Die fünfte Jahreszeit. Anette Hinrichs
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Читать онлайн книгу Die fünfte Jahreszeit - Anette Hinrichs страница 4
»Wir haben Fußabdrücke am Eingang zum Torbogen gefunden. Unbrauchbar wegen des strukturierten Bodens. Trotzdem interessant.« Glasers verkniffener Gesichtsausdruck verzog sich zu einem grimmigen Lächeln.
»Inwiefern? Meinst du, sie stammen vom Täter?«
»Eben nicht. Der Mörder hat die ganze Bodenfläche des Torbogens vermutlich mit einem Besen gesäubert. Ich glaube kaum, dass er hinterher zurückgekommen ist, um seine Fußabdrücke zu hinterlassen.«
»Könnten die von einem unserer Leute stammen?«, fragte Bartels.
Glaser schüttelte den Kopf und rückte dabei seine kleine, runde Brille zurecht. »Die Kollegen von der Streife haben umgehend gesichert.«
»Weitere Abdrücke?«, hakte Fricke nach.
»Wenn welche da waren, hat der Regen der letzten Nacht sie weggespült«, erwiderte Glaser.
»Wenn die Spuren also nicht vom Mörder stammen, dann haben wir vielleicht einen Zeugen. Und derjenige hat nicht die Polizei benachrichtigt.« Fricke strich sich nachdenklich übers Kinn.
»Wissen wir schon, um wen es sich bei dem Toten handelt?«, fragte Tiedeman.
Fricke schüttelte den Kopf. »Bisher nicht, aber die Identifizierung der Leiche steht für uns an erster Stelle. Ole, darum kümmerst du dich. Sprich mal mit den Kollegen von 4.17, die sollen alle Vermisstenanzeigen der letzten Zeit durchgehen.« Er runzelte die Stirn. »Bisher sind unsere Fakten mehr als dürftig. Morgen früh bekomme ich die vorläufigen Berichte der Rechtsmedizin und aus dem Labor. Bis dahin erledigt ihr die zugeteilten Aufgaben. Irgendwelche Fragen?«
Malin räusperte sich. »Ich bin ja noch nicht lange dabei, trotzdem scheint es mir, als hätten wir es nicht gerade mit einem alltäglichen Mord zu tun. Wir haben bisher noch nicht über das mögliche Motiv des Täters gesprochen.«
Fricke fuhr sich bedächtigt übers Kinn. »Sie haben recht, Brodersen, das bereitet auch mir Kopfschmerzen. Trotzdem, vorrangig ist jetzt die Identifizierung des Toten, sie ist unser Ausgangspunkt. Wenn wir erste Ergebnisse der Rechtsmedizin vorliegen haben, die uns über Zeitpunkt und Todesursache aufklären, und das Labor die Spuren ausgewertet hat, können wir daraus vielleicht erste Rückschlüsse ziehen.« Frickes ernster Blick wanderte über die Anwesenden. »Weitere Fragen? Nein? Dann an die Arbeit.«
Malin verließ als eine der Letzten den Raum. Sie eilte Frederick Bartels hinterher, der sich angeregt mit dem rothaarigen Ermittler unterhielt. Das ist also Andresen, dachte Malin und musterte die bullige Statur des Polizisten. Das Gespräch verstummte sofort, als sie auf die beiden zutrat.
»Ich glaube, wir sind uns noch nicht vorgestellt worden. Ich bin Malin Brodersen.« Sie streckte ihm die Hand entgegen.
»Ich weiß, wer du bist«, erwiderte Andresen, ohne auf die dargebotene Hand zu reagieren. »Fred, ich warte im Wagen auf dich.« Er drehte sich um und ging auf den Fahrstuhl zu.
Verblüfft sah Malin ihm hinterher. »Was für eine Laus ist dem denn über die Leber gelaufen?«
»Dein Ruf ist dir wohl schon vorausgeeilt. Ich habe dich ja gewarnt.«
»Fred, was soll das denn jetzt? Und vor allem, was meint er damit, dass er im Wagen auf dich wartet? Ich dachte, wir beide sollten weiter Klinken putzen?«
»Komm schon, Malin, es war keine Rede davon, dass du die ganze Zeit an meiner Seite klebst. Ich führe die restlichen Befragungen mit Sven durch. Bei der Gelegenheit kann er sich gleich ein Bild vom Tatort machen.«
Malin hatte Mühe, ihren Zorn zu unterdrücken. »Wie du meinst. Und was soll ich stattdessen tun?«
»Informiere dich über den Hintergrund des Wellingsbüttler Torhauses. Und sieh zu, dass du die Berichte von der Schutzpolizei bekommst.«
Malin holte tief Luft. »Ich kümmere mich um die Recherche, aber glaubt nicht, dass ich weiterhin sämtliche Büroarbeiten übernehme.« Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich um und marschierte davon.
Es war bereits später Abend und die Luft merklich abgekühlt, als Malin die Tür zu ihrem kleinen Stadthaus aufschloss. Sie hatte das hundertfünfzig Jahre alte Bleicherhaus mitten im angesagten Stadtteil Winterhude vor fünf Jahren von ihrer Tante geerbt. Es stand unter Denkmalschutz, hatte einen handtuchgroßen Garten und achtzig Quadratmeter Wohnfläche, verteilt auf vier Räume mit niedrigen Decken. Vom Erdgeschoss mit dem Wohnzimmer und der Küche führte eine kleine Wendeltreppe in die obere Etage. Dort hatte Malin ihr Schlafzimmer und ein Gästezimmer, das ihr allerdings eher als Abstellkammer diente.
Malin war erschöpft und schlecht gelaunt. Sie nahm sich eine halbe Pizza vom Vortag aus dem Kühlschrank und schenkte sich ein Glas Milch dazu ein. Dann ging sie in den ans Wohnzimmer angrenzenden Wintergarten. Es war ihr Lieblingsort, eingerichtet mit einer gemütlichen gelb-weiß karierten Couch, zwei Korbsesseln und einem hellen Sisalteppich.
Nachdenklich kaute sie auf ihrer Pizza herum. Sie hatte die vergangenen Stunden mit dem Sammeln von Informationen über das Torhaus und das Herrenhaus verbracht, aber wenig Neues erfahren. Außerdem konnte sie sich nicht richtig konzentrieren. Der inszenierte Fundort der Leiche stand ihr ständig vor Augen. Etwas daran ließ sie nicht los, doch sie konnte diesen Gedanken nicht greifen. Hinter ihren Schläfen begann es zu pochen.
Und sie war noch immer verärgert über ihre Kollegen. Lag es wirklich an ihr oder gab es vielleicht noch andere Gründe für Andresens feindseliges Verhalten? Noch bevor sie zur Mordkommission stieß, hatte sie die Geschichte von Martin Sablowoski gehört. Der Ermittler vom LKA 411 war nach Dienstschluss bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Malin hatte die Lücke, die er in seinem Team hinterlassen hatte, bei ihrem Dienstantritt nahezu körperlich spüren können. Soweit sie wusste, hatte er mit Sven Andresen ein Team gebildet. Das erklärte vielleicht teilweise die Abneigung des rothaarigen Ermittlers gegen sie. Trotzdem ist das keine Entschuldigung, dachte Malin.
Sie stellte fest, dass der Anrufbeantworter blinkte. Die erste Nachricht war von ihrer Freundin Suse, die sie an den Geburtstag einer gemeinsamen Freundin erinnerte und sie bat, bei Gelegenheit mal ihre Sporttasche abzuholen. Malin unterbrach das fröhliche Geschnatter der Freundin und spulte vor zum nächsten Anruf. Die nörgelnde Stimme ihrer Mutter ertönte. Augenblicklich sträubten sich ihre Nackenhaare und sie löschte den Anruf. Seufzend hörte sie die letzte Nachricht ab. Die tiefe Stimme ihres Großvaters informierte sie darüber, dass er ein paar neue Krimis für sie parat liegen hatte.
Ein warmes Gefühl der Zuneigung durchströmte Malin. Erich Brodersen war der wichtigste Mensch in ihrem Leben. Beide verband unter anderem die große Leidenschaft zum Krimilesen. Sie hatten schon so manche Nacht damit verbracht, über Plots zu diskutieren. Ihr Großvater hatte sie als Kind in die Welt von Agatha Christie geführt und damit den Grundstein für ihren späteren Berufswunsch gelegt. Leider war er auch der Einzige in ihrer Familie, der sie bei ihrem Vorhaben unterstützt hatte, Polizistin zu werden.
Für einen Rückruf war es heute schon zu spät. Sie beschloss, ins Bett zu gehen.
Sie wusste nicht, was sie geweckt hatte.
Schlaftrunken setzte sie sich auf. Hinter dem Fenster war es noch dunkel. Malin schaute auf ihren Wecker. Es war vier Uhr zwanzig. Sie hatte gerade mal vier Stunden geschlafen. Stöhnend ließ sie sich zurück in die Kissen sinken und versuchte wieder einzuschlafen. Erneut schob sich der Anblick des Toten vor ihre Augen.
Sie