Die fünfte Jahreszeit. Anette Hinrichs
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Читать онлайн книгу Die fünfte Jahreszeit - Anette Hinrichs страница 15
Schweigen machte sich breit.
»Die Haken wurden vor Kurzem noch genutzt«, sagte Glaser in die Stille.
»Von welchen Haken redest du, Frank?«, fragte Fricke verwirrt.
»Natürlich von den Deckenhaken in der Fabrikhalle. Sie wurden vor Kurzem noch genutzt.« Der Kriminaltechniker erhob sich von seinem Platz und befestigte ein leeres Papier am Whiteboard. Dann malte er einen großen Haken darauf. »Ihr müsst euch das so vorstellen: Die Deckenhaken waren größtenteils dreckig und teilweise auch schon verrostet. Aber bei einigen war hier …« Er zeigte mit dem Finger auf den unteren Teil des Hakens. »… blankes Metall zu sehen. Das ist ein Indiz dafür, dass an dieser Stelle vor Kurzem noch etwas gehangen hat.«
»Kannst du dir vorstellen, was das gewesen sein könnte?«, fragte Fricke.
Der Kriminaltechniker zuckte nur mit den Achseln.
»Kennen wir schon die Todesursache?«, fragte Bartels. »Sven hat gesagt, dass die Tote wie ein Brathähnchen ausgesehen hat.«
Die anderen lachten.
Fricke schaute seine Mitarbeiter streng an. »Ich wüsste nicht, was es da zu lachen gibt. – Nein, Fred, bisher nicht. Dr. Steinhofer ist nicht gerade sehr kooperativ.«
»Was ist mit dem Amulett, das die Tote um den Hals getragen hat? Könnte es nicht zur Identifizierung der Toten beitragen?«, fragte Malin.
»Guter Einwand. Frank?« Fricke wandte sich an den Kriminaltechniker.
»Ist noch bei der Spurenauswertung. Ich kümmere mich gleich darum. Im Übrigen haben wir am Kellerfenster Spuren von Kleberesten gefunden. Sie scheinen jüngeren Datums zu sein. Vermutlich hat der Täter die Fenster abgeklebt, damit kein Licht nach draußen dringt. Die Partikel werden ebenfalls noch ausgewertet.«
»Gut. Sonst noch was?«
Andresen räusperte sich. »Eine Sache wäre da noch, Hans. Was ist mit der Team-Zusammenstellung? Ich hatte angenommen, dass Fred und ich …« Sven Andresen ließ den Rest des Satzes unausgesprochen.
»Zu gegebener Zeit lasse ich euch meine Entscheidung wissen. Bis dahin bleibt alles so wie besprochen.« Frickes Stimme duldete keinen Widerspruch.
Andresen fuhr sich mit der Hand über seinen roten Schnäuzer, dann nickte er.
Der köstliche Duft von Bratkartoffeln mit Rührei zog durch die Küche des Lotsenhauses. Erich Brodersen hatte sich eine Küchenschürze umgebunden und schwenkte die Eisenpfanne ein letztes Mal. Dann füllte er zwei Teller, legte jeweils eine dicke Scheibe Katenschinken dazu und schnitt noch ein paar Gewürzgurken auf. Die größere Portion stellte er vor seine Enkelin auf den Tisch. »So, mein Mädchen, lass es dir schmecken.«
Malin strahlte ihn an und begann, das Essen in sich hineinzuschlingen. »Himmlisch, Opa, du machst wirklich das beste Bauernfrühstück der Welt«, schwärmte sie, nachdem sie den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte.
»Hast du was von deiner Mutter gehört?«
Malin verdrehte die Augen. »Ich war letzten Sonntag zum Essen da.«
»Die gute Constanze. Traditionen müssen gepflegt werden, egal was kommt.«
Beide grinsten sich an.
Dann wurde Erich Brodersen ernst. »Dein Vater hat mich angerufen.«
Malins versteifte sich. »Opa, bitte, ich habe damit abgeschlossen, mach es mir bitte nicht noch schwerer.«
»Wie du meinst. Ich mache mir Sorgen, Malin. Du bist so blass und dünn geworden. Und du kapselst dich ab. Ist es wegen Ben?« Er legte seine Hand auf ihren Arm.
»Mir geht es gut. Es sind nur diese beiden Morde.« Sie schob ihren Teller beiseite und erzählte, was sich in den letzten Tagen ereignet hatte.
Erich Brodersen legte sein Besteck auf den Teller und wischte sorgfältig seinen Mund mit der Serviette ab. »Was ist aus deiner Spur zu dieser Krimiautorin geworden? Hat sich da etwas ergeben?«
»Du meinst abgesehen von der Übereinstimmung der Tatortkulisse? Ich habe eine Verbindung zwischen dem Opfer und Charlotte Leonberger gefunden. Woys Witwe hat mir bestätigt, dass ihr Mann Ende der Siebziger der Kinderarzt von Charlotte Leonberger gewesen ist.«
»Was sagt dein Chef dazu? Wie hieß er doch gleich, Hauptkommissar Fricke?«
»Nichts«, erwiderte Malin knapp.
Erich Brodersen fixierte seine Enkeltochter. »Du hast es ihm gar nicht gesagt.«
Malin nickte. »Und das werde ich auch nicht tun, bevor ich nicht noch mehr Beweise vorlegen kann. Die Verbindung ist noch ein wenig dürftig. Charlotte Leonberger ist in Hamburg aufgewachsen. Woy war zu der Zeit ein anerkannter Kinderarzt. Es könnte Zufall sein. Außerdem halten die mich im Präsidium sowieso schon für durchgeknallt.«
»Gibt es eine Verbindung zu dem zweiten Mord?«
»Du meinst davon abgesehen, dass wir es innerhalb von einer knappen Woche mit zwei bestialischen Morden zu tun haben, die nicht ins übliche Raster passen? Nein. Es gibt keine Verbindung, zumindest keine offensichtliche.« Nachdenklich biss Malin auf ihrer Unterlippe herum. »Warum fragst du?«
»Sag mal, Malin, hast du eigentlich alle Krimis von Charlotte Leonberger gelesen?«
Verwundert schüttelte Malin den Kopf. »Nein, nur zwei. Und die habe ich geschenkt bekommen. Sie haben mir nicht sonderlich gefallen. Zu trivial. Worauf willst du eigentlich hinaus?«
»Vielleicht ist es nur ein Zufall, aber im zweiten Band wird auch eine Tote in einer Fabrik gefunden.«
Malin erstarrte. »Was sagst du da? Oh mein Gott, dass wäre ja … Hast du das Buch?«
»Warte, ich hole es dir.« Erich Brodersen erhob sich und verließ die Küche, kam mit einem Taschenbuch in der Hand zurück und blätterte darin herum.
Unter der gebräunten Haut wurde er blass. Wortlos hielt er seiner Enkelin das Buch hin und deutete auf eine Stelle des Textes.
9
Es war ein scheußlicher Tag. Kalter Nieselregen tröpfelte schon seit Stunden aus den dicken Wolken, die schwer und bedrohlich am dunkelgrauen Himmel über der Stadt hingen.
Charlotte Leonberger stand in der fünfzehnten Etage eines modernen Gebäudekomplexes am Brooktorkai und schaute missmutig aus dem Fenster auf die Giebel der Speicherstadt. Ungeduldig trommelte sie mit den Fingerspitzen gegen die Scheibe, während die Regentropfen an der Außenseite unablässig in Rinnsalen hinunterliefen. Sie wartete bereits fünfzehn Minuten.
Sie entschied sich gerade zu gehen, als die Tür zum Büro schwungvoll aufgerissen wurde.
Simon Thompson, erfolgsverwöhnter Literaturagent und Miteigentümer der renommierten Medienagentur Thompson & Leith, betrat mit einem strahlenden Lächeln sein Büro. Er war ein großer