Die fünfte Jahreszeit. Anette Hinrichs

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Die fünfte Jahreszeit - Anette Hinrichs

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Foto neben dem Artikel zeigte einen älteren Mann mit gutmütigem Gesicht und blauen, leicht wässrigen Augen. Sein dunkler Lockenschopf war mit grauen Strähnen durchzogen. Dr. Richard W. stand in der Bildunterschrift.

      Eine Erinnerung streifte sie, doch das Klingeln ihres Handys­ riss sie aus ihren Überlegungen.

      Die neuen Bestsellerlisten lagen vor. Der vierte Band ihrer Krimireihe hatte nur drei Wochen benötigt, um die Spitzenposition zu erreichen.

      »Verdammt, Brodersen, wo sind Sie gewesen? Haben Sie schon mal was von abmelden gehört? Und warum ist Ihr verfluchtes Handy nicht eingeschaltet?« Fricke brüllte ihr schon von Weitem entgegen.

      Malins Hochstimmung verflüchtigte sich. Sie schielte auf ihre Armbanduhr. Zwei Stunden war sie weg gewesen. Etwas zu lang für eine Mittagspause, aber keine Erklärung für die Aufregung ihres Vorgesetzten.

      »Ich habe Mittagspause gemacht. Und ich habe Andresen Bescheid gegeben«, sagte sie ruhig und zog ihr Handy aus der Jackentasche. Das Display war schwarz. »Ist wohl der Akku leer«, murmelte sie. Durch die offene Bürotür sah sie, dass keiner der Schreibtische besetzt war. Vermutlich hatten ihre Kollegen ebenfalls eine Pause eingelegt.

      »Chef, ich war eben zufällig in der Nähe des Torhauses und hab mich da noch mal ein bisschen mit Frau Larsen unterhalten. Sie wissen schon, die Zeugin, die die Leiche gefunden hat. Und Sie glauben nicht, was die mir erzählt hat.« Malin hielt ihm triumphierend ihr Notizbuch vor die Nase.

      »Das können Sie mir später erzählen. Und dann reden wir auch noch mal über die Erreichbarkeit eines Polizeibeamten. Brodersen, mitkommen.« Fricke ging mit eiligen Schritten auf den Fahrstuhl zu.

      »Chef, was ist denn los? Gibt es was Neues in Sachen Woy?« Malin folgte Fricke.

      »Nein, aber eine neue Leiche. Machen Sie sich auf einiges gefasst, Brodersen, dagegen war der Torhausmord das reinste Zuckerschlecken.«

      Das Fabrikgelände wirkte wie eine Geisterstadt. Verlassen lagen die Gebäude da, aufgereiht zu beiden Seiten eines großen Platzes. An der Stirnseite stand ein grauer Betonklotz mit graffitibesprühten Wänden. Die vergitterten Fenster waren dreckig und voller Spinnenweben, einige Scheiben eingeschlagen.

      Vor dem Hauptgebäude standen mehrere Streifenwagen. Fricke parkte neben dem Transporter der Spurensicherung. Der Eingang des Gebäudes wurde von zwei uniformierten Beamten flankiert. Fricke zückte seinen Dienstausweis. »Wo ist die Leiche?«

      »Im Untergeschoss«, antwortete einer der Beamten und reichte ihm eine Taschenlampe.

      Sie betraten das Gebäude und fanden sich in einer riesigen leeren Halle wieder. Auf dem dunklen Betonboden konnte man noch Abdrücke der schweren Maschinen sehen, die hier einst gestanden hatten. Malin schaute an die Decke. Sie war bestimmt sieben Meter hoch. Sie durchquerten einen breiten Flur und gelangten von dort in einen dunklen Gang. Fricke schaltete die Taschenlampe ein. Am Ende des Ganges führte eine Betontreppe in den unteren Gebäudeteil. Ihre Schritte hallten durch das leere Treppenhaus. An der nächsten Biegung empfing sie gleißendes Licht.

      Scheinwerfer waren aufgestellt worden und warfen düstere Schatten an das Betongemäuer. Ein Mann im Schutzanzug trat auf sie zu. Zwischen Kapuze und Mundschutz lugte eine runde Brille hervor. Malin erkannte Frank Glaser, den Chef der Spurensicherung.

      »Können wir rein, Frank?«, fragte Fricke.

      »Nur wenn ihr die komplette Montur anzieht.«

      Sie schlüpften in Spurensicherungsoverall, Latexhandschuhe und blaue Überschuhe. Der Kriminaltechniker hielt ihnen Schutzmasken entgegen. »Glaubt mir, ihr werdet sie brauchen. Außerdem will ich nicht, dass ihr mit eurer DNA meinen Tatort kontaminiert.«

      Schweigend streiften sie sich die Masken über den Kopf, dann folgten sie Glaser.

      »Hier ist es«, sagte er und stieß eine schwere Eisentür auf.

      8

      Ein schwerer, würziger Gestank schlug ihnen entgegen. Unwillkürlich atmete Malin durch den Mund. Der Raum war von oben bis unten komplett gekachelt. An der rechten Wandseite befanden sich zwei große Waschbecken und an der Stirnseite des Raumes ragten große Eisenhaken aus der Wand.

      Der Anblick in der Raummitte traf sie mit körperlicher Wucht. Sekundenlang schloss Malin die Augen. Dann blinzelte sie und starrte erschüttert auf den großen Metalltisch. Ihr Blick verharrte bei den langen dunklen Haaren. Das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit aufgedunsen. Wo sich die Augen hätten befinden sollen, war rohe Fleischmasse. Die Gliedmaßen schienen vollständig, doch der Körper war mit aufgeplatzten Wunden übersät. Die restliche Haut war feuerrot und verschrumpelt. Auf der Brust glänzte etwas Metallisches.

      Malin stolperte zurück in den Gang, zog den Mundschutz herunter und übergab sich. Anschließend zog sie ein Taschentuch unter ihrem Schutzanzug hervor und wischte sich den Mund ab. Der säuerliche Gestank des Erbrochenen stieg ihr in die Nase und sie entledigte sich auch noch ihres restlichen Mageninhaltes.

      In diesem Moment hörte sie lautes Fußgetrappel und einige Stimmen. Als Erstes kam ihr ein kräftiger Typ mit rötlichem Schnauzbart entgegen. Andresen. Malin stöhnte.

      »Was ist denn das hier für eine Sauerei?«, zischte der Ermittler, als er beinahe ins Erbrochene trat. »War ja klar, Brodersen. Da wird sich die Spusi freuen.«

      Kotzbrocken, dachte Malin nicht zum ersten Mal. Hinter Andresen folgte ein schmächtiger junger Bursche, in der Hand einen Alukoffer: Thorsten Sommer vom LKA 38, zuständig für den Fachbereich Fotografie. Sommer blieb einen Moment stehen und hantierte mit seinem Koffer herum. Dann betrat er mit der Kamera in der Hand den Tatort und begann mit seiner Arbeit.

      Fricke stand neben dem Türrahmen und beobachtete die Techniker. »Frank, sind alle Temperaturen gemessen?«

      »Nur noch die der Leiche.«

      »Das mache ich«, ertönte hinter Malin eine energische Stimme.

      Selbst im Schutzoverall gab Dr. Steinhofer eine elegante Erscheinung ab. Sie schob sich an Malin vorbei, nahm ihr Equipment aus der Arztasche und trat an den Metalltisch.

      »Haben Sie eine Temperatur, Dr. Steinhofer?«

      »Ja«, erwiderte die Rechtsmedizinerin knapp.

      »Können wir dann endlich das gottverdammte Fenster öffnen?«, fragte Andresen. Sein Gesicht war deutlich blasser geworden.

      »Ich lasse frische Luft rein«, erwiderte einer der Techniker.

      »Kommen Sie, Brodersen, schauen Sie sich das an.« Fricke winkte sie heran.

      »Mensch, Hans, könnt ihr nicht noch ein paar Minuten warten?« Frank Glaser blickte sie missmutig an, aber Fricke griff nach Malins Ellenbogen und zog sie neben die Rechtsmedizinerin an den Tisch.

      Malin kämpfte mit aller Kraft gegen erneute Übelkeit und zwang sich, die Leiche zu betrachten. Die Tote hatte lange, schmale Gliedmaße. Hände und Füße waren mit Draht an den Metalltisch befestigt und die Haut wies tiefe Einschnitte auf.

      »Woher stammen diese furchtbaren Verletzungen?« Malin zeigte auf eine der aufgeplatzten Wunden, die den ganzen Körper übersäten. »Ich habe so etwas noch nie gesehen.«

      »Das

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