Der Fluch des Bierzauberers. Günther Thömmes

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Der Fluch des Bierzauberers - Günther Thömmes

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hier versteckt bleiben mussten, also galt es, sparsam mit den Vorräten umzugehen. Eine kleine Mahlzeit, dann legte er Ulrich schlafen. Aber der Junge weigerte sich, er spürte die Unruhe und die Gewalt um sich herum. Und so sang Knoll ihm mit zitternder Stimme und Tränen in den Augen ein Kinderlied vor, das erst in diesem Krieg entstanden war, nachdem Wallensteins Heer sich mordend und brandschatzend durch Norddeutschland gewälzt hatte: »Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg, die Mutter ist im Pommerland, Pommerland ist abgebrannt, Maikäfer flieg …«

      Ulrich schlief ein. Die Dämmerung kam und mit ihr die Stille. Es wurde Nacht. Knoll schob behutsam den Riegel beiseite und ging hinaus, einige Schritte in den Wald hinein. Niemand trieb sich hier in der Dunkelheit herum. Obwohl, dunkel konnte man dies nicht nennen, denn der Feuerschein der sterbenden Stadt erleuchtete den Himmel.

      Er kletterte auf einen Baum und blickte hinüber zu den mächtigen Mauern, die doch nicht mächtig genug gewesen waren. Er versuchte, sein Brauhaus zu erkennen, aber alles, was er ausmachen konnte, war, dass alle Häuser dieses Stadtteils, auch die in der Krockentorgasse, anscheinend lichterloh in Flammen standen. Nicht nur seine Brauerei schien zu brennen, sondern auch die gute Stube mit der Bildergalerie seiner Vorfahren. Seine eigene Vergangenheit und die seiner Sippe fielen in diesem Moment offensichtlich den Flammen zum Opfer. Nicht nur Pommerland, auch Magdeburg war abgebrannt. Voller Trauer und Verzweiflung schweifte sein Blick noch einmal zurück auf seine Heimatstadt, auf das untergehende Magdeburg. Er wusste nun wie sich Äneas hatte fühlen müssen, als dieser das brennende Troja hinter sich verließ.

      Er kehrte zurück in die Höhle, verschloss sie sorgfältig, sprach ein Gebet und umarmte seine beiden Söhne. »Wir haben unser Leben, das ist alles, was uns geblieben ist«, flüsterte er den beiden schlafenden Kindern ins Ohr. »Wir werden neu anfangen. An einem anderen Ort.«

      4.

      Vier endlose Tage dauerten die Plünderungen und Feuersbrünste noch an. Das kühle, trockene Wetter unterstützte die Brände, die vom Wind immer wieder neu angefacht wurden. Einigen wenigen reichen Bürgern gelang es derweil, sich und ihren Familien mit ungeheuren Geldsummen ihre Freiheit zu erkaufen.

      Etwa dreitausend Menschen hatten sich im Magdeburger Dom versammelt und wie Lisbeth Knoll gehofft, dass diese Bastion selbst für die entfesselten Soldaten des katholischen Heeres tabu wäre. Mitnichten. Die Soldaten warfen Fackeln durch die Fenster und zwangen so einige der Gläubigen, den Dom zu verlassen. Die, die hinausliefen, wurden geschändet, gefoltert und getötet. Darunter waren auch Lisbeth Knoll und ihre drei Töchter, die in der Nacht heimlich das Haus verlassen hatten, in der Hoffnung, der Dom würde der sicherste Platz sein, sollte es zum Sturm auf die Stadt kommen.

      Andere harrten im Dom aus, litten Hunger und Durst, bis Tilly vier Tage später persönlich das Eingangsportal öffnete. Der evangelische Domprediger Reinhard Bake fiel vor dem Generalissimo auf die Knie und trug in lateinischer Sprache einen abgewandelten Vers Vergils über die Zerstörung Trojas vor: »Das ist der Tag des Verderbs und das unabwendbare Schicksal Magdeburgs! Troier waren wir, Ilion war und der Elbestadt strahlender Ruhm!« Tilly lies sich ausnahmsweise erweichen und schonte die Überlebenden. Das Feuer beschädigte zwar den Kreuzgang des Doms, das Mauerwerk blieb aber ansonsten unversehrt. Alle anderen Kirchen brannten aus, und bei den meisten wurden auch die Archive Opfer der Flammen und der Zerstörung.

      Bei der Magdeburger Hochzeit starben rund zwanzigtausend Menschen. Es war das größte und schlimmste Massaker während des gesamten Dreißigjährigen Krieges. Die letzten moralischen Grenzen wurden hierbei überschritten. Überlebende berichteten später, die Taten und der Schrecken seien in ihrer Entsetzlichkeit ›nicht in Worte zu fassen und nicht mit Tränen zu beweinen.‹

      Seuchen folgten der Katastrophe auf dem Fuße und forderten weitere Todesopfer. Der große Rest der wenigen Überlebenden verließ die Stadt und suchte woanders sein Glück. Nur ein einziges Haus in der Altstadt, das in Domnähe gelegene Fachwerkhaus der Domherrenkurie, überstand das Inferno gänzlich unbeschadet.

      Eine der bedeutendsten Städte Deutschlands war für zwei Jahrhunderte praktisch nicht mehr vorhanden.

      Reue zeigten die Sieger keine. Viele Katholiken jubilierten und sangen Spottlieder.

      Pappenheim schrieb: ›… es seien über zwanzigtausend Seelen darüber gegangen, und es ist gewiss seit der Zerstörung Jerusalems kein gräulicher Werk und Strafe Gottes gesehen worden. Alle unsere Soldaten sind reich worden‹.

      Tilly erwiderte bereits während der Plünderungen auf das Flehen einiger seiner Offiziere, das Massaker zu stoppen: ›Der Soldat muss etwas haben für seine Gefahr und Mühsal.‹

      Und Papst Urban VIII., Papst aus dem Geschlecht der Barberini, zeigte eindrucksvoll, dass er nicht nur in Rom destruktiv wirken konnte. Denn bis heute geht in Rom das Sprichwort um: ›Was die Barbaren nicht schafften, schafften die Barberini.‹ Er äußerte noch einen Monat nach dem ganz und gar unchristlichen Massaker in einem Schreiben seine Freude über die ›Vernichtung des Ketzernestes‹.

      Während über zweihundert Flugschriften, zwanzig Tageszeitungen und einundvierzig illustrierte Flugblätter die grauenhaften Nachrichten von der Magdeburger Hochzeit in Windeseile durch ganz Europa trugen und aus dem Magdeburger Gemetzel die erste echte Mediensensation der europäischen Geschichte machten, war die deutsche Sprache um ein Wort reicher: Wenn seither ein Synonym für die größtmögliche Gewalt oder für das totale Grauen des Krieges gesucht wurde, sprach man von ›magdeburgisieren‹.

      Es mag ein schwacher Trost für das schockierte Lager der Reformation gewesen sein: Die Sieger konnten ihren Triumph nicht dauerhaft umsetzen. Zögerlich belauerten Tilly, von Pappenheim und der schwedische König Gustav Adolf einander so lange, bis die Eroberung Magdeburgs strategisch ohne Wert war. Krieg ist meist sinnlos, aber die Opfer von Magdeburg starben einen besonders sinnlosen Tod.

      5.

      Vier endlose Tage lang harrte Magdalena im Lager des katholischen Heeres aus. Dann war sie überzeugt, dass ihrem Johannes etwas zugestoßen war. Überrascht war sie nicht, schließlich glaubte sie nicht an Johannes’ ›Gefrorenheit‹ wie die Soldaten. Sie glaubte an Gott, nicht jedoch an die Unverwundbarkeit mittels Amuletten. Sie befragte ins Lager zurückkehrende Soldaten, die im Siegestaumel aber keine Antworten lieferten. Schließlich fand sie seinen Regimentskommandeur, der ihr bestätigte, was sie längst ahnte: Johannes war tot. Aus dem Hinterhalt erschossen.

      Voller Trauer packte sie ihre wenigen Habseligkeiten. Hier war nun kein Platz mehr für sie. Als Hure verdingen wollte sie sich nicht, obwohl die Soldatenwitwen meist keinen anderen Ausweg sahen, um zu überleben. Grußlos und unauffällig verließ sie das Lager. Johannes hatte keine Freunde gehabt, beim Saufen und Würfelspielen würde er sofort von anderen Männern ersetzt werden. Niemand würde ihn vermissen. Und sie genauso wenig …

      Johannes hatte ihr ein gutes Messer geschenkt. ›Damit du dich deiner Haut erwehren kannst, wenn ich nicht bei dir bin‹, hatte er lachend gesagt. Nun war er nicht mehr bei ihr, und sie würde den Dolch dringend benötigen.

      Sie stolperte durch den Wald, der Magdeburg umgab. Der Gestank der qualmenden Trümmer und der beginnenden Verwesung wehte ihr bis hierher um die Nase. Sie stieg einen Hügel hinauf und blickte zum Himmel. Es würde gleich beginnen zu regnen. Warum nicht ein paar Tage früher, dann wären die Brände eher gelöscht worden? Die ersten Regentropfen prasselten auf das Laub. Sie suchte Schutz in einer dichten Baumgruppe. Kein Soldat war weit und breit zu sehen. Alle versoffen, verspielten und verhurten jetzt das Geld, das sie von den Händlern und Marketendern für ihre Beutestücke erhalten hatten. Die rieben sich derweil die Hände; Magdalena wusste genau, dass kein Soldat jemals den Wert einer Preziose richtig einzuschätzen wusste. Deswegen hatte meist sie die Verhandlungen

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