Die fünfte Jahreszeit. Anette Hinrichs
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Читать онлайн книгу Die fünfte Jahreszeit - Anette Hinrichs страница 6
Ein Lastwagen hupte.
»Kann der denn nicht aufpassen!«, wetterte Fricke und hupte ebenfalls. »Solche Idioten haben hinterm Steuer einfach nichts verloren.« Dann wandte er sich an Malin. »Am Waldrand im Rehagen wurde ein herrenloses Auto gefunden. Eine schwarze Mercedes-Limousine mit etwas ungewöhnlichem Inhalt. Weiß der Teufel, was das wieder zu bedeuten hat.«
»Was meinen Sie mit ungewöhnlichem Inhalt?«
»Der Wagen war wohl vollkommen leer, bis auf einen Stapel Herrenkleidung. Obenauf liegt eine Brieftasche. Ein Reiter hat den Wagen gestern entdeckt. Als er heute immer noch da stand, hat der Mann die Polizei gerufen. Der Wagen blockiert den Reitweg.«
»Und warum hat man uns verständigt?«
»Der Wagen ist auf einen Dr. Richard Woy zugelassen.«
»Der Vermisste, dessen Beschreibung auf unsere Torhausleiche passt«, stellte Malin verblüfft fest.
»Genau. Und so viele Menschen mit diesem Namen wird es in Hamburg wohl nicht geben. – Ah, ich glaube, da sind wir schon.«
Fricke bog in den Rehagen ein und kurze Zeit später sahen sie den Reitstall. Etwa zweihundert Meter weiter ging die geteerte Straße in einen schmaleren Waldweg über, und an diesem Punkt stand ein Streifenwagen. Fricke parkte sein Auto am Seitenrand. Noch immer regnete es Bindfäden.
Malin setzte die Kapuze ihrer Regenjacke auf und stapfte ihrem Chef durch den Matsch hinterher. Vor dem Streifenwagen parkte ein schwarzer Mercedes der S-Klasse.
Fricke streifte Einweghandschuhe über und reichte Malin auch ein Paar. »Bevor die Spusi den Wagen in die KT bringen lässt, wollen wir doch mal einen Blick hineinwerfen.« Vorsichtig öffnete er eine Fahrzeugtür.
Der besagte Stapel Kleidung lag auf der hinteren Sitzbank. Alle Teile waren akkurat zusammengelegt. Fricke griff nach der Brieftasche aus schwarzem Leder und reichte sie an Malin weiter. Nach kurzem Suchen fand sie hinter dem Kreditkartenfach einen Personalausweis.
»Richard Woy, geboren am 17. Januar 1945. Schauen Sie sich mal das Foto an.« Sie reichte ihm den Ausweis.
Fricke runzelte die Stirn. »Das weist in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit mit unserer Leiche auf.« Er wandte sich an einen der uniformierten Beamten. »Haben Sie die Daten des Halters und die Adresse überprüft?«
»Häherweg in Poppenbüttel«, kam prompt die Antwort.
»Die Adresse stimmt mit den Daten auf dem Personalausweis überein«, bestätigte Malin.
Fricke bückte sich und betrachtete noch mal eingehend das Wageninnere. »Was zum Teufel soll das bloß? Erst die Leiche im Torbogen und jetzt die Limousine, wie auf dem Präsentierteller. Warum so umständlich? Das ist ja total bekloppt«, murmelte er, während der Regen weiterhin unablässig in seinen Nacken glitt. »Ach verdammt … Kann mir vielleicht jemand mal einen Schirm bringen?«
Ein Beamter eilte zum Streifenwagen und kam mit einem aufgespannten Schirm zurück. Er reichte ihn Fricke.
»Danke. Ist dieser Reiter noch vor Ort?«
»Nein, aber ich habe die Personalien überprüft und die Aussage aufgenommen.«
»Gut.« Fricke holte sein Handy aus der Jackentasche. Er drückte Malin den Schirm in die Hand und tippte eine Nummer in die Tastatur. »Ole? Fricke hier. War schon jemand bei den Angehörigen von Richard Woy? Nein? Gut, dann übernehmen wir das.« Er murmelte einen kurzen Abschiedsgruß und wendete sich an den Beamten der Schutzpolizei. »Sie rühren sich nicht vom Fleck und warten auf die Kollegen von der Spurensicherung. – Und wir, Brodersen, fahren jetzt mal zu dieser Adresse in Poppenbüttel.«
Fünfzehn Minuten später standen Malin und Fricke vor einem weißen Bungalow aus den siebziger Jahren. An der Eingangspforte warnte ein Schild vor einem bissigen Hund.
Malin drückte die Klingel. Eine elegante Frau mittleren Alters öffnete und ein Westhighlandterrier flitzte aus dem Haus. Wild mit dem Schwanz wedelnd sprang er an Malins Beinen hoch und versuchte, ihr die Hand zu lecken. Das zum Thema bissiger Hund, dachte sie und tätschelte seinen Kopf.
Fricke stellte sich und Malin vor. »Sind Sie Frau Woy?«
Der Blick der Frau wurde ängstlich. »Ja, ich bin Henriette Woy. Kommen Sie wegen meines Mannes?«
Fricke nickte.
»Dann kommen Sie bitte herein.« Sie führte sie in ein behaglich eingerichtetes Wohnzimmer mit cremefarbener Sitzgruppe und Sesseln aus Korbgeflecht. Mit einer einladenden Geste wies sie auf die Couch. »Bitte, was ist mit meinem Mann, haben Sie ihn gefunden?« Henriette Woy strich sich eine dunkle Haarsträhne aus dem diskret geschminkten Gesicht.
Fricke räusperte sich. »Frau Woy, bitte schildern Sie uns, was Sie dazu veranlasst hat, Ihren Mann als vermisst zu melden.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Mein Mann hat sich vorgestern Abend mit ein paar alten Kollegen getroffen. Alles pensionierte Ärzte. Sie treffen sich immer einmal im Monat. Jeden ersten Dienstag. Gegen halb elf hat er mich angerufen, um mir zu sagen, dass er auf dem Weg nach Hause ist. Aber er ist nicht gekommen.« Sie wischte sich eine Träne von der Wange. »Gegen Mitternacht habe ich dann angefangen, seine Freunde und die Krankenhäuser anzurufen. Niemand wusste etwas. Und bei der Polizei hat man mir dann gesagt, es gebe derzeitig keinerlei Veranlassung, eine Vermisstenanzeige aufzunehmen. Das ist erst heute früh geschehen.« Mittlerweile war Henriette Woys Gesicht tränenüberströmt, und sie musste sich räuspern, um weitersprechen zu können. »Bitte sagen Sie mir endlich … Ist ihm etwas passiert?«
Fricke warf Malin einen unbehaglichen Blick zu und wandte sich dann an die zitternde Frau. »Frau Woy, der Wagen Ihres Mannes wurde verlassen an einem Waldweg im Rehagen gefunden. Können Sie sich vorstellen, was er dort vielleicht gewollt hat?«
Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Was sollte er dort gewollt haben? Er wollte doch nach Hause kommen.«
»Frau Woy, ich würde Ihnen das gerne ersparen, aber wir haben gestern Morgen eine Leiche gefunden, die auf die Beschreibung Ihres Mannes passt. Ich muss Sie leider bitten, uns zu begleiten.«
»Mein Mann soll tot sein? Das glaube ich nicht«, sagte Henriette Woy kraftlos.
Malin setzte sich neben die verstörte Frau. »Gibt es jemanden, der Sie begleiten könnte?«
»Meine Tochter, ich muss meine Tochter anrufen.« Zitternd erhob sich Henriette Woy von der Couch und verließ den Raum.
»Sie denken es auch, oder?« Malin sah ihren Chef fragend an. »Ich meine, dass er es ist.«
Fricke nickte. »Trotz all meiner Dienstjahre habe ich mich immer noch nicht an diese Augenblicke gewöhnt.« Er schien zu sich selbst zu sprechen. Resigniert