Die Erleuchtung der Welt. Johanna von Wild
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Читать онлайн книгу Die Erleuchtung der Welt - Johanna von Wild страница 3
Schwer atmend ließ Margret sich nach hinten auf den Rücken fallen, bleich und von Schweiß durchnässt, ihre Haare klebten am Kopf. Helena gab ihrem Brüderchen einen Klaps, woraufhin ein schwaches Weinen zu hören war. Sanft legte sie das Neugeborene auf Margrets Bauch und tauchte einen Lappen in den Kessel, legte ihn beiseite, damit er etwas abkühlen konnte, bevor sie das Kind damit säuberte.
Margret hatte keine Kraft mehr und sah sich ihr Kind nicht einmal an. Teilnahmslos lag sie mit geschlossenen Augen da. Helena nahm den Faden, unterband die Nabelschnur an zwei Stellen und kappte mit dem scharfen Messer die Verbindung zwischen Mutter und Kind. Dann nahm sie den Lappen und begann, den Säugling von Blut und Schleim zu reinigen. Als sie in das Gesicht ihres Brüderchens blickte, wurde ihr bang ums Herz. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Kleine mandelförmige Augen, eine viel zu hohe Stirn mit einem flammenden Mal, die Lippen seltsam geformt. Eine Hasenscharte. Die Ohren saßen viel zu tief am Köpfchen. Helenas Augen glitten an dem kleinen Körper entlang. Die linke Hand besaß sechs Finger. Sie riss sich von dem schrecklichen Anblick los, wickelte das Kind in eine Decke und legte es neben seine Mutter.
»Mutter, Mutter!« Vorsichtig rüttelte sie an Margrets Schulter.
Doch Margret rührte sich nicht, und immer noch floss Blut aus ihr heraus. Verzweifelt versuchte Helena, die Blutung mit dem Lappen zu stoppen, doch es nützte nichts.
Als ihr Vater und Siegfried nach Hause kamen, fanden sie Helena schluchzend, das Neugeborene fest an sich gedrückt, neben der reglosen Margret. Greta saß mit angewinkelten Beinen in der Ecke, den Kopf auf die Knie gelegt und zwischen den Armen vergraben.
Wigbert stürzte zu seiner Frau, kniete sich neben sie, tätschelte die bleichen Wangen. Nichts geschah. Er zog ihren Kopf in seinen Schoß, rieb seine bärtige Wange an Margrets Gesicht. Ihre Atemzüge waren kaum wahrnehmbar, und Wigbert wusste, seine Frau lag im Sterben. Die Kinder konnten des Vaters Tränen nicht sehen, wofür er dankbar war. Der Schmerz des Verlustes zerriss ihn beinahe, doch er musste sich zusammenreißen. Siegfried begann, leise zu weinen, setzte sich neben Greta und zog seine kleine Schwester an sich.
Wie sollen wir den Säugling füttern? Milch haben wir keine, dachte Helena. Vielleicht bekommen wir von Anna etwas.
Anna besaß eine kleine Viehherde und einige Hühner, hatte ein gutes Herz und wohnte nur eine Gasse weiter. Hin und wieder steckte sie Wigberts Kindern etwas zu essen zu, meist ein Stückchen Käse oder einen Apfel.
»Und das Kind?«, fragte Wigbert mit gebrochener Stimme.
Sanft ließ er Margret, die wie leblos dalag, zurücksinken und kam mühsam auf die Beine.
»Es lebt, aber es ist schwach. Es kam mit dem Steiß zuerst auf die Welt, und Mutter hat nicht aufgehört zu bluten.«
»Gib es mir. Was ist es? Ein Junge?«
Wigbert streckte die Arme nach seinem Sohn aus.
»Vater … er …«, begann Helena zögernd und hielt das Neugeborene fest.
Wie sollte sie ihrem Vater beibringen, dass das Kind gezeichnet war?
»Gib ihn mir«, forderte Wigbert.
Wortlos überließ Helena ihm ihren winzigen Bruder. Als Wigbert in das zerknautschte Gesichtchen blickte, fuhr er zurück, als hätte er einen Schlag erhalten.
»Das ist Teufelswerk!« Mit ausgestreckten Armen hielt er seinen Sohn von sich, der schwach strampelte und wieder zu schreien begann. Helena nahm den Säugling, wiegte ihn in den Armen und tätschelte ihm beruhigend das Köpfchen. Auch wenn er missgestaltet war, war er doch ein Lebewesen. Und ihr Bruder.
»Er hat Hunger, wir müssen ihm Milch geben, Vater.«
»Bist du verrückt geworden? Wir haben kein Geld für Milch, und schon gar nicht für eine Missgeburt!«, fuhr er sie an.
»Aber wir könnten doch Anna fra…«, begehrte Helena auf.
»Schweig! Siegfried, geh und hol den Priester, beeil dich!«, befahl er seinem Sohn, der sich daraufhin aufrappelte und wortlos verschwand.
»Und du bringst dieses scheußliche Ding weg. Geh schon, leg es in den Wald. Füchse und Wölfe werden dafür sorgen, dass es verschwindet«, herrschte Wigbert seine Tochter an.
Helena schüttelte trotzig den Kopf und unterdrückte aufsteigende Tränen. Wigbert verpasste ihr eine Ohrfeige, riss ihr den Säugling aus den Armen und stürmte aus dem Haus. Greta stand auf, lief zu ihrer weinenden Schwester, drückte sich an sie, um sie zu trösten.
»Komm, Greta«, schluchzte Helena und wischte sich die Tränen, die eine Spur durch ihr dreckiges Gesicht gezogen hatten, mit dem Handrücken ab. »Wir müssen Mutter waschen, damit sie anständig unter die Erde kommt.«
Schweigend, nur durch gelegentliche Schluchzer unterbrochen, machten sich die Mädchen an die traurige Arbeit. Margret atmete immer noch, erlangte aber das Bewusstsein nicht wieder, auch nicht als der Vater zurückkam. Im Schlepptau hatte er Siegfried und den Priester, die er beide unterwegs getroffen hatte.
Der vom Alter gebeugte Priester strich den Mädchen sanft übers Haar und legte sich seine Stola rechts und links über die Schulter. Dann kniete er sich neben die Sterbende.
»Bekenne deine Sünden, Margret, damit ich dir die Absolution erteilen kann«, sagte er. Eine Antwort erhielt er nicht.
Der Priester tauchte seinen Zeigefinger in ein Öltöpfchen und zeichnete Kreuze auf Margrets geschlossene Augenlider, Ohren, Nasen, Lippen, Brust, Herz, Schultern, Hände und Füße.
»Ich salbe diese Hände mit geweihtem Öl, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, auf dass getilgt werde, was sie durch unerlaubtes oder schändliches Tun angerichtet haben.«
Dann zog er einen kleinen Beutel unter seinem schwarzen Gewand hervor, um ihm eine Hostie zu entnehmen, die er Margret in den Mund legte. Ein tiefer, rasselnder Atemzug war zu hören, und Margrets Lebenslicht erlosch. Ächzend kam der Priester auf die Beine.
»Wo ist das Kind, damit ich es taufen kann?«
Wigbert schluckte. »Es war eine Missgeburt. Sie hat meiner Frau das Leben gekostet. Ich habe sie in den Wald gebracht.«
»Missgeburten sind des Teufels. Hat Margret sich versündigt?«
Wigbert schüttelte verzweifelt den Kopf. »Nein! Margret war die beste Ehefrau, die man sich nur wünschen konnte. Fleißig, ehrlich und eine gute Mutter. Täglich hat sie gebetet und ist regelmäßig zur Beichte gegangen.« Dann ging er in eine Ecke, wo eine kleine Kiste stand, in der nur wenige Münzen lagen. Er fischte zwei heraus und bezahlte die Stolgebühr. Geschickt ließ der Priester die Münzen unter seiner schwarzen Soutane verschwinden. »Gehabt euch wohl«, sagte er und verschwand.
Vor wenigen Tagen hatten sie Margret begraben, und Wigbert wusste nicht, wie er seine Kinder über den Winter bringen sollte. Die sehr überschaubare Anzahl Säcke mit Weizen, Gerste und Äpfeln lagerte in einer Ecke der Scheune, die an die Kate grenzte. Wenigstens für Helena sollte er Arbeit finden, dann hätte er nur noch zwei Mäuler zu stopfen. Mit geübten Bewegungen wetzte er seine Sense, jetzt im Winter war Zeit, um Gerätschaften in Ordnung zu bringen. Er hob den Kopf, als er Anna auf sich zukommen sah. Ihr pausbackiges Gesicht mit den rot gefärbten Wangen wirkte immer fröhlich, obwohl vor wenigen Wochen ihr Mann am Wechselfieber