Die Salbenmacherin. Silvia Stolzenburg

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Die Salbenmacherin - Silvia Stolzenburg

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hochgewachsene Fremde im Rahmen. Und Olivera musste alle Selbstbeherrschung aufbringen, um ihn nicht anzustarren. Er überragte seine beiden Begleiter um mehr als Haupteslänge. Das rotblonde Haar war unter einer kleinen schwarzen Kappe verborgen und die dunkle Kleidung betonte seine helle Haut. In seinem Gürtel steckte ein prachtvoller Dolch, dessen Scheide mit Edelsteinen besetzt war. Als er die Augen auf Olivera und ihre Großmutter richtete, durchrieselte die junge Frau ein Schauer. Für den Bruchteil eines Augenblicks hielt sie dem halb prüfenden, halb überraschten Blick stand. Dann senkte sie den Kopf und starrte auf ihre Zehenspitzen. Das Herz in ihrer Brust flatterte wie ein Vogel. Warum hatte sie nur auf ihre Vernunft gehört und nicht ihr bestes Gewand angezogen?, war alles, was ihr durch den Kopf schoss, als er auf sie zutrat.

      Kapitel 3

      Konstantinopel, Juli 1408

      Laurenz Nidhard war erstaunt. Vielleicht war er sogar ein wenig mehr als erstaunt, doch er versuchte, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen.

      »Meine Tochter Olivera«, wiederholte sein Gastgeber.

      Und Laurenz verneigte sich hastig vor der jungen Frau, die der Grund für seine Verblüffung war. Konnte diese Schönheit dasselbe Mädchen sein, an das er sich von seinem letzten Besuch erinnerte? Er rang um eine ausdruckslose Miene. Bedauernd riss er sich von dem liebreizenden Anblick los, da er nicht rüde erscheinen wollte. Wenn es sich um dasselbe Mädchen handelt, dachte er, dann ist aus dem hässlichen Entlein ein wahrlich prächtiger Schwan geworden!

      »Setzt euch«, lud ihn der alte Philippos ein, bevor Laurenz in seiner Erinnerung nach den Bildern des linkischen Kindes graben konnte, über das er mit dessen Brüdern gescherzt hatte. Weiterhin bemüht, seine Verwunderung nicht zu zeigen, trat er von den Damen zurück und folgte seinem Gastgeber zum Tisch. Doch zu Laurenz’ Leidwesen platzierte ihn der Grieche nicht neben seiner Tochter, sondern neben dem Goldschmied Andreas. Allerdings währte die Enttäuschung nicht allzu lange, da sich die junge Frau auf einem Stuhl gegenüber dem seinen niederließ.

      »Lass auftragen«, sagte der Hausherr an eine Magd gewandt, und wenig später füllte sich die Tafel mit allerlei Köstlichkeiten. Einer Eiersuppe mit Safran, Pfefferkörnern und Honig folgten Lamm mit Zwiebeln, gebratenes Huhn in Mandelsoße und eine Pastete aus Krebsfleisch. Ergänzt wurden diese Speisen durch frische Oliven und geröstete Nüsse, von denen der Goldschmied offenbar nicht genug bekommen konnte. »Wo kauft Ihr nur immer diese wundervollen Nüsse«, nuschelte dieser mit vollem Mund und langte erneut zu.

      »Auf dem Markt, wo Ihr auch einkauft«, gab Philippos trocken zurück. »Aber wir sind nicht hier, um uns über Nüsse zu unterhalten, sondern um Geschäftliches zu klären«, setzte er hinzu.

      Laurenz verkniff sich ein Stöhnen. Nahm die Diskussion denn nie ein Ende? War immer noch nicht alles gesagt? Was änderte all das Reden? Er warf Olivera einen verstohlenen Blick zu und sah zu seinem Entzücken, dass sie errötete. Hatte er noch am Morgen das Los verflucht, das ihn – gegen seinen Willen – erneut nach Konstantinopel geführt hatte, erschien es ihm auf einmal gar nicht mehr so furchtbar.

      Wenn er schon warten musste, bis dieser verfluchte Goldschmied endlich die letzten Behältnisse für die falschen Reliquien, mit denen er und die anderen handelten, angefertigt hatte, dann konnte er sich die Zeit sicher auch auf angenehme Art vertreiben. Er schenkte der jungen Frau ein Lächeln, das ihre Wangen erneut mit Feuer überzog.

      »Ich habe Euch doch gesagt, dass es nicht meine Schuld ist«, riss ihn das Genörgel des Schmiedes aus den angenehmen Gedanken. »Durch den Zwist zwischen Sultan Bayezids Söhnen sind die Handelswege nicht mehr sicher. Ich bin nicht der Einzige, der vergebens auf seine Waren wartet.«

      Laurenz verzog das Gesicht. »Dann nehmt eben etwas anderes als Elefantenzähne und Straußeneier für die …« Er zögerte kurz mit einem Blick auf die Frauen, da er nichts verraten wollte, was diese nicht wissen sollten. »Waren«, setzte er betont hinzu. »Wen interessiert das denn schon?«, brummte er.

      Der Gastgeber hob beschwichtigend die Hände. Als der Goldschmied vom Lateinischen ins Griechische wechselte und etwas hervorstieß, das wie eine Schimpfkanonade klang, fuhr er ihn barsch an: »Sprecht Latein, damit Euch alle am Tisch verstehen können! Ihr vergesst die Gebote der Gastfreundschaft!«

      Der Gescholtene knurrte etwas Unverständliches und stopfte sich einen Bissen Hühnerfleisch in den Mund. Nachdem er diesen geschluckt hatte, fauchte er: »Ich dachte, Ihr wollt Eure Ware so teuer wie möglich verkaufen!« Auch er bedachte die Frauen mit einem Blick, dann funkelte er Laurenz zornig an. »Gewiss könnte ich Ochsenhörner verwenden. Aber wer würde Euch dann den Preis zahlen, den Ihr fordert?« Sein rundes Gesicht glühte. »Wenn Ihr nicht endlich aufhört, mich dafür verantwortlich zu machen, müsst Ihr Euch eben einen anderen suchen!«

      Laurenz seufzte. Der Mann hatte ja recht. Allerdings hatte ihn die Vorstellung, länger in der Stadt bleiben zu müssen, bis vor wenigen Minuten noch mit Missmut erfüllt. Sein Blick kehrte wie magisch angezogen zu der Tochter des Hausherrn zurück. Seine Mundwinkel stahlen sich kaum merklich nach oben. Was sein Gastgeber wohl sagen würde, wenn er seine Gedanken lesen könnte? Er zwang sich, ein ernstes Gesicht zu wahren, und lenkte die Aufmerksamkeit zurück auf den Goldschmied.

      »Es tut mir leid, Andreas«, entschuldigte er sich lahm. »Aber Ihr wisst, dass ich nicht ewig hierbleiben kann. Die Nachfrage steigt und die Käufer werden immer ungeduldiger.«

      »Ja, ja«, schnaubte der Goldschmied. »Aber mit Ungeduld kommt man nicht weit.«

      »Warum vertreibt Ihr Euch die Zeit nicht auf dem Markt?«, warf Philippos ein, um den Streit zu schlichten. »Kauft etwas für Eure Gemahlin, bringt ihr Geschmeide oder Stoffe mit.«

      Laurenz lachte. »Wenn ich eine Gemahlin hätte, würde ich Euren Rat vermutlich befolgen.« Ein gepresster Laut, der in ein Husten überging, veranlasste ihn, den Kopf zu wenden und Olivera anzusehen.

      Diese schien sich an einem Stückchen Lammkeule verschluckt zu haben. Ihre Großmutter beugte sich mit besorgtem Gesicht zu ihr hinüber und klopfte ihr auf den Rücken.

      »Iss langsam, Kind«, ermahnte die alte Frau das Mädchen.

      Und Laurenz stellte erstaunt fest, dass sie ebenso Latein sprach wie die Männer. Wie ungewöhnlich!, dachte er. Aber Philippos’ nächste Bemerkung führte dazu, dass er seine Aufmerksamkeit wieder seinem Gastgeber zuwandte.

      »Begleitet mich morgen zu dem venezianischen Glaser«, schlug der Grieche vor. »Sein Glas ist so rein, dass es einem Bergkristall gleicht.« Er legte Daumen und Zeigefinger aneinander, sodass sie einen Kreis bildeten, und küsste seine Fingerspitzen. »Wenn Andreas dieses Glas in die Behältnisse einfügt, dann werden Eure Gewinne Euch für die Wartezeit entschädigen, glaubt mir.«

      Laurenz hob erstaunt die Brauen. »So rein wie ein Kristall?«, fragte er ungläubig. Wenn das stimmte, dann würde der Wert seiner Waren in der Tat ins Unermessliche steigen. Sein Gewissen wollte sich zu Wort melden, aber er vertrieb die Reue mit einem Kopfschütteln. Was sollte er denn tun? Schließlich war das Ganze nicht sein Einfall gewesen! Gewiss, er steckte bis zum Hals mit in der Sache. Aber nur, weil er so dumm gewesen war, einem angeblichen Freund einen Gefallen zu tun. Diese Reise würde seine letzte sein, und der Teufel sollte ihn holen, wenn er nicht das Beste daraus machte! Daher hob er seinen Becher und prostete Philippos zu. »Ihr habt mich überzeugt«, sagte er. »Aber dennoch darf sich die Angelegenheit nicht so sehr verzögern, bis die Herbststürme beginnen.« Denn dann wäre die Heimreise ein größeres Wagnis, als den Schultheißen seiner Heimatstadt Tübingen in sein Haus einzuladen!

      *

      Olivera

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