Begraben in Wuppertal. Jürgen Kasten

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Begraben in Wuppertal - Jürgen Kasten

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Nun also wohnte Kotthausen in Leipzig, hatte sich in ein generationsübergreifendes Wohnprojekt eingekauft und frönte dort seinem Hobby. Auf den Visitenkarten, die er sich drucken ließ, stand »Historiker«. Als solcher besuchte er bereits vor einigen Jahren seine alte Heimatstadt Wuppertal. Damals blieb sein Suchen ergebnislos. Nun aber glaubte er, neue Beweise zu haben.

      Das legendäre, seit dem Kriegsende aus Königsberg verschwundene Bernsteinzimmer zog ihn zurück in das Tal der Wupper. Mehr denn je war er davon überzeugt, dass es sich irgendwo in der Stadt verbergen musste. Bisher war die Suche nicht von Erfolg gekrönt. Doch vielleicht hatte er hier, im letzten noch nicht durchsuchten Tunnel Glück. Die Hardt-Kaverne und das weitverzweigte Höhlenlabyrinth schienen ihm der richtige Ort zu sein.

      *

      Die schweißnass auf der Stirn klebenden Haare schob er zum wiederholten Mal beiseite. Ratlos schaute er auf den vor ihm liegenden Tunneleingang.

      Sah nur wie eine leichte Metalltür aus. Doch wo auch immer er den Hebel ansetzte, es bewegte sich nichts. Handwerkliches Geschick war ihm trotz seiner früheren Ausbildung nicht gegeben. Wütend trat er gegen das störrische Eisending.

      Vielleicht könnte er die Hebelwirkung erhöhen, wenn er sich auf das Stemmeisen stellte? Immerhin brachte er knapp 100 Kilo auf die Waage. Er bückte sich, um das Eisen an der unteren Türkante anzusetzen. Ein trockener Knall ließ ihn überrascht aufschauen. Bewegte sich die Tür schon?

      Nee, keinen Millimeter rührte sie sich.

      Ein Motorrad schoss unten auf der Straße vorbei. War wohl eine Fehlzündung gewesen, die er gehört hatte.

      Schnaufend richtete er sich wieder auf, stützte sich mit einer Hand an der Tür ab, wischte mit der anderen noch einmal Schweiß von der Stirn. Hilfesuchend blickte er zum Vollmond hinauf. Der ihn umgebende Nebel verlieh der gelben Scheibe das Aussehen eines in der Luft hängenden Spiegeleis. Hilfe konnte er von dort nicht erwarten. Dafür bemerkte er ein wackeliges Licht, das sich langsam näherte. Ein nächtlicher Radfahrer schlingerte das Hardtufer entlang, kam auf ihn zu. Er verdrückte sich in den Schatten eines Ginsterbusches.

      Das Sirren des Stahlgerüstes über der Wupper kündigte eine Bahn an. Sie verließ gerade die Station am Landgericht. Mit wenigen Nachtschwärmern an Bord rollte sie vorbei. Kurz wanderten Lichtvierecke durch die Dunkelheit. Das leise Rattern verklang.

      Kotthausen sah sich um. Er war wieder allein. Nervös schaute er auf die Uhr. Bis wann fährt die verdammte Schwebebahn eigentlich? Er hatte doch sowieso nur noch die halbe Nacht vor sich. Nicht einmal das. Spätestens gegen sechs würde es langsam hell werden. Bis dahin wollte er fertig sein.

      Leise schimpfte er vor sich hin, verfluchte die uneinsichtigen Amtsböcke, die seinen Argumenten nicht folgen wollten. Wieso verstanden sie nicht, dass es für ihre Stadt eine Touristenattraktion wäre, wenn er hier endlich fündig würde. Aber nein, die Stadtoberen standen nicht mehr hinter ihm. »Ihre Aktionen werden ab sofort nicht weiter unterstützt«, hatte ihm der Oberstadtdirektor kategorisch mitgeteilt. Auf eine Diskussion hatte er sich nicht eingelassen. Stattdessen hatte er Kotthausen mit einem laschen Händedruck und einem schiefen Lächeln verabschiedet. Das war’s dann.

      So schnell werdet ihr mich nicht los! Kotthausen wollte sich nicht unterkriegen lassen und hatte sich zu dieser nächtlichen Aktion entschlossen.

      Noch einmal bückte er sich hinunter, kramte in seinem Rucksack. Vielleicht könnte er mit der Akkumaschine das Schloss dieser verdammten Tür aufbohren.

      Erschrocken zuckte er zusammen. Sein Handy meldete sich.

      Er nestelte es aus der Seitentasche seiner Jacke. Da flutschte es ihm aus der Hand. Als er danach griff, streifte er eine Brennnessel. Verdammter Mist. Die Haut brannte wie Feuer. Er spuckte darauf und verschmierte den kühlenden Schleim. Das leuchtende Display zeigte eine SMS an. Ungläubig las er den kurzen Text:

      Verpiss dich aus unserer Stadt, sonst …

      Der Absender war unterdrückt.

      Langsam richtete er sich auf, schaute vorsichtig umher. Die Straße lag ruhig und leer unter ihm. In dieser lauen Frühlingsnacht hatten die Menschen anderes zu tun, als ihre Autos durch die Gegend zu schaukeln. Lediglich von der B 7 klangen Motorengeräusche herüber.

      Ansonsten vernahm er nur das leise Plätschern der Wupper.

      Beruhigt wandte er sich wieder seinem Vorhaben zu.

      Er spannte einen Metallbohrer in die Maschine und setzte den Akkuschrauber an. Kreischend traf Metall auf Metall. Ein dumpfes »Knack«, der Bohrer brach ab.

      »Verfluchter Mist!«

      Er bückte sich, um nach einem anderen Aufsatz in seinem Rucksack zu suchen und schreckte im nächsten Augenblick herum. Diesmal hatte ihn der Glockenschlag der Pauluskirche zusammenzucken lassen. Um seinen heftigen Atem zu beruhigen, zählte er laut mit.

      Dabei schaute er zum Turm hinüber und wartete auf den elften Schlag. Der bisher harmonische Gong klang verunglückt, fast wie ein Knall. Ein kurzes Blitzen zuckte am Turmfenster auf. Fast gleichzeitig ließ ihn ein hartes metallenes Geräusch hinter ihm an der Tür erstarren, ein Kreischen, dicht an seinem Kopf.

      Er schrie vor Schmerz auf, hörte plötzlich nichts mehr.

      Tot, dachte er, ich bin tot. Mit zitternden Knien sank er ins bodendeckende Grün, saß inmitten der Brennnesseln. Die spürte er nicht. Nur das heiße Nass, das ihm am Hals hinunterlief.

      Seine Hand tastete zum Ohr. Matsch. Er fühlte warme, nasse Matsche. Ihm wurde schlecht, schwindelig. Heftiger Atem ließ seinen Brustkorb pumpen. Auf allen vieren rappelte er sich hoch, wankte zu seinem Auto, das unten an der Straße stand. Rucksack und Werkzeug blieben zurück. Mit zitternden Fingern startete er und fuhr schlingernd los.

      Kapitel 2

      Lars Lombardi hing noch immer bei der Lokalzeitung fest. Seine Bewerbungen bei der »Zeit«, der »Süddeutschen« und anderen großen Zeitungen waren bisher erfolglos geblieben. Es war nicht einfach, aus der Masse der schreibenden Zunft herauszustechen und sich mit außergewöhnlichen Reportagen zu empfehlen. Darauf nämlich hatte er sich spezialisiert. Reportagen zu bewegenden Themen, die auch überregional beachtet würden. Hier in Wuppertal passierte allerdings kaum etwas, was die übrige Welt interessierte. Eine Ausnahme stellte vielleicht die letzte Woche dar. Seine Berichte über diesen hoffnungsvollen Schatzsucher aus Sachsen, der hier das verschollene Bernsteinzimmer finden wollte, wurden sogar von anderen Zeitungen übernommen.

      Anfangs hatten sich auch die Stadtoberen begeistert gezeigt. Sie erlaubten dem Mann, Tunnel und Bunker zu durchsuchen, ließen sich mit ihm zusammen für die Zeitung ablichten. Sie waren stolz, dass Wuppertal mal wieder in den überregionalen Medien mit so einem aufregenden Thema auftauchte.

      »Das legendäre Bernsteinzimmer in Wuppertal wiedergefunden«, was für eine Schlagzeile. Dumm nur, dass sie auch nach tagelangem Suchen nicht wahr wurde. Langsam dämmerte den Stadtfürsten, dass sie sich lächerlich machten. Der Verwaltungschef gab schließlich die Devise aus: »Stoppt diesen Unsinn! Keinerlei Hilfe mehr für den ominösen Schatzsucher.«

      Obwohl der eindringlich schilderte, warum er unter der Hardt fündig werden könnte. Man glaubte ihm nicht mehr und blieb bei dem Entschluss, seine Aktionen zu beenden.

      Lars Lombardi hatte Heinz-Günther Kotthausen auf seiner Suche begleitet und insgeheim gehofft, dass sie Erfolg haben würden.

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