen den Ausweis zurück. Sie äugt auf den Parkstreifen vor ihrem Gartenzaun. »Entschuldigen Sie, aber mein Mann ist noch gar nicht zurück, und ich hab es furchtbar eilig. Ich muss dringend in den Ort. Können Sie vielleicht später …?«

      Im Hintergrund ertönt das Geräusch von Reifen auf Schotter und Skagen dreht sich um. Der rote Pick-up hält vor dem Tor, die Wagentür geht auf und Herr Dahlberg steigt aus, hinter ihm springt der Hund aus dem Auto und läuft schwanzwedelnd auf Skagen zu. Neugierig beschnuppert Nelly sein Hosenbein, während er das dicke Fell des Elchhundes streichelt. Als Nelly genug hat, läuft sie schnurstracks ins Haus, von wo man es einen Augenblick später laut schlabbern hört.

      »Ah, der Herr von der Polizei«, ruft Dahlberg erfreut aus und streckt ihm seine raue Pranke entgegen. Er drückt so fest zu, wie Skagen es von einem Landwirt erwartet. »Willkommen auf dem Ärkilshof. Das ist übrigens der Name meines Ururgroßvaters. Unsere Familie ist sehr standorttreu, müssen Sie wissen. Na, dann treten Sie ein und trinken Sie etwas mit uns. Es ist viel zu heiß. Puh!« Er wedelt mit der Mütze vor seinem Gesicht. »Lisa, bist du so lieb und setzt einen Kaffee für uns auf?«

      »Ähm, Ture?« Frau Dahlberg zupft ihren Mann am Ärmel, dabei wandert ihr Blick vielsagend zwischen ihm und Skagen hin und her.

      »Was ist denn, Lisa? Rück raus damit. Unser Gast kann es ruhig hören.«

      »Wenn du meinst«, erwidert sie wenig überzeugt. In ihre Miene hat sich Misstrauen geschlichen. »Im Dorf erzählen sie herum, dass du mit Frau Nowak gesehen wurdest. Malin hat mich eben angerufen. Sie sagt, jemand habe beobachtet, wie du mit Frau Nowak im Auto durch den Ort gefahren bist. Am Tag des Unfalls!«

      19

      In dem karg dekorierten Lokal von »Melkers Pizza« herrscht eine feindselige Atmosphäre. Nicht nur, dass alle im Dorf eine eigene Meinung zu den Geschehnissen rund um die Nowaks zu haben scheinen, es wirkt auch so, als sei allein die Anwesenheit der Polizei ein Reizthema. Dabei wollen Maja und Jokke lediglich schnell zu Mittag essen, bevor sie ihre Befragungen fortsetzen. Aber in dem Moment, als sie bei dem Mann hinterm Tresen – seines Zeichens Melker Bolinder persönlich – zweimal Pizza Tonno bestellen, betritt eine Gruppe Waldarbeiter das Restaurant und fängt beim Anblick ihrer Uniformen sofort an, herumzustänkern.

      Maja lässt sich nicht beirren und stellt den Waldarbeitern trotzdem ihre Fragen. Dabei zeigt sie ihnen das Foto von Tina Nowak, was die Stimmung nicht unbedingt verbessert. Immerhin sehen die fünf Motorsägenkünstler sich das Bild an, und tatsächlich meint einer von ihnen, Tina gesehen zu haben.

      »Und Sie sind sicher, dass es diese Frau war, die bei Herrn Dahlberg im Auto saß?«, hakt Maja vorsichtshalber noch einmal nach. Aus dem Augenwinkel beobachtet sie, wie im Hintergrund eine blonde Frau zum Handy greift.

      »Absolut sicher. Dahlberg ist mit ihr in seinem Pick-up in Richtung Emmaboda gefahren. Hab mir nix dabei gedacht, da sie ja Nachbarn sind und so«, antwortet der fetteste der Kerle.

      »Wann war das?«

      »Am Dienstagvormittag.«

      »Mann, Fredde, willst du der Politesse deine ganze Lebensgeschichte erzählen?«, schnauzt einer der anderen Männer. »Ich will endlich was essen. Hab Kohldampf.«

      »Ich bin aber noch nicht fertig mit meinen Fragen.« Maja bleibt hartnäckig. Die Kerle jagen ihr keine Angst ein.

      »Scheiße, ich will jetzt meine Mittagspause machen und zwar ohne, dass mir die Bullen auf die Eier gehen.«

      »Sind Sie Stammgäste?«, fragt Maja gelassen.

      »Und ob«, entgegnet der ungehobeltste von den fünf Typen, es ist dieser Fredde. »Wir sind jeden Tag bei Melker. Nicht wahr?«

      Der große Mann hinter dem Tresen nickt schüchtern.

      »Wir arbeiten im Wald. Das ist verdammt hart. Und wenn wir hierherkommen, wollen wir gutes Essen

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