Kalte Nacht. Anne Nordby
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Er dreht sich zu Göran um, der mit dem Funkgerät in der Hand hinter ihm steht. »Haben Sie Gummihandschuhe?«
Wortlos zupft der Kollege ein Paar aus seiner Tasche. Nachdem Skagen es sich übergestreift hat, beginnt er nacheinander Gegenstände aufzuheben und zu betrachten. Er untersucht einen Werkzeugkasten, eine pinkfarbene Haarspange in Blütenform – Zugehörigkeit unbekannt –, eine halbvolle Tüte mit Chips, einen massiven Kerzenleuchter aus Kosta-Boda-Glas und ein Dalapferd mit einem abgebrochenen Bein. Das fehlende Glied findet er einige Meter weiter unter dem Panoramafenster. Daneben liegt ein verschmutztes Ringelshirt, das vom kindlichen Schnitt und der Größe her mit Sicherheit Ronja Nowak gehört. Danach fühlt er vorsichtig in die Ritzen zwischen den Polstern, doch das Sofa scheint relativ neu zu sein, denn da ist nicht der kleinste Krümel. Auf dem klobigen Couchtisch, der wirkt, als sei er zusammen mit dem Haus gebaut worden, liegen Comichefte verstreut und ein abgerissener Knopf. Das dazugehörige Kleidungsstück kann Skagen nicht entdecken. Er sieht sich in den anderen drei Räumen um. Das Gestell des Doppelbetts im Schlafzimmer des Ehepaares ist alt, die Betten der Kinder und sämtliche Matratzen hingegen neu. Die Nowaks müssen als Erstes einen Ausflug zum nächsten Jysk unternommen haben.
Skagen öffnet den Kleiderschrank in Lolas Zimmer. Die Kleidungsstücke sind von den Kollegen der KTU zerwühlt worden. Neben dem Schrank steht eine Umhängetasche auf dem Boden und Skagen wirft einen Blick hinein. Schminksachen, ein Jugendmagazin, Kaugummis, sonst nichts. Er legt die Tasche auf das Bett und stellt sich ans Fenster, schaut hinüber zum Waldrand. Dabei streichen seine Finger gedankenverloren über das Fensterbrett. Kleine unregelmäßige Löcher befinden sich darin.
Wenig später geht Skagen zurück in den Flur und betritt das einzige Bad des Hauses. Es ist winzig und ein Traum aus den 70ern. Waschbecken, Toilettenschüssel, PVC-Wände und der Boden – alles in Beige. Sogar die einstmals durchsichtigen Plastikwände der Duschkabine sind vom huminhaltigen Wasser bräunlich verfärbt. Die Familie hätte noch einiges tun müssen, um alles auf einen halbwegs modernen Stand zu bringen. Im Bad stinkt es durchdringend nach Kloake. Skagen öffnet den Klodeckel, braunes Wasser steht in der Schüssel. Vielleicht Probleme mit dem Abwasser? Das ist bei alten Häusern nicht selten.
Auf dem Weg in die Küche fällt ihm ein Buch auf, das unter einer Jacke verborgen auf dem Boden liegt. Das Kleidungsstück ist vermutlich von der Garderobe gefallen, die darüber an der Wand hängt. Als er das Buch aufhebt, sieht er, dass es illustrierte Märchengeschichten enthält.
»Wichtel, Trolle und Königskinder« lautet der Titel, und das Bild auf dem Cover zeigt eine der berühmtesten Arbeiten des schwedischen Märchenmalers John Bauer: eine kleine, zartgliedrige Prinzessin mit goldenen Haaren, die wie ein helles Licht mitten in einer Gruppe von grobschlächtigen, knollnasigen Trollen hockt, die sie neugierig betrachten. Prinzessin Tuvstarr, eine Sagengestalt, die in Schweden jedes Kind kennt. Das Bild ist voller Magie und Liebe, aber auch Witz.
»Was ist? Hat Ihre Oma Ihnen zu Weihnachten immer von ›Tomte Tummetott‹ vorgelesen?«, fragt Göran, und Skagen merkt plötzlich, dass er selbst still vor sich hinlächelt. Er hätte eher mit einem Zitteranfall gerechnet als mit diesem warmen Gefühl in seinem Bauch. Ist seine alte Heimat etwa schon dabei, ihn zu verändern?
Er wendet sich dem schwedischen Kollegen zu. »Natürlich. Kein Weihnachten ohne Tummetott. Und bei Ihnen?«
Göran leckt sich über die Lippen, als wolle er ein Schmunzeln verbergen. Kurz darauf ist wieder diese versteinerte Coolness zu sehen. »Maja erzählte mir, dass sie Sie von früher aus der Schule kennt.«
»Ich habe in Karlskrona gelebt, bis ich 16 war. Dann bin ich mit meiner Familie nach Deutschland gezogen, auf die Insel Amrum. Meine Mutter stammt von dort.«
»Und Ihr Vater war Kapitän auf der Aspö-Fähre?«
Skagen grunzt amüsiert. »Wissen Sie das von Maja?«
»Sie sagte, sie seien oft umsonst mitgefahren, um auf den Schären zu baden.«
»Das ist richtig.« Er lächelt bei der Erinnerung daran, wie Maja ihn damals angesehen hat, als sie auf dem Fährschiff zum ersten Mal Händchen gehalten haben. Hoffentlich hat sie ihrem Chef nicht auch davon erzählt.
»Sie waren mal ein Paar, stimmt’s?«
Ohne etwas zu sagen, wendet Skagen sich ab. Er hat keine Lust darüber zu reden, erst recht nicht mit diesem Charmebolzen von einem Ermittlungsleiter.
»Anyway«, bellt Göran hinter ihm, »Sie sprechen zwar wie einer von hier, sind aber keiner von uns. Ist das klar?«
Herzlichen Dank für die Belehrung, denkt Skagen und fragt sich, ob Göran vielleicht eifersüchtig ist.
Ein Funkspruch vom Suchtrupp lenkt den Polizeiinspektor ab, und schnell legt Skagen das Buch auf den Boden zurück und entfernt sich ein paar Schritte. Noch einmal sieht er sich im Haus um, betrachtet all die Gegenstände. Sie erzählen eine Geschichte, die er erst noch zusammensetzen muss. Vielleicht könnte er am Ende des Tages wenigstens eine kleine Theorie präsentieren, bevor er die Ermittlung verließ.
Er will nach draußen gehen, da schallt Görans Stimme hinter ihm her: »Hey, Monk, warten Sie!« Der Ermittlungsleiter holt auf und tritt nach ihm durch die Tür. »Kann ich jetzt vielleicht erfahren, was Sie denken?«
»Nun, bisher kann ich nichts finden, was auf einen Missbrauch der Tochter hindeutet oder darauf, was der Grund für einen erweiterten Suizid sein könnte. Wenn es das ist, was Sie hören wollen.«
Göran schüttelt den Kopf. »Nein, ich …«
»Gibt es eigentlich einen Computer, der von den Nowaks mit in den Urlaub genommen wurde?«, will Skagen wissen.
»Nein, da war keiner, nicht mal ein Tablet. Muss so eine ›pädagogisch wertvolle‹ Familie gewesen sein.«
Skagen ignoriert Görans abfällige Bemerkung und zeigt auf eine niedrige Tür im Fundament des Wohnhauses. »Ich geh mir den Keller ansehen.«
»Da waren wir zwar auch schon, aber bitte sehr. Ich warte hier, die Suchtrupps müssen jeden Augenblick eintreffen.«
Skagen geht zu der Kellertür und drückt sie auf. Dahinter empfangen ihn Dunkelheit und ein dumpfer Geruch nach Erde. Sein Handy als Taschenlampe benutzend wagt er sich hinein. Der Raum ist nicht groß und der Boden aus festgestampftem Lehm. Doch bis auf einen vergammelten Schlitten befindet sich nichts darin.
Als er aus dem Keller in das helle Sonnenlicht tritt, nimmt er aus dem Augenwinkel eine Bewegung am Waldrand wahr. Es ist eine Polizistin mit gelber Weste, die sich aus dem Gestrüpp zwischen den Bäumen schält, dicht gefolgt von mehreren Kollegen. Keine fünf