Die Salbenmacherin. Silvia Stolzenburg
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Читать онлайн книгу Die Salbenmacherin - Silvia Stolzenburg страница 8
»Ist es nicht von unglaublicher Reinheit?«, schwärmte er. Tatsächlich war das Gefäß in seiner Hand so durchsichtig wie ein Bergkristall – ganz so, wie Philippos behauptet hatte.
Staunend betastete Laurenz die glatte Oberfläche. Es war wirklich unglaublich! Wie konnte etwas von solch vollkommener Reinheit sein?
»Offenbar gelingt es nicht immer«, fuhr Philippos fort. Er deutete auf einen Haufen Scherben, bei denen es sich allem Anschein nach um Abfall handelte. Laurenz’ Fingerkuppen strichen über die makellose Oberfläche. Dadurch würde man tatsächlich alles sehen, was sich dahinter verbarg – anders als bei dem grünlich gefärbten Waldglas, das er bisher kannte. Trotz der Hitze kroch ihm ein Schauer über den Rücken, als er sich vorstellte, was die Augen der Käufer erblicken würden, wenn sie die gefälschten Reliquiare in Händen hielten.
»Matteo ist einer der Besten weit und breit«, unterbrach Philippos seine Gedanken. »Sein Buntglas ziert die Fenster so mancher Kirche bis weit, weit in den Osten.«
Laurenz nickte. Er nahm einen weiteren Gegenstand in die Hände und hielt ihn gegen das Licht, das durch einen schmalen Fensterspalt hereinfiel.
»Unglaublich«, murmelte er. Die Beklemmung verwandelte sich in Ehrfurcht. Dieses Glas würde den Wert der Behältnisse tatsächlich so gut wie verdoppeln. Ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Schon bald würde er ein sehr, sehr reicher Mann sein! Zusammen mit Philippos sah er sich noch eine Zeit lang in dem Lager um, dann verabschiedeten sie sich von dem Glaser. Es würde noch einige Tage dauern, bis alles fertig war. Aber was machte das, wenn alle Stücke von solch kristallener Klarheit waren?
»Ich weiß nicht, wie er es bewerkstelligt, dass sein Glas keine Verfärbungen aufweist«, sagte Philippos, als sie ihre Pferde wieder bestiegen. »Für mich grenzt es beinahe an Hexenwerk.« Er lachte, als er den Ausdruck auf Laurenz’ Gesicht sah. »Keine Sorge, es geht alles mit rechten Dingen zu.«
Laurenz ärgerte sich über das belustigte Funkeln in den Augen des Griechen. Um sich nicht anmerken zu lassen, wie unangenehm ihm das Gerede von Hexen war, gab er seinem Hengst die Sporen und trabte einige Schritte voraus. Obschon die Sonne höher am Himmel stand als bei ihrer Ankunft, erschien ihm die Hitze nach der stickigen Glashütte weniger drückend. Die Luft wirkte beinahe frisch. Während der Zeit, die sie bei dem Phiolarius verbracht hatten, waren die Straßen voller geworden. Dutzende von Fuhrwerken schlängelten sich vom Hafen die Straßen hinauf und überall hatten fliegende Händler ihre Stände errichtet. Bunt gekleidete Frauen in offenen Sänften zogen genauso die Blicke auf sich wie das funkelnde Geschirr der Kamele und Pferde. Überall wieselten Boten zwischen den Beinen der Zug- und Reittiere hindurch, während die Marktschreier lautstark ihre Ware feilboten. Wesentlich langsamer als auf dem Hinweg legten Philippos und Laurenz die wenigen Meilen zum Haus des Griechen zurück. Auch dort herrschte inzwischen reges Treiben, weshalb Philippos sich kurz nach ihrer Ankunft von Laurenz verabschiedete. Allein mit den Knechten sah er sich unschlüssig im Hof um. Was sollte er jetzt anfangen? Sein Blick suchte den überdachten Gang im ersten Stock ab. Doch egal, wie sehr er sich anstrengte, es war weit und breit kein Zeichen von Olivera zu entdecken.
Kapitel 5
Konstantinopel, Juli 1408
Beinahe drei Tage vergingen, ehe Olivera Laurenz wieder aus der Nähe sah. Drei Tage voller Unsicherheit, Ärger und Sehnsucht. Zwar hatte sie ihn mehr als einmal aus der Ferne erspäht, allerdings nie länger als ein paar flüchtige Augenblicke.
»Es ist besser, wenn die Männer ihre Angelegenheiten ohne uns besprechen«, wiederholte ihre Yiayia am Morgen des dritten Tages die Ansicht, die drohte, Olivera in die Verzweiflung zu treiben. Wie um Himmels willen sollte sie Laurenz betören, wenn sie keine Gelegenheit dazu hatte? Wie sollte sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzen, wenn man sie von ihm fernhielt? Es war zum Verrücktwerden!
»Ich fürchte, wir müssen auf den Markt«, murmelte ihre Großmutter – blind für den Aufruhr, der in ihrer Enkelin herrschte. Sie hob den Deckel eines großen Tongefäßes und kippte es, um besser hineinsehen zu können. Seit über zwei Stunden standen sie und Olivera bereits wieder in der Arzneiküche und bereiteten die Salben und Tinkturen zu, die Oliveras Vater im Laden verkaufte.
»Der Medicus hat Kyphi bestellt und ich habe kaum mehr genügend Zutaten«, stellte die alte Frau nach einigem Graben in weiteren Behältern fest. »Mir scheint, ohne Kyphi würde er bei so manch eingebildetem Kranken nicht wissen, was er tun soll.« Sie lachte leise, und Olivera musste wider Willen ebenfalls schmunzeln.
Das uralte Allheilmittel, das teils als Trank verabreicht, teils als Mittel zur Einreibung verwendet wurde, erfreute sich äußerster Beliebtheit bei den reichen Patienten. Vermutlich lag es daran, dass es sündhaft teuer war, dachte Olivera nicht zum ersten Mal.
»Außerdem haben wir kaum noch Amber«, stellte ihre Yiayia nach dem Anheben von drei weiteren Deckeln fest. Sie griff nach einem kleinen Büchlein und einem Federkiel. »Steig auf die Leiter und sieh nach, was sonst noch fehlt«, trug sie ihrer Enkelin auf. Olivera tat, wie geheißen, und schon bald hielt ihre Großmutter eine lange Liste in der Hand.
»Mastix, Eisenkraut, Kardamon, Galgantwurzel, Zimtrinde, Iris, Zeder, Myrrhe, Benzoe und Dachsfett«, las die alte Frau vor. Sie tauchte den Federkiel erneut in die Tinte und murmelte: »Alraune, Schwefel und Mohn werden auch immer benötigt.« Ihr Blick glitt über die kleinen Gefäße, welche die Wand neben der größeren der beiden Feuerstellen säumten. »Und vom Süßholz ist auch nicht mehr so viel da, wie ich dachte.«
Olivera trat schuldbewusst einen Schritt zurück. Hoffentlich sah ihre Großmutter ihr das schlechte Gewissen nicht an, das sie bei diesen Worten auf die Lippe beißen ließ! Ihre Hand wanderte zu dem Säckchen in ihrer Tasche. Wenn doch nur endlich der geeignete Moment kommen würde! Sie sah resigniert dabei zu, wie ihre Yiayia die Liste vervollständigte. Wie lange würde Laurenz noch in Konstantinopel sein? Wie viel Zeit blieb ihr noch, um ihn an sich zu binden und ihr Ziel zu erreichen? War es dafür bald schon zu spät? Am liebsten hätte sie ihrer Enttäuschung lautstark Luft gemacht.
»Lauf und sage den Sänftenträgern, dass wir in einer halben Stunde aufbrechen wollen«, unterbrach die Stimme ihrer Großmutter ihr Brüten. »Und bring eine Flasche Wasser mit, es ist schon wieder so furchtbar heiß.«
Froh, der Arzneiküche zu entkommen, drückte Olivera sich durch die Tür nach draußen, wo sie sich unauffällig nach Laurenz umsah. Der Hof wimmelte an diesem Tag nur so von Läufern, Trägern, Fuhrwerken und Knechten, sodass es eine Weile dauerte, bis sie ihn im Schatten des Torbogens entdeckte. Dort steckte er den Kopf mit einem seiner Begleiter zusammen. Beide gestikulierten in Richtung Stadt. Sein Anblick sandte das inzwischen wohlbekannte Gefühl durch Oliveras Körper und sorgte dafür, dass ihre Beine sich plötzlich schwach anfühlten. Warum sehnte sie sich nur so entsetzlich danach, ihn zu berühren? Die Finger über seine hellen Wangen gleiten zu lassen und seine Lippen auf den ihren zu spüren? Sie unterdrückte ein Stöhnen und biss die Zähne aufeinander. Ein unsinniger Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Sie war genauso sündig wie Eva im Paradies! Vermutlich hatte diese den Apfel genauso schmerzlich begehrt wie sie den Mann, der sich Nacht für Nacht in ihre Träume schlich. Als er den Kopf hob und zu ihr hinübersah, war es beinahe, als würde sein Blick sie verbrennen. Einen Augenblick lang stand sie reglos da und starrte ihn an, bevor sie sich einen Ruck gab und sich auf unsicheren Beinen wieder in Bewegung setzte. Vorbei an Brunnen und Kräutergarten, überquerte sie den Hof, schlug die Augen nieder und floh in die Küche. Sobald sie eine Holzflasche für ihre Großmutter gefüllt hatte, drückte sie sich