Der Fluch des Bierzauberers. Günther Thömmes
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So auch Johannes und Magdalena. Wenn er mit seiner Frau beim Plündern war, gab es nur selten Missverständnisse, eher eine traumwandlerische Zusammenarbeit. Aber heute war offensichtlich, dass Johannes mehr wollte. Seine Augen hatten einen blutrünstigen Ausdruck, den Magdalena so noch niemals bei ihm gesehen hatte. Sie hatte genug und wollte nur raus aus der Stadt. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie sich erst wieder im Lager träfen. So winkte sie ihm zu, drehte sich um und machte sich auf den Weg Richtung Stadttor. Daher sah sie nicht, wie Johannes nur eine Minute später den Nimbus der ›Gefrorenheit‹ verlor. Eine verirrte Musketenkugel riss ihm das halbe Gesicht weg und kurz darauf wurde er selbst zum Opfer von Leichenfledderern aus dem eigenen Lager.
Auf ihrem Weg hinaus aus dieser Apokalypse ging sie erneut durch das Krockentor. Dabei passierte sie wieder das Brauhaus. Die zwei Fässer standen immer noch davor. Aber nun staken aus beiden die nackten Beine zweier bedauernswerter Magdeburger Mädchen wie Mahnmale heraus. Lediglich ein in Bier ertränktes Opfer hatte den Soldaten nicht genügt. Magdalena hatte Mitleid mit den beiden, ging zu ihnen hin und zog die außen an den Fässern herunterhängenden Röcke zumindest so weit hinauf, um wenigstens die Blöße zwischen den Beinen zu bedecken. »Hoffentlich wird mir einst ein gnädigerer Tod zuteil«, murmelte sie dabei und schickte gleich noch ein Stoßgebet zum Himmel.
Das Tor zum Brauhaus stand halb offen, so ging sie hinein. Tillys Mannen waren bereits, gleich zu Beginn, hier gewesen und hatten alles Inventar zerschlagen, soweit es nicht von Wert war. Das Feuer näherte sich unaufhaltsam, es war nur noch zwei Häuser entfernt. Eigentlich sollte sie sich schnell davonmachen, als sie ein Geräusch vernahm.
Neugierig ging sie in die nächste Kammer, die sich zu einem saalartigen Raum ausweitete, offensichtlich das Brauhaus. Da erblickte sie einen Mann – ein baumlanger Kerl, der einen Jungen und ein kleines Kind bei sich hatte. Rauch waberte bereits durch die offenen Fenster. Der Junge hustete.
Wie konnten die Plünderer diese drei Menschen übersehen haben?, fragte sie sich.
Der große, kräftige Mann hantierte an einer Holzplatte, die in die Wand eingelassen war. Als er im Nebel eine Gestalt wahrnahm, drehte er sich um und kam drohend auf sie zu. Sie bekam es mit der Angst zu tun. Doch Knoll erkannte, dass dort eine Frau stand, ließ ab und schaute sie mit seinen großen, braunen Augen vertrauensvoll an. Dann legte er seinen Zeigefinger auf die Lippen und bedeutete ihr somit, zu schweigen.
Der Junge, die Augen voller Furcht, winkte ihr trotzdem zu und rief leise: »Komm mit uns. Wir bringen dich in Sicherheit.« Er deutete auf einen Korb zu seinen Füßen, in dem sich Brot und andere Lebensmittel befanden. Heftig riss der Mann die Schulter des Jungen herum und sah ihn schweigend und voller Wut an. Der Junge schwieg sofort. Hinter der Holzplatte öffnete sich ein schmaler Gang, ein paar Stufen konnte sie sehen, bevor alles im Dunkeln verschwand.
Magdalena zögerte. Was ging da vor? Sie trat näher, sodass sie den Mann genau sehen konnte. Normalerweise wäre sie jetzt hinausgegangen und hätte sich auf der Straße Hilfe gesucht, um zu plündern.
Dann sah sie, wie der Mann den kleinen Jungen liebevoll auf seinen Arm nahm und den anderen, älteren Jungen mit dem Korb in der einen, einer brennenden Kerze in der anderen Hand, als Ersten in den Stollen schickte. Sie dachte an ihre eigenen verstorbenen Kinder, die sie niemals so im Arm halten konnte. In diesem Moment beschloss sie, dieser Familie die Flucht zu ermöglichen. Sie wiederholte die Geste des Schweigens und rieb mit der anderen Hand Daumen und Zeigefinger aneinander.
Der Mann nickte und warf ihr eine silberne Brosche zu, die er aus seinem Beutel genommen hatte. Anschließend griff er eine brennende Fackel aus der Wandhalterung und verschwand die Stiegen hinunter in den Schacht.
Der kleine Junge, der in eine Decke eingewickelt war, wimmerte vor Angst.
Magdalena verließ das Brauhaus, durchquerte das Stadttor und erreichte bald darauf das Lager, in dem bereits ein schwunghafter Handel mit den erbeuteten Preziosen in Gang war.
3.
Cord Knoll trieb sich und Gisbert an, während er versuchte, den verängstigten Ulrich zu beruhigen. Einige Hundert Fuß lang war der schmale, in den Fels hineingetriebene Stollen, der das Brauhaus mit dem Eiskeller verband. Der von innen verriegelte Eingang befand sich in einem kleinen Wald außerhalb der Stadtmauern. Kaum jemand wusste davon, denn der Eingang lag verdeckt und war, durch die Kriegsereignisse der letzten Monate, lange nicht mehr geöffnet worden. Dieses Frühjahr würden sie kein Eis mehr brauchen …
Die Höhle war vor langer Zeit von einem der frühen Brauer Magdeburgs entdeckt und als Eiskeller eingerichtet worden. Er hatte dies natürlich erst einmal für sich behalten, da es doch einen enormen Vorteil bedeutete, bis in den Sommer hinein das Bier kühl lagern zu können. Fuß für Fuß, Klafter für Klafter, war die Höhle über die Jahrzehnte verlängert worden, bis sie schließlich mit dem Keller des Brauhauses in der Magdeburger Altstadt verbunden wurde.
Jahre-, jahrzehntelang war der Gang von Nutzen gewesen, die Brauerfamilie Knoll hatte das Geheimnis mit dem Kauf des Brauhauses übernommen und bewahren können. Nur wenige Eingeweihte wussten Bescheid. Der Rat hätte sich nicht erfreut gezeigt, wenn allgemein bekannt gewesen wäre, dass es einen unbewachten Zugang zur Stadt gab.
Als der enge Stollen endete, und sie in der Höhle ankamen, erschraken sie zuerst, da es so gespenstisch still war im Vergleich zu dem Lärm des Gemetzels in der Stadt. Von draußen hörten sie vereinzelt Rufe und Hufgeklapper, aber das waren Menschen, die entweder unterwegs in die Stadt oder aus ihr hinaus waren. Gekämpft und geplündert wurde nur innerhalb der Stadtmauern.
Knoll setzte den kleinen Ulrich auf den Boden, entzündete eine weitere Kerze und schaute sich um. Es war alles am Platz, wie er es in aller Eile vorbereitet hatte. Ein kleines Bierfass stand dort, in der Ecke ein paar Eimer Wasser, in der anderen Ecke zwei Eimer – mangels einer Latrine oder eines ›stillen Örtchens‹ – für ihre Ausscheidungen. Ein stabiler Leiterwagen, mit dem ansonsten das Eis aus dem Wald geholt wurde, würde ihnen sicher gute Dienste leisten. Etwas Stroh und ein paar alte Decken lagen auch herum. Brot, Käse und Wurst befanden sich im Korb. All das, wonach er bei ihrer Flucht in aller Schnelle in der Küche gegriffen hatte; auf jeden Fall war es fürs Erste genug.
Einen Beutel voll mit Reichstalern hatte er auch dabei. Die große Zeit der Falschmünzer, der Wipper und Kipper, wie die Fürsten genannt wurden, die ihr Silber mit wertlosem Kupfer gestreckt, ihr eigenes Volk betrogen und die größte Inflation aller Zeiten verursacht hatten, ging trotz dieses Krieges ihrem Ende entgegen. Anscheinend waren die Fürsten durch den Krieg auch auf anderen Wegen reich geworden. Sein Geldbeutel mit Talern aus echtem Silber würde also für eine gute Weile vorhalten.
Jetzt, wo er sich mit den Jungen halbwegs sicher fühlte, begann er sich um Lisbeth und die Mädchen große Sorgen zu machen. Heftig gestritten hatten sie am Vorabend, nachdem die Nachricht bekannt gegeben worden war, dass am nächsten Morgen der Sturm losbrechen sollte.
»Lass uns in den Dom gehen, den anzutasten werden sie nicht wagen«, war Lisbeths Meinung gewesen. Sie glaubte nicht nur fest an Gott und seine Gebote, sondern auch an die Unantastbarkeit einer geweihten Kirche.
»Aber was, wenn der Dom überfüllt ist und sie uns nicht hineinlassen? Und wie lange müssen wir unter Umständen dort ausharren?« Cord Heinrich Knoll war skeptisch gewesen. Und am Allerwenigsten traute er Tilly und seinen Soldaten. In Göttingen und Neubrandenburg hatten diese sich, den Gerüchten zufolge, einen Dreck um Moral, Anstand oder gar Heiligkeit der Gotteshäuser geschert. Lisbeth war stur geblieben. Und als Knoll früh am Morgen aufgestanden war, waren sie und die Mädchen schon fort gewesen. Der Dom sollte heute übervoll werden …
Knoll