Begraben in Wuppertal. Jürgen Kasten
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Kotthausens Aufzeichnungen waren lückenhaft. Unzureichend recherchiert, mehr spekulativ als mit Tatsachen unterlegt. In seinen Tagebuchseiten fand Lars eine aus der Zeitung ausgeschnittene Todesanzeige einer Elisabeth Koch, verstorben 2015. Ihre letzte Wohnanschrift lag ganz in der Nähe von Kotthausens eigener ehemaliger Wohnung in Cronenberg. Eine schlichte Anzeige, ohne Spruch, ohne der Abbildung eines trauernden Engels oder einer anderen Trauersymbolik. Nur der Name, die Anschrift und das Sterbedatum waren verzeichnet, darunter der kurze Satz »Ich vermisse Dich, Klaus-Jürgen«, ohne Nachname.
Aus einer Notiz ging hervor, dass Kotthausen vermutete, dass dieser Klaus-Jürgen der Sohn Elisabeths war und damit ebenfalls mit Nachnamen Koch heißen müsste. Faktensicher nachvollzogen hatte er das nicht. Er hatte lediglich festgestellt, dass kein Klaus-Jürgen Koch unter der Adresse seiner Mutter gemeldet gewesen war.
Als Tatsache anzusehen war nur, dass sich das Bernsteinzimmer im Königsberger Schloss befand, bevor das von den Engländern bombardiert wurde. Das Schloss wurde weitgehend zerstört, das Bernsteinzimmer war verschollen.
Bevor Koch aus Königsberg verschwand, raffte er seine geraubten Kunstschätze zusammen. 64 Kisten mit Gemälden und 27 Kisten, in denen sich das demontierte Bernsteinzimmer befand, wurden auf die Bahn verladen und gen Westen transportiert. Koch kannte sich mit der Eisenbahn aus, hatte noch viele Verbindungen aus früherer Zeit. Er war geborener Wuppertaler, damals noch Elberfeld, hatte lange dort gewohnt und war bei der Eisenbahn angestellt gewesen, bevor er später als Nazi Karriere machte. Kotthausen folgerte daraus, dass Koch sich in seiner Heimatstadt Wuppertal, in der er sich auskannte, ein geeignetes Versteck für das Bernsteinzimmer suchte, auf das er nach einem beendeten Krieg zugreifen könnte. Weit über hundert Tunnel und Bunker boten sich dafür an.
Seine weiteren Ausführungen folgten:
Jahre vor Beginn des Krieges lebte Göbbels in Wuppertal.
1924 arbeitete er dort als Redakteur des Gaukampfblattes »Völkische Freiheit«.
Schon früh war er glühender Anhänger der NSDAP gewesen und großer Bewunderer Hitlers. Er holte ihn mehrmals in die Stadt und ließ ihn hier bejubelte Auftritte absolvieren.
1926 notierte er in seinem Tagebuch: »Hitler seit zwei Tagen hier. Ein grauenvolles Warten auf ihn. Mit Jubel empfangen. Unter Begeisterung vorgestern in Elberfeld.«
In den folgenden Jahren baute Göbbels Elberfeld, das erst 1929 mit anderen Gemeinden zur Stadt Wuppertal vereint wurde, zu einer Hochburg der NSDAP aus. Bevorzugter Treffpunkt war damals das Evangelische Vereinshaus an der Kasinostraße. Heute hat dort ein Altenheim seinen Sitz. Prominente Nazi-Größen fanden sich im Vereinshaus als Redner ein, unter ihnen auch Erich Koch, der spätere Gauleiter Ostpreußens.
Das alles ließ Kotthausen zu dem Schluss kommen, dass der aus Wuppertal stammende Koch das Bernsteinzimmer geraubt hatte, um es hier für eine glorreiche Nachkriegszeit zu verstecken. Gesinnungsgenossen, die ihm dabei geholfen haben könnten, habe es in der Stadt zur Genüge gegeben.
Aber warum vermutet er es dann ausgerechnet in der Hardt-Kaverne, die doch erst 1960/61 gebaut wurde?, fragte Lars sich. Insgesamt empfand er Kotthausens Aufzeichnungen als sehr dürftig, nicht gut recherchiert und nicht an entscheidenden Stellen nachgehakt. Was war zum Beispiel mit diesem ominösen Klaus-Jürgen? War der tatsächlich ein Enkel des NS-Mannes Koch, vorausgesetzt die verstorbene Elisabeth wäre Kochs Tochter gewesen? Könnte der es gewesen sein, der auf Kotthausen geschossen hatte? Und wenn ja, warum?
Lars klappte das Tagebuch zu.
Man müsste tiefer graben, dachte er, vielleicht wird doch noch eine großartige Geschichte daraus. Zunächst galt es, in die Kaverne zu gelangen, um zu sehen, was dort wirklich zu finden war.
Mit der Überlegung, wer ihm dabei behilflich sein könnte, ging er zu Bett.
Kapitel 3
Mit noch schlafverklebten Augen schlurfte Fiebig Richtung Badezimmer. In der Küche gluckerte schon leise die Kaffeemaschine. Die würde er auch blind finden. Das Radio hatte sich von allein eingeschaltet, es war programmiert. Heute sei Freitag, der 26. April 2019, ein warmer Frühlingstag stehe bevor, flötete ein aufgeräumter Moderator durch den Äther. Die folgenden Nachrichten schwappten an Fiebig vorbei. Am liebsten ginge er sowieso mit geschlossenen Augen und Ohren durch die Welt. In letzter Zeit noch mehr als sonst. Für ihn bestand die Stadt aus Schmutz, Elend und Dreck. Werbung nicht zu vergessen, die vor allen Dingen. Die Plakatwände waren mit verhunzten Wortgebilden bestückt, die seiner Sprache nicht ähnelten. Sie erreichten ihn nicht. Im Übrigen fand er die meisten hirnrissig. Sinnentleerte Slogans sollten junge Menschen ansprechen, für ihn waren sie nicht gedacht.
Geschlossene Augen gingen aber nicht, schon gar nicht, wenn man vor dem Spiegel stand und sich rasieren wollte, nass, mit scharfer Klinge.
Fiebig musste hineinsehen. Mühsam hob er die müden Augenlider. »Bäh!«, entfuhr es ihm beim Anblick seines zerknautschten Gesichtes.
Seine geröteten Augen konnte er noch dem gestrigen Alkoholkonsum zuschreiben. Die schweißnasse Glatze der unruhig verbrachten Nacht. Seine fahle, schlaffe Haut und die Tränensäcke unter den Augen auf sein Alter zu schieben, das allerdings erschien selbst ihm nicht ehrlich.
Schuld war sein ungesunder Lebenswandel. Seine Schwester hielt es ihm ohne Unterlass vor. Fast neun Jahre jünger als er war sie, seine kleine Schwester. Eine lebensbejahende Witwe. Im Gegensatz zu ihm strotzte sie vor Energie und konnte es nicht lassen, ihn zu bevormunden und zu gängeln.
Wenn er nächste Woche seinen 59. Geburtstag erleiden würde, würde er sie wie immer nicht daran hindern können, ihm eine Feier auszurichten. Und wie jedes Jahr würde sie eine ihrer zahlreichen Freundinnen mitbringen. Elfie, Claudia, Hanne, oder wie sie alle hießen. In einem stillen Winkel der Küche würde sie ihm zuraunen: »Sei nett und nicht so grantig zu Elfie. Die wäre doch was für dich.«
»Ihr geht mir alle auf den Sack, auch du!«, blaffte er sein Spiegelbild an. Er brauchte keine Frau, musste sich erst einmal wieder in Form bringen.
Missmutig setzte er den Rasierer an, wissend, dass er die Klinge nicht unfallfrei über seine faltige Haut ziehen könnte.
Seine Hand zitterte, trotzdem kam er mit nur einer Schramme davon. Er klebte ein winziges Pflaster darüber, öffnete das Badezimmerfenster, um den Dampf der heißen Dusche abziehen zu lassen, die er zuvor genossen hatte, und sah draußen einen strahlenden Frühlingstag aufziehen.
Vor seinem Kleiderschrank entschied er sich für eine leichte Sommerhose und sein helles Leinenjackett. Der harte Duschstrahl hatte ihm ins Leben zurückgeholfen.
Nachher würde er sich mit Lars Lombardi im Biergarten auf dem Laurentiusplatz treffen. Im Präsidium musste nicht jeder mitkriegen, dass er Umgang mit der Presse pflegte, wo doch alle wussten, dass Presseleute für ihn lästige Schmierfinken waren.
Leider hatte er im Alkoholrausch mit eben einem dieser Zunft Brüderschaft getrunken. Und wenn er ehrlich war, musste er sich eingestehen, dass dieser Lars Lombardi ein sympathischer Junge war, sonst würde er sich ja auch nicht mit ihm treffen.
Was ihm an Lars nicht gefiel, war seine Manie, diese eine unglaubliche Geschichte zu finden, die ihn in die Riege der angesagtesten Journalisten katapultieren würde.
Fiebig war gespannt, für was er ihn heute wieder einspannen wollte.