Kalte Nacht. Anne Nordby

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Kalte Nacht - Anne Nordby

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hinausbefördern kann.

      Als der Kerl fertig ist, lässt er die Arme sinken und betrachtet stumm sein Werk.

      Tina saugt panisch Luft durch die Nase ein, ihr wird schwindelig. Sie spürt, wie der Knebel sich langsam mit Speichel vollsaugt, und muss erneut würgen. Das Stück Stoff sitzt unverrückbar in ihrem Mund. Immer mehr Tränen verschleiern ihre Sicht, und nur schemenhaft bekommt sie mit, wie ihr Peiniger sich erhebt und das Loch verlässt. Die Tür schließt sich mit einem unbarmherzigen Knirschen und verbannt sie zurück in die Dunkelheit.

      13

      Am nächsten Morgen verlässt Maja zusammen mit Joakim den Einsatzraum, in dem Göran zuvor eine kurze Ansprache zu der bevorstehenden Suchaktion gehalten hat. Zum Glück hat er die Sache gestern bei Adnan Demirci, ihrem Dienststellenleiter, durchbekommen. Auch wenn nach wie vor unklar ist, ob Frau Nowak tatsächlich noch lebt und sich irgendwo dort draußen befindet, teilt Demirci die Meinung, dass es von gewisser Dringlichkeit ist, die nähere Umgebung des Hauses abzusuchen. Es würde mühsam werden, das weiß jeder in der Truppe, denn rund um Hultsjö erstreckt sich fast nur Wald, durchsetzt mit einigen Seen und Sumpfgebieten. Sollte die Frau in einem der Seen liegen, ist es ohnehin hoffnungslos, sie in nächster Zeit zu finden. Aber Maja will nicht schon wieder daran denken, wie gering ihre Chancen stehen. Ihre Laune ist eh schlecht genug.

      Ihr fällt Tom Skagen ein. Er hat gestern am Telefon nicht gut geklungen. Reichlich depressiv. Völlig anders als früher … Sie reißt sich aus den Gedanken. Eigentlich geht sie das nichts an. Sie sieht hinüber zu Jokke, der zum x-ten Mal seine Pistole checkt. Sein Gesicht ist vor Aufregung knallrot. Es ist seine erste groß angelegte Suchaktion. Beinahe 40 zusätzliche Kollegen und Kolleginnen nehmen daran teil – bereitgestellte Einsatzkräfte aus den benachbarten Kommunen Karlshamn und Ronneby. Jokke fummelt erneut an seiner Dienstwaffe herum.

      »He, bleib cool. Die wirst du bestimmt nicht brauchen«, versucht Maja ihn zu beruhigen.

      »Woher willst du das wissen?«, fragt er mit nervösem Blinzeln.

      »Na, weil wir nach einer vermissten Person suchen, nicht nach einem schwer bewaffneten Bankräuber.« Sie lacht amüsiert. »Ich dachte, du bist auf dem Land aufgewachsen.«

      »Eben«, sagt Jokke und streicht seine Uniform glatt.

      Maja will nachfragen, was er damit meint, da tritt eine Kollegin zu ihnen.

      »Vorne am Empfang ist jemand, der dich sprechen will, Maja.«

      »Ich hab keine Zeit. Wir rücken gleich aus.«

      »Er sagt, es ist dringend. Es geht um den Fall mit den Deutschen.«

      Maja horcht auf. Sie gibt Jokke zu verstehen, dass er Göran benachrichtigen soll, falls dieser nach ihr fragt, und folgt der Kollegin zum Empfangstresen. Dort steht ein Mann mit blondem Bart und traurigem Blick. Zuerst erkennt sie ihn nicht, doch dann weiten sich ihre Augen.

      »Tom!« Sie läuft um den Tresen herum. »Das ist ja eine Überraschung! Ich dachte, du könntest nicht kommen.«

      Ein Lächeln hellt Toms Gesichtszüge auf. »Hallo, Maja, schön dich zu sehen.« Er hebt die Hände, lässt sie unschlüssig wieder sinken. Stattdessen ergreift Maja die Initiative und tut, was er sich soeben nicht getraut hat. Sie nimmt ihn in den Arm und drückt ihn fest an sich.

      Als sie sich von ihm löst und in seine grauen Augen blickt, erwachen plötzlich alte Gefühle in ihr. Es ist, als würde etwas mit Leben gefüllt, was sehr lange kalt und leer gewesen ist. Aber nicht aus Böswilligkeit oder weil man sich nicht daran erinnern wollte, sondern einfach, weil es der Lauf der Dinge gewesen ist.

      »Mann, ist das lange her!«, sagt sie lachend.

      Tom kratzt sich verlegen am blonden Schopf. »In der Tat.«

      »Du hast echt ein gutes Timing, wir fahren gleich raus nach Hultsjö. Die Truppe wartet schon.« Sie fasst ihn an der Schulter. »Komm, ich stelle dich Göran vor. Der wird sich über deine Unterstützung freuen.«

      Tom gibt nur ein Brummen von sich und lässt sich von ihr durch die Einsatzzentrale zum hinteren Ausgang des Gebäudes bringen. Dort steht Göran neben einem der Busse und macht eine ungeduldige Geste. Als er Tom entdeckt, zieht sich seine Stirn oberhalb der Sonnenbrille in Falten.

      »Aha, Skagen von Skanpol«, sagt er, nachdem Tom sich vorgestellt hat, und schüttelt dessen Hand. »Na, dann wollen wir mal, Kollege.«

      Dass Tom ihnen im Vorfeld viele Informationen und die aktuellen Fotos von Frau Nowak besorgt hat, mit deren Hilfe sie nun in Hultsjö herumfragen können, ist Göran keine Silbe des Dankes wert. Typisch für Mr. Testosteron, denkt Maja. Sobald er seine Stellung als wichtigster Gorilla im Kompetenz-Ring gefährdet sieht, wird er noch mehr zum Macho, als er ohnehin längst ist. Eigentlich darf nur einer über ihm stehen, und das ist ihr aller Chef Adnan Demirci. Selbst bei ihm hat Göran sich anfangs schwergetan. Aber nicht, weil er dessen Autorität anzweifelt, nein, Göran will einfach sicher sein, dass er der Coolste in der Gang ist.

      Und Tom, das erkennt Maja sofort, könnte das gefährden.

      Sie steigen in einen der Mannschaftswagen. Maja rutscht neben Tom auf die Bank.

      »Bist du mit dem Auto gekommen?«, fragt sie und gibt der Schiebetür einen Schubs.

      »Mit meinem VW-Bus. Er parkt in der Drottninggatan.«

      »Okay, und weißt du schon, wo du übernachtest?«

      »Im Bus?« Tom grinst sie schief an. Es steht ihm gut, das Grinsen.

      Maja schmunzelt. Ihm ihr Sofa anzubieten erscheint ihr zu aufdringlich, auch wenn sie es gerne getan hätte. »Das Arkipelag Hotel ist recht gut und nicht so teuer. Es liegt an der Ecke Drottninggatan und Alamedan.«

      »Alamedan? Ach, wirklich?«

      Maja tippt sich an die Stirn. »Stimmt, in der Straße hast du früher gewohnt. Wie konnte ich das vergessen.«

      »Bin lange nicht mehr hier gewesen«, murmelt Tom. Er sieht an ihr vorbei aus dem Fenster und danach schnell auf seine Hände. Gerade passieren sie die schmalste Stelle von Karlskrona. Es ist die einzige Verbindung vom Festland zur Hauptinsel, auf der die Innenstadt liegt. Zu beiden Seiten der Straße schimmert blau das Meer. Rechts ist einer der vielen Jachthäfen zu sehen und links die dicht bebaute Schäreninsel Långö. Eine herrliche Aussicht.

      Jedoch anscheinend nicht für Tom. Maja hat genau gesehen, wie eine Art von Bitternis sein Gesicht für den Bruchteil einer Sekunde verdunkelt hat. Auch jetzt hält er seinen Blick gesenkt, und seine Haltung wirkt beinahe verkrampft, als wolle er irgendetwas da draußen ignorieren oder verdrängen. Er scheint Probleme zu haben.

      Maja schweigt verständnisvoll. Sie hat nicht erwartet, dass er ihr gleich sein Herz ausschüttet, erst recht nicht vor den fremden Kollegen.

      »Gibt es sonst etwas Neues?«, fragt er nach einer Weile.

      »In Karlskrona?«

      »Nein, beim Fall.«

      Maja erzählt ihm, dass sie ab heute eine Meldung übers Radio senden lassen, mit der nach Christina Nowak gesucht wird. Vielleicht hat sie jemand gesehen oder sogar per Anhalter mitgenommen. Die Videoüberwachung an den Bahnhöfen Karlskrona und Hultsjö

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