Tödliche Klamm. Mia C. Brunner

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Tödliche Klamm - Mia C. Brunner

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zu befreien.

      Der Hof, auf dem sie seit etwa einem Jahr lebte, war klein. Günther, ihr Mann, besaß gerade einmal acht Kühe, 20 Hühner, ein paar Gänse und zwei Schweine. Das meiste an Fleisch, Eiern und Milch diente dem Eigenbedarf, der klägliche Rest wurde im hofeigenen Laden verkauft, neben Marmelade, selbst geräucherter Wurst, Käse, Obst und Gemüse. Auch den Hofladen betrieb einzig und allein ihre Schwiegermutter Erna, ein herrisches altes Weib, das unzufrieden und immer griesgrämig aus der Wäsche guckte. Es war ein Wunder, dass der Laden so gut lief und sie nicht mit ihrem unhöflichen und unfreundlichen Auftreten die Kundschaft vergraulte. Hier in der Gegend kannte man halt Erna vom Lochbichlerhof.

      Doch ohne die kleinen Aushilfsjobs, die ihr Mann Günther in der Umgebung verrichtete, würde der Hof nicht genug abwerfen, um zu dritt einigermaßen sorgenfrei zu leben. Er half anderen Landwirten bei der Ernte und war durchaus talentiert, die eine oder andere Landmaschine, die ihren Geist aufgegeben hatte, mit wenig Aufwand wieder zum Leben zu erwecken. Er hatte sich hier in der Gegend unentbehrlich gemacht, war allseits beliebt und seine Arbeitskraft wie auch seine Gesellschaft war gern gesehen. Neben dem ortsansässigen Schützenverein war er Mitglied im Kegelclub, spielte regelmäßig Karten am Stammtisch im Dorfgasthof und erledigte seine Aufgaben als gelernter Jagdhelfer. Wegen all dieser Tätigkeiten hielt er sich nur selten auf dem Hof auf, und das war es, was sie am meisten an ihm schätzte.

      5

      »Und ist deine Schätzung denn wirklich korrekt?« Florian hob die Hand und winkte der Kellnerin, die zwei Tische weiter ein älteres Ehepaar bediente, ihm jetzt aber freundlich zunickte und ihm so signalisierte, dass sie gleich an ihren Tisch kommen würde.

      »Wenn ich eine Aussage treffe, ist das keine Schätzung, sondern eine exakte Bestimmung des Todeszeitpunktes. Außerdem wollten wir hier nicht über die Arbeit sprechen«, bemerkte Ewe leicht genervt und trank schnell den letzten Schluck des Bieres aus, denn die Kellnerin war schon auf dem Weg zu ihnen.

      »Noch ein Weizen, bitte«, rief er ihr entgegen und sah dann zu seinem Freund.

      »Für mich auch«, brummte Florian und hielt der jungen Frau an ihrem Tisch wortlos sein leeres Glas entgegen, ohne sie anzusehen.

      Erwin Buchmann schüttelte verständnislos den Kopf. »Was ist denn los mit dir? Noch nicht einmal zwei Wochen bei der Arbeit und schon wieder urlaubsreif«, bemerkte er belustigt, als die Bedienung mit den leeren Gläsern und den Tellern abgezogen war. »In Zellamsi warst du eindeutig netter zu den hübschen Kellnerinnen. Und die eben war doch ganz süß.« Ihr gemeinsamer Urlaub im schönen Ort Zell am See in Österreich hatte eigentlich nur aus täglich zwei Stündchen Skifahren und vielen feuchtfröhlichen Stunden Après-Ski auf diversen Hütten bestanden. Florian konnte sich gar nicht erinnern, ob er in den zwei Wochen überhaupt mal richtig nüchtern gewesen war. Jedenfalls ist der liebevolle Begriff »Zellamsi« aufgrund der ständig schweren Zunge und der vielen arabischen und asiatischen Touristen, die es nicht besser wussten, einfach hängengeblieben.

      »Zwölf Jahre liegt die Leiche der Frau schon in der Breitachklamm?« Florian ging auf die Bemerkung seines Freundes gar nicht ein. »Und die Todesursache?«

      »Mein Gott, Florian, jetzt reicht’s aber.« Ewe sah ihn ärgerlich an. »Ja, zwölf Jahre. Todesursache war ein Genickbruch, DNA ist bestimmt. Steht alles im Bericht, den du dann morgen lesen kannst.«

      »Aber …«

      »Schluss jetzt. Trink!«, befahl Ewe, als die junge Kellnerin das Bier brachte und Florian zuzwinkerte. Der lächelte nur etwas gequält, griff nach dem Glas auf dem Tisch, aber anstatt einen Schluck zu nehmen, stellte er es zurück und ließ es gleich wieder los. Dann rieb er sich mit beiden Händen über das Gesicht.

      »Mit der Arbeit lenkst du dich nur ab«, stellte Florians Freund besorgt fest. »Was ist los mit dir?«, wiederholte er, hob sein eigenes Glas und stieß es sanft klirrend gegen das zweite. »Trink!«

      »Christian hat mich heute auf dem Präsidium besucht«, erwähnte Florian schließlich fast tonlos.

      »Dass das Arschloch sich noch in deine Nähe traut, nach allem, was er dir angetan hat.« Ewe schüttelte fassungslos seinen Kopf. »Der ist sich wohl nicht bewusst, wie wir Allgäuer so etwas regeln. Der hätte sich leicht eine fangen können, der Idiot.«

      »Hat er ja.«

      »Was hat er?«

      »Hab ihm voll eine …!« Ganz unbewusst rieb sich Florian die rechte Hand, die zur Faust geballt war, starrte dann auf seine Hände und fuhr sich schließlich nervös durchs Haar.

      Als er aufsah, lächelte Ewe zufrieden und nickte. »Er hat es verdient«, schloss der junge Gerichtsmediziner und nickte zur Bekräftigung seiner Worte. »Niemand spannt einem Allgäuer ungestraft seine Freundin aus.«

      »Das ist ja das Problem«, fuhr Florian nach kurzem Zögern fort. »Die Sache mit Jessica ist nie passiert.«

      »Das verstehe ich nicht.«

      »Ach, scheiße, Mann. Jessica hat mich nicht betrogen. Das hat sie nur behauptet, um mich ganz schnell loszuwerden. Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, warum.«

      »Versteh mir einer die Frauen«, sagte Ewe nach kurzem Zögern und versuchte noch einmal, seinen Freund zum Trinken zu animieren, indem er sein Weizenglas anhob und ihm zuprostete.

      »Wem sagst du das.« Florian nickte heftig. »Ich hab ja schon Schwierigkeiten, die Allgäuer Frauenwelt zu verstehen, aber die norddeutschen Frauen sind um Längen schlimmer. Es ist, als würde man eine andere Sprache sprechen.« Dann griff er endlich nach seinem Bierglas, hielt aber erneut inne. Der Ausdruck auf seinem Gesicht verriet, dass er angestrengt nachdachte. Schließlich nickte er erneut. »Es ist tatsächlich eine andere Sprache, die wir sprechen. Es ist nicht gut, sich mit Frauen einzulassen, die eine völlig andere Mentalität haben als man selbst. Schluss mit der Sache. Prost, Ewe.«

      Der Gerichtsmediziner trank einen großen Schluck aus seinem Glas und sah seinen Freund dann lange und durchdringend an. Er begriff, dass Florian mit der Angelegenheit noch nicht abgeschlossen hatte und Jessica nicht so leicht aufgeben konnte, wie er behauptete.

      »Du bist mein Freund, also darf ich es geradeheraus sagen: Du bist ein Idiot, wenn du nicht siehst, dass du und Jessica, dass ihr euch ähnlicher gar nicht sein könnt. Beide Sturschädel, beide rechthaberisch, beide starke Persönlichkeiten, die sich nie etwas sagen lassen. Gleiche Mentalität – gleiche Art Probleme zu lösen, nämlich durch Vermeidung und Weglaufen. Daran kann es also wirklich nicht liegen! Ihr sprecht absolut die gleiche Sprache!«

      »Gibt es schon Neuigkeiten von der Staatsanwaltschaft?«, wollte Hauptkommissar Kern wissen. Er saß wie üblich in seinem bequemen Lederstuhl hinter seinem Schreibtisch und nippte vorsichtig an der Tasse mit dem heißen Kakao, den Jessica ihm aus der kleinen Teeküche im zweiten Stock mitgebracht hatte. »Sobald wir die Unterschrift haben, planen wir den Einsatz. Reischmann und Willig sind mir als Unterstützung zugeteilt.«

      »Noch ist nichts gekommen. Ich kann noch mal anrufen«, bot Jessica an und griff schon nach dem Hörer.

      »Himmel, nein. Es ist doch schon 14 Uhr«, fuhr Kern dazwischen. »Wenn wir den Wisch in der nächsten Stunde kriegen, dann müssen wir heute noch los.« Er schüttelte heftig den Kopf und lächelte dann wissend. »Sie müssen noch viel lernen, Fräulein Grothe.«

      Jessica drehte sich um und rollte mit den Augen, atmete tief ein und aus und ging dann zurück zu ihrem Schreibtisch. Was dachte ihr Kollege

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