Der Fluch des Bierzauberers. Günther Thömmes
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Cord Heinrich Knoll, der keine Ahnung hatte, wie falsch er mit seiner Hoffnung auf schwedische Verstärkung lag und der nicht wusste, dass sein Schicksal eigentlich schon besiegelt war, kämpfte mit anderen, banaleren Problemen: Im Moment versuchte er noch mit Resten eines ziemlich dünn geratenen Malzes einen letzten Sud eines ebenso dünnen Broyhans zu brauen, bevor der anbrechende Sommer der Brausaison ein Ende setzen würde. Es war ein ungewöhnlich kaltes, trockenes Frühjahr gewesen, bis vor einigen Tagen der Regen eingesetzt hatte. Nur aufgrund des kühlen Wetters konnte im Mai noch gebraut werden. Normalerweise war damit Ende April Schluss, auch wenn es in Magdeburg nicht gesetzlich geregelt war wie in Bayern, mit dem Namenstag des Heiligen Georg, dem 23. April, aufzuhören. Er trieb seinen Brauerburschen an, das Feuer ordentlich zu schüren. Dass es sich dabei um seinen eigenen Sohn handelte, spielte keine Rolle. »Los, Gisbert, blas’ schon anständig rein in die Glut, auf dass wir eine gute Hitze haben!« Der achtjährige Junge, mit einer langen, gegerbten Lederhose und einem verdreckten Leinenhemd gekleidet, schwitzte und pumpte an dem großen Blasebalg, als ginge es um sein Leben. Eigentlich war Knoll froh, dass ihm von den neun Kindern, die seine Frau Lisbeth zur Welt gebracht hatte, wenigstens fünf geblieben waren. Gisbert, den Ältesten, hatte er sogar schon zur Brauerei angelernt. Die drei Mädchen waren meist bei der Mutter in der Stube, wobei sie auf den Kleinsten, den zweijährigen Ulrich, achtgaben.
Das Geschäft war so schlecht geworden, dass er schon vor der letzten Saison seine beiden Brauerburschen fortgeschickt hatte. Nun waren nur noch er und Gisbert im Brauhaus tätig. Cord Heinrich Knoll war in der Mitte des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrhundert geboren worden und somit siebenundzwanzig Jahre alt. Baumlang und hünenhaft stand er da, mit Händen groß wie Bratpfannen, selbst der bei Bierbrauern obligatorische Bierbauch fehlte, den hatten harte Arbeit und karge Kost dahinschmelzen lassen wie das köstliche Schmalz, das – in besseren, früheren Tagen – in der großen, eisernen Pfanne auf dem Herd ausgelassen wurde. Schulterlanges, schwarzes Haar verdeckte bisweilen die Sicht auf die braunen, treu blickenden Hundeaugen, wie seine Lisbeth sie nannte. Ein mächtiger Bart komplettierte die imposante Erscheinung des Magdeburger Brauherrn. Er nahm die Eimer mit dem Malzschrot, als wögen sie nichts und wuchtete sie gekonnt ins Maischgefäß. Dann füllte er mit heißem Wasser aus dem Kessel auf, unter dem Gisbert eine Höllenglut entfacht hatte. »Gut so, weiter so, mein Junge!«, feuerte Knoll seinen Sohn an, der alle Anlagen hatte, ein Hüne wie sein Vater zu werden. Er brauchte das Feuer später zum Kochen der Bierwürze, da sollte es zwischendurch nicht ausgehen.
»Ich gehe derweil zum Eiskeller nach dem Rechten schauen«, rief er seinem Sohn zu und verschwand durch eine Öffnung in der Wand in einen kleinen Stollen, hinein in die Dunkelheit. Gisbert starrte in die Feuerglut.
Dieser Sud, den die beiden Knolls gerade ansetzten, sollte der letzte gewesen sein. Nicht nur der Saison, sondern in der Geschichte von Knolls Magdeburger Brauhaus.
Für alle Zeiten! Man schrieb den 18. Mai 1631.
Übermorgen würde sich die Stadt ergeben müssen.
General Tilly rüstete zum Sturm auf Magdeburg …
2.
Magdalena Bacherl war eine Soldatenfrau. Seit fast sechs Jahren, seit sie einander in der Nähe von Schweinfurt gefunden hatten, folgte sie ihrem Mann, dem Söldner Johannes, im Heerestross quer durch Deutschland. Sie wusch ihrem Mann die Wäsche, pflegte seine Wunden, gebar die gemeinsamen Kinder, die sie auch allesamt gleich wieder beerdigt hatte, und half beim Ausplündern der Toten nach der Schlacht sowie bei den Beutezügen, wenn sie eine Stadt erobert hatten. Gemeinsam mit anderen Soldatenfrauen reinigte sie die Scheißplätze der Soldaten; alles war besser, als allein irgendwo unterwegs zu verrecken.
Das Leben im Soldatenlager war grausam, hart und ohne eine enorme Robustheit und den unbeirrbaren Glauben, dass das ganze Leben nur eine Prüfung des einen, des ewigen Gottes sei, nicht zu ertragen. Magdalena hatte beides. Sie war, als Ehefrau eines erfahrenen Söldners, relativ gut beschützt, selbst in einem Tross voll ewig lüsterner Soldaten. An eine wie sie Hand anzulegen, hätte den sicheren Tod bedeutet. Zu wichtig waren allen Soldaten ihre mit dem Tross ziehenden Familien. Ihre jeweils eigene, kleine Welt. Das war alles, was sie hatten. Es war wenig genug, aber zumindest gehörte es ihnen!
Sie war einst ein hübsches junges Ding gewesen, mit grünen Augen, langen, hellbraunen Haaren und kleinen, festen Brüsten, mit Träumen dazu, wie sie jedes Mädchen hatte: einen guten Ehemann haben, einige Kinder kriegen und den Hof der Eltern bewirtschaften.
All dies war in Rauch aufgegangen, als eine Gruppe ausgemusterter, halb verkrüppelter, ehemaliger Landsknechte, hungrig wie ein Rudel Wölfe, den väterlichen Hof in der Nähe von Frankfurt überfallen hatte. Erst wurde alles leer gefressen, dann die Eltern gefoltert. Obwohl bei ihnen nichts zu holen war, wurden die Mutter sowie der Vater grausam getötet und der Hof in Brand gesteckt. Nie würde sie die Schreie vergessen, den Rauch, den Gestank, auch wenn ihr alles mittlerweile wie die Erinnerung einer anderen Person aus einem früheren Leben vorkam. Sie und ihre Geschwister hatten sich danach in alle Winde zerstreut, sie rechnete auch nicht damit, jemals einen Bruder oder eine Schwester wiederzusehen. Sie hatte sich dann, wie viele Heimatlose und Entwurzelte, einem der vorbeiziehenden Heere angeschlossen. Zuerst hatte sie Handlangerdienste, Räum- und Wascharbeiten verrichtet und versucht, sich ihrer Haut zu erwehren, so gut es ging. Bis sie Johannes aufgefallen war. Der war ein fescher, tapferer Söldner, er hatte sie zu sich genommen und bald geheiratet. Vier Kinder hatte sie ihm bereits geboren. Zwei Mädchen, zwei Jungen. Keines hatte das erste halbe Jahr überlebt. Zu anstrengend war das Leben im Heerestross, zu unsauber und voller Krankheiten für Neugeborene. Über fünf Jahre lang waren sie, vom Frühjahr bis zum Herbst, nun bereits von Schlacht zu Schlacht gezogen und nur mit viel Glück am Leben geblieben. Jetzt lagerten sie seit über zwei Monaten vor Magdeburg und hofften, dass die reiche Stadt bald gestürmt werden würde. Und das alles nur, weil die Magdeburger sich, rätselhafterweise, geweigert hatten, den geforderten Tribut von lächerlichen einhundertfünfzigtausend Talern zu zahlen.
Vergebens hatten die Menschen auf der anderen Seite, innerhalb des Belagerungsrings, bislang auf das Eintreffen des schwedischen Heeres gehofft. Den etwa fünfunddreißigtausend Menschen, die sich hinter den Stadtmauern versammelt hatten, wurden die Vorräte knapp. Jetzt war es langsam vorbei, die Stadt würde sich entweder ergeben müssen oder eine letzte Schlacht um ihr Überleben ausfechten. Ein Sieg über Magdeburg, das würde der Höhepunkt im Soldatenleben eines jeden Mannes sein, der hier in General Tillys Heer stand. Der andere Anführer des Heeres, der Reitergeneral Pappenheim, der als der eigentliche Antreiber des Angriffs galt, hatte die Magdeburger Bürger schon vorab einmal für vogelfrei erklärt. Da galt es, reichlich Beute zu machen. Vielleicht so viel sogar, dass man aufhören konnte mit dem Sengen, Morden und Plündern. So oder ähnlich hörten sich auf jeden Fall die großspurigen Reden an, die Abend für Abend im katholischen Lager geführt wurden.
Früh am Morgen des 20. Mai loderte die aufgehende Sonne bereits über der dem Untergang geweihten Stadt. Der Regen hatte aufgehört. Das Blau des Horizonts wurde nur hier und da von kleinen, weißen Flaumwölkchen getrübt. Die Heeresführung trommelte alle Soldaten für das Gebet zusammen. Feldherr Johann t’Serclaes Graf von Tilly war bereits Anfang Siebzig – doppelt so alt wie sein Pendant Pappenheim –, von mittlerer Statur und sturem, fanatischem Charakter. Unter seinen buschigen, grauen Augenbrauen erblickte man, trotz des Alters, feurige Augen, die seine scharfen Gesichtszüge unterstrichen. Seine hagere Erscheinung zeugte von Bescheidenheit und Disziplin – nicht umsonst trug er den Spitznamen ›Der Mönch‹ –, und er erwartete die gleichen Eigenschaften von seiner Truppe. Im Normalfall …
Der Herzog aus Brabant und Gottfried Heinrich zu Pappenheim