Die fünfte Jahreszeit. Anette Hinrichs

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Die fünfte Jahreszeit - Anette Hinrichs

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der Heidenberg-Bank, eines hanseatischen Privatunternehmens, das seit fast anderthalb Jahrhunderten existierte.

      Malin versuchte, das beklemmende Gefühl abzuschütteln, das sie jedes Mal befiel, wenn sie vor dem Haus ihrer Kindheit stand. Sie atmete tief durch und wollte gerade klingeln, als die Tür von innen weit aufgerissen wurde. Gewöhnt an den Anblick eines Dienstmädchens, sah Malin überrascht in das sommersprossige Gesicht von Marie Heidenberg, der Frau ihres Cousins Maximilian.

      »Hi, Malin – akademisches Viertel?« Marie lächelte.

      »Bin ich die Letzte?«

      »Nein, Max ist noch in der Bank. Wie immer.«

      Sie traten in einen getäfelten und üppig bestuckten Raum, der von allen nur der Salon genannt wurde. Eine blonde, gertenschlanke Frau kam ihnen entgegen und schaute missbilligend auf die Uhr. Constanze Heidenberg trug einen dunkelblauen Hosenanzug, kombiniert mit einer weißen Bluse und einer einreihigen Perlenkette. Das honigblonde Haar hatte sie zu einem strengen Knoten gesteckt.

      »Du bist zu spät.«

      »Ich freue mich auch, dich zu sehen«, erwiderte Malin trocken.

      »Nun gut, dann können wir ja endlich beginnen. Geht ihr schon mal ins Esszimmer, ich sage schnell der Köchin Bescheid.«

      »Was ist mit dem Dienstmädchen passiert?«, flüsterte Malin Marie zu, nachdem ihre Mutter den Raum verlassen hatte.

      »Hat gekündigt.«

      Sie grinsten sich an und betraten das Esszimmer, einen länglichen Raum mit blassgrünen Wänden und bis zum Boden eingelassenen Fenstern. Der sechs Meter lange Mahagoni­tisch war mit weißem Porzellan und Silberbesteck eingedeckt.

      »Erzähl doch mal, wie steht es an der Verbrecherfront?«, fragte Marie neugierig, nachdem die drei Frauen am Esstisch Platz genommen hatten.

      »Das ist wohl kaum das richtige Gesprächsthema beim Essen.« Constanze Heidenberg widmete sich ihrem Vor­speisen­teller mit gedünsteter Seezunge.

      Malin räusperte sich. »Im Moment ermittle ich in einem Mordfall. Ihr habt bestimmt schon in der Zeitung davon gelesen – ein bekannter Kinderarzt. Wurde im Wellingsbütteler Torhaus aufgehängt gefunden.«

      Mit einem lauten Klirren ließ Constanze Heidenberg ihr Fischbesteck auf den Rand ihres Porzellantellers fallen. »Malin­, ich verbitte mir jedes weiteres Wort darüber. Reicht es nicht, dass du der Bank den Rücken gekehrt hast? Müssen wir uns jetzt auch noch die Einzelheiten dieses – Berufes anhören?«

      »Mutter, ich lasse mir hier nicht das Wort verbieten. Es tut mir leid, wenn ich deine Erwartungen nicht erfüllt habe, aber ich habe getan, was ich für richtig hielt. Und vielleicht würdest du es auch verstehen, wenn du nicht immer jedes Gespräch darüber verweigern würdest.«

      Constanze Heidenbergs Blick wurde hart. »Du bist wie dein Vater, Malin. Auch er wollte weder unseren Familiennamen noch unsere Bank.«

      »Lass Vater aus dem Spiel!« Malin hatte ihren Teller von sich geschoben und erhob sich von ihrem Stuhl.

      Es herrschte betretenes Schweigen. Constanze Heidenberg war bei Malins Worten aschfahl geworden. Wortlos nahm sie ihr Besteck wieder zu Hand und fuhr mit dem Essen fort.

      Marie schaute von der Mutter zur Tochter. »Ist es denn nicht möglich, dass ihr beide ein einziges Mal an einem Tisch sitzt, ohne euch gleich in die Haare zu kriegen? Malin, bitte setz dich wieder. Und du, Constanze, es hat doch keinen Sinn, immer wieder auf diesem Thema herumzureiten.« Maries Augen funkelten.

      Zögernd setzte sich Malin. Nach einer Weile begann Constanze ein belangloses Gespräch über eine neue Kunstausstellung.

      Froh, der angespannten Atmosphäre zu entkommen, verabschiedete sich Malin nach dem Dessert. Sie beschloss, zum Jungfernstieg zu gehen. Von dort aus konnte sie dann die U-Bahn nehmen. Nach wenigen Minuten hatte sie die Uferpromenade erreicht. Trotz des ungemütlichen Wetters kamen ihr zahlreiche Spaziergänger entgegen. Malin schaute zu einem Paar, das eng umschlungen auf einer der Parkbänke saß. Wehmütig wandte sie sich ab. Sie musste an Ben denken, den Mann, den sie drei Monate zuvor aus ihrem Leben geworfen hatte. Ben mit seinen strahlenden Augen und dem umwerfenden Lachen.

      Sie hatten sich auf einer Party kennengelernt. Malin hatte sich mit einem Cocktail durch die Menge gedrängt und war ins Stolpern geraten. Der gesamte Inhalt des Glases hatte sich über Bens hellen und, wie sie erst später erfuhr, nagelneuen Kaschmirpul­lover ergossen. Mit hochrotem Kopf hatte sie vor ihm gestanden und nur noch zusammenhanglose Worte gestammelt. Und dann hatte er gelacht – schallend gelacht, bis ihm die Tränen kamen. Seit dem Abend waren sie ein Paar gewesen und Malin hatte das Gefühl gehabt, den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Bis er eines Tages von ihrer Freundin Suse in inniger Umarmung mit einer rassigen Schwarzhaarigen gesehen worden war.

      Malin hatte ihn umgehend zur Rede gestellt. Er hatte noch nicht einmal versucht zu leugnen. Sie hatte die Beziehung noch am gleichen Abend beendet und am nächsten Morgen die Bewerbung für die ausgeschriebene Funktionsstelle bei der Mordkommission eingereicht.

      Tief in Gedanken versunken erreichte Malin den Jungfernstieg am südlichen Ufer der Binnenalster.

      Sie setzte sich auf eine der tribünenförmigen Treppen des Anlegers und beobachtete das An- und Ablegen der weiß-roten Alsterdampfer. Ein Mann setzte sich unterhalb ihres Platzes auf die Stufen und zog eine Zeitung aus der Tasche. Der Torhausmord dominierte noch immer die Schlagzeilen.

      Augenblicklich begannen ihre Gedanken wieder um die Mordkulisse zu kreisen. Obwohl sie und ihr Opa Tag für Tag unermüdlich die Krimis in ihren Bücherregalen durchforstet hatten, hatten sie bisher keinen Treffer gelandet. An spektakulären Kulissen mangelte es nicht gerade – Opfer an Bäume gebunden, Tote an bekannten historischen Gebäuden, aber keines dieser Szenarien stimmte mit dem Torhausmord im Detail überein.

      Malin schloss frustriert die Augen. Sie beschloss, nach Hause zu fahren und ihre Wohnung aufzuräumen, das würde sie auf andere Gedanken bringen.

      Schon von Weitem konnte sie den sperrigen Gegenstand vor ihrer Haustür erkennen. Verdammt, sie hatte vergessen, Suse zurückzurufen! Malin griff nach der weißen Sporttasche, die ihre Freundin demonstrativ quer vor die Tür gestellt hatte, und beförderte sie über die Schwelle. Sie würde sich später darum kümmern. Jetzt war sie müde und erschöpft.

      Obwohl die Mitarbeiter der Mordkommission im Allgemeinen geregelten Bürozeiten nachgingen, schienen diese seit dem Auffinden der Leiche außer Kraft zu sein. Malin hatte fast rund um die Uhr gearbeitet. Die Medien übten bereits jetzt starken Druck aus und jeder aus ihrem Team schien sich bewusst, dass dieser Mord alles andere als alltäglich war.

      Als sie sich aus dem Kühlschrank einen Joghurt nahm, fiel ihr Blick auf die Küchenuhr. Es war bereits nach sieben. Sie beschloss, das Aufräumen zu verschieben und sich lieber etwas zu gönnen. Der Joghurt wanderte zurück in den Kühlschrank, stattdessen zog sie aus dem Brotkasten die letzten beiden Franzbrötchen, beschmierte sie dick mit Butter und machte es sich dann auf der Couch im Wohnzimmer gemütlich. Sie zappte erst durchs Fernsehprogramm, verfolgte dann die Nachrichten und schaute anschließend beim Sonntagskrimi den Kommissaren bei der Arbeit zu. Teils amüsiert, teils verärgert über die klischeehafte Darstellung der Polizeiarbeit stellte sie den Fernseher vor Ende des Filmes ab.

      Malin hatte ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Freundin. Dass Suse die Tasche einfach so vor die Tür stellte, passte so gar nicht zu

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