Die letzte Kurve. Wildis Streng
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Читать онлайн книгу Die letzte Kurve - Wildis Streng страница 5
»Ach ja«, sagte der Kollege und erklärte dann: »Ich bin der Sebastian.«
Heiko atmete auf, das würde die Sache vereinfachen.
»Heiko und Lisa«, informierte Lisa, während der Kollege sie zur Leiche führte.
»Wieso rufst du denn da uns an?«, wunderte sich Heiko. »Ist das kein normaler Motorradunfall?«
Sebastian schürzte die Lippen. »Natürlich sieht das erst einmal so aus.«
Sie waren bei der Leiche angekommen, einem gut trainierten Mann Anfang 50 im Lederdress, der wie eine verrenkte Puppe neben einem blühenden Obstbaum zum Liegen gekommen war. Das Genick war gebrochen, das war deutlich zu sehen, obwohl er den hellblauen Helm mit dem silberfarbenen stilisierten Blitz noch trug, denn der Kopf war auf unnatürliche Weise nach hinten überstreckt.
»Genickbruch, oder?«, fragte Lisa.
Unbemerkt war Uwe von hinten an sie herangetreten, er trug einen weißen Overall der Spurensicherung. Die Haller waren noch nicht anwesend, sie würden aber sicherlich gleich kommen. Zu Mordfällen wurden nämlich auch immer Kollegen der Haller Spurensicherung hinzugezogen, quasi zur Verstärkung.
»Hallo, Lisa, hallo, Heiko«, grüßte er und schloss zu ihnen auf.
»Ach, dr Kolleech«, grüßte Heiko zurück. »Was sagst du denn dazu?«
»Natürlich hat der einen Genickbruch. Aber das ist noch nicht alles.«
»Sondern?«, fragte Lisa nach, während Heiko innerlich die Augen verdrehte. Er hasste es, wenn Uwe sich derartig bitten ließ. Allerdings legte Lisa immer eine stoische Geduld an den Tag, wenn es darum ging, Informationen aus dem Crailsheimer Spurensicherer herauszukitzeln. Geduld – eine Eigenschaft, die Heiko als echtem Hohenloher definitiv fehlte.
Uwes haarloser Kopf mit dem kleinen Bärtchen und den dunklen Augen ruckte in die Richtung von Sebastian Werner. »Dem Kollegen ist was Komisches aufgefallen«, führte er weiter aus.
Werner nickte. »Ja, und zwar ist da viel Erbrochenes.«
Nun beugten sich die beiden Crailsheimer Kommissare über die Leiche, und tatsächlich, aus dem Visier des Helms sickerte eine arg unappetitliche grünliche Brühe mit nicht näher definierbaren Brocken. »Kann das nicht sein, dass der brechen musste, weil er so schockiert war, dass er neben rausfährt?«, schlug Heiko vor.
Uwe schüttelte den Kopf. »Es ist verdammt komisch, dass er es nicht geschafft hat, rechts ranzufahren. Normalerweise kann man das Brechen ja kurz zurückhalten.«
»Auch, wenn man betrunken ist?«
»Nach Aussagen der Mitfahrer hatte er nur Kaffee und Limonade intus. Er sei diesbezüglich sehr pedantisch gewesen.«
»Hm.« Lisas Blick blieb an einem bläulichen Schmetterling hängen, der sich neben der Leiche aus dem Gras erhob und in den wattewolkigen Himmel aufstieg.
»Also, mir war es jedenfalls ein bisschen suspekt«, meinte Werner, »und lieber einmal zu oft die Kripo geholt als einmal zu wenig. Denn immerhin könnte der ja auch vergiftet worden sein, wer weiß?«
»Das ist eine Vermutung«, stellte Heiko fest. »Nicht mehr.«
Uwe nickte. »Ja. Aber du wirst mir ja zustimmen, dass man da lieber eine Obduktion macht. Für den Fall der Fälle. Und fasst den Kerl bloß nicht an!«
Zur gleichen Zeit schoss »Ridewithflitzi« einige Fotos für seinen Instagram-Account. Er hatte die Dachterrasse des Café Bauer kaum betreten, als ihm sofort die Menschenmenge aufgefallen war, die den Unfall beobachtete. Und sogleich hatte er ein paar Leute ausgefragt, einfach, weil es ihn interessierte. Anscheinend hatte es ein bisschen gedauert, bis die Leute es kapiert hatten, denn es war sozusagen ein »leiser« Unfall gewesen. Quasi ein leiser Knall. Markus erwischte sich dabei, wie er den Unfall irgendwie cool fand, wie er ihm ein wohliges Gruseln verursachte. Wie in einem Horrorfilm, den man selbst erlebte, in dem man der Protagonist war. Er hatte der Versuchung widerstanden, ein paar Fotos zu knipsen, obwohl die Kamera seines Handys verdammt gut war, sie war ja sein Arbeitsgerät. Er hatte bereits jetzt über 11.000 Follower, was für die hiesige Gegend gar nicht schlecht war. All seine Posts taggte er mit so vielen Hashtags, wie ihm einfielen, das war heutzutage das Wichtigste, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Er bekam schon Anfragen von Firmen, die wollten, dass er ihre Produkte promotete. Aber für seinen Geschmack waren immer noch zu viele schwarze Schafe dabei, bei denen er die Sachen erst mal kaufen sollte, und das war ja nun nicht Sinn der Sache. Er wollte ein Star werden, der Influencer im Bereich Motorcycling. Und er würde es schaffen, da war er sich ganz sicher. Auch, wenn es genügend Hater gab, die ihn mobbten, weil sie neidisch waren oder weil sie ihn einfach lächerlich fanden. Die würden sich noch umgucken, wenn er Millionen scheffeln würde. Okay, Millionen waren wohl tatsächlich nicht ganz realistisch. Hunderttausende schon. Immerhin war er keine Frau, wie die scharfe »Biker-Suzy«, die er früher am Tag beim Rumlaufen entdeckt hatte und die er vom Instagram kannte.
Markus Unger zückte sein Handy, richtete die coole Lederjacke und machte ein Selfie in Richtung Bächlingen, um Minuten später zu posten: Saugeiler Tag heute in #Langenburg, wo ich mit dem #Bike unterwegs bin. Gewohnheitsmäßig fügte er noch circa 20 andere Hashtags hinzu wie #motorcycle, #motolifestyle, #bikersofinstagram, #superbikes, #2wheelslovers, #bikers, #bikewars, #motorcyclelife, #featureme, #motorradliebe, #hohenlohe oder #nakedbikes. Er dachte kurz nach, bevor er ergänzte: #unfall #ostermontag #bächlingen #crash #todesopfer #verkehrstote #verkehrssicherheit #unfälle #wasistpassiert #todesfall. Denn das würde sicherlich ein paar Follower mehr bringen.
Der zierliche, etwas durchgeistigt wirkende Sanitäter hatte den Kommissaren schlichtweg verboten, sich mit der Frau und dem Sohn des Opfers zu unterhalten, die beide auf Pritschen im Krankenwagen saßen. Die seien definitiv nicht in der Lage dazu, den Kommissaren Rede und Antwort zu stehen. Heiko sah zu der eigentlich hübschen Frau mit der blonden Kurzhaarfrisur hin, die jetzt arg verheult wirkte, und zu dem jungen, ebenso blonden Mann um die 20, dessen Gesicht absolut ausdruckslos war. Sebastians Partnerin stand dabei und kümmerte sich um die Versorgung der vollkommen schockierten Angehörigen.
»Tja, da kann man wohl nichts machen«, stellte Lisa fest.
»Ist ja auch wirklich verständlich.« Heiko nickte und zückte seine Kippenschachtel.
Ausnahmsweise protestierte Lisa einmal nicht, als er sich mit fahrigen Fingern eine anzündete. In letzter Zeit nervte sie ihn sehr mit dem Aufhören. Aber auf den Schreck einer Leiche hin war es wohl durchaus legitim, eine zu rauchen. Er schloss die Augen, sog tief den Rauch in seine Lungen ein, der brannte gut.
»Reden wir mit den anderen?«, schlug Lisa vor.
Heiko zog noch einmal an der Kippe, nickte und schnippte sie in den Graben, der in entgegengesetzter Richtung zur Leiche lag, um Uwes Spurensicherungs-Zorn nicht auf sich zu ziehen.
Sie erreichten nach wenigen Schritten den Pulk Menschen, die ihre Helme abgenommen hatten und augenblicklich verstummten, als die Kommissare zu ihnen traten. Es handelte sich um sechs Biker aller Altersklassen. Zwei davon waren Frauen, die eine Ende 50, die andere etwas über 20 und ausnehmend hübsch.