Begraben in Wuppertal. Jürgen Kasten
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Читать онлайн книгу Begraben in Wuppertal - Jürgen Kasten страница 4
Es war kurz vor Mitternacht, als Lars seinen x-ten Kaffee austrank und beschloss, nach Hause zu fahren. Er wollte sich gerade auf den Weg machen, da stürmte ein Mann herein. Blutverschmiert, das eine Ohr seltsam verformt ließ er sich ächzend auf einen Stuhl fallen. Doch nicht nur sein Anblick ließ Lars erschaudern. Er kannte den Mann.
Schließlich hatte er ihn, Kotthausen, in den letzten Tagen mehrfach interviewt und auf seinen Exkursionen begleitet. Bevor er sich aus seiner Erstarrung lösen konnte, hatte Schwester Carola schon den Arzt gerufen, einen Rollstuhl herangezogen und den Verletzten in den Behandlungsraum geschoben. Lars wollte hinterher, doch die Schwester verwehrte ihm den Zutritt. Der Mann winkte ab.
»Lassen Sie ihn mitkommen«, murmelte er, bevor seine Augäpfel nach oben kippten und er in die Bewusstlosigkeit abzudriften drohte.
»Na, na, ist doch gar nicht so dramatisch. Fehlt nur ein Stück vom Ohr. War das ein Hund, oder was? Ne … sieht nicht so aus …«
Während er an seinem Patienten herumwerkelte, redete der Arzt ununterbrochen, ohne eine Antwort hören zu wollen. »Wenn Sie das fehlende Stück mitgebracht hätten, könnte ich es wieder annähen.«
Unter der Wirkung einer Beruhigungsspritze, der örtlichen Betäubung und Schwester Carolas Hand, die sanft seinen Kopf streichelte, kam Kotthausen langsam zurück ins Bewusstsein.
»So, die Blutung ist gestoppt und die Wunde vernäht. Jetzt legt die nette Schwester Ihnen noch einen Verband an und dann kann Ihr Sohn Sie nach Hause fahren.«
Dabei schaute der Arzt Lars an. Der berichtigte ihn nicht.
Er half Kotthausen in die Senkrechte und stützte ihn beim Rausgehen.
»Ich vermute, das war ein Metallsplitter, der das halbe Ohr abgerissen hat. Das macht Sie zwar nicht attraktiver, aber Ihr Gehör ist noch intakt. Sie sollten das als Arbeitsunfall melden«, gab der Arzt ihnen noch mit auf den Weg.
Lars platzte vor Neugier. Er hielt sich aber zurück und bugsierte Kotthausen in seinen Wagen und fuhr ihn zu seinem Hotel. Bei seiner Schwester hatte der Verletzte nicht mehr wohnen wollen. Sie löchre ihn den ganzen Tag mit Fragen und rede ihm auch sonst zu viel.
Lars setzte den noch leicht benebelten Mann im Foyer in einen Sessel, schwatzte dem Nachtportier zwei Flaschen Bier ab und hoffte, damit Kotthausens Zunge zu lockern.
»Was ist Ihnen passiert?«
»Ich glaube, es hat jemand auf mich geschossen.«
»Quatsch.«
»Kein Quatsch. Ich wollte in die Hardt-Kaverne einbrechen. Dann hab ich so ein Blitzen gesehen. Plötzlich knallte es und mein Ohr war weg.«
»Wieso Hardt-Kaverne? Die ist doch erst in den 60er-Jahren gebaut worden. Da kann doch nicht Ihr Bernsteinzimmer versteckt sein. Wussten Sie das nicht?«
Der Mann seufzte, nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche.
»Weiß ich doch«, sagte er. »Beim Sprengen des Felstunnels wurde aber eine weitere Höhle entdeckt und die ist möglicherweise mit dem bereits bekannten Höhlenlabyrinth weiter oben im Berg verbunden.«
»Und da wollten Sie suchen?«
»Es muss doch einen Grund geben, warum man mich da nicht reinlassen wollte.«
»Und jetzt sogar mit Waffengewalt daran hindert«, lachte Lars. Wer wusste schon, wobei der Mann sich das halbe Ohr abgerissen hatte.
»Ich erzähle keinen Unsinn. Das war ein Schuss.«
»Ja, gut«, erwiderte Lars. Er glaubte ihm nicht. »Warum sollte denn jemand auf Sie schießen?«
Der Mann antwortete nicht. Er setzte die Flasche an und trank sie in einem Zug aus. Seine Hand wanderte tastend zu seinem bandagierten Ohr. Der halbe Kopf war mit dem Mull umwickelt.
Sieht aus wie DJ Ötzi mit seinem weißen Käppi, schmunzelte Lars in sich hinein, behielt den Kommentar aber lieber für sich. Er musste wegschauen, sonst hätte er nicht an sich halten können.
»Ich hab die Schnauze voll«, murmelte Kotthausen. »Ich pack meine Sachen und fahre nach Hause.«
»Und das Bernsteinzimmer?«
»Ist mir im Augenblick egal. Ich hau erst mal ab.«
»Sollen wir nicht lieber die Polizei informieren?«
Lars griff schon nach seinem Handy.
Ein scharfes »Nein!« ließ ihn stoppen.
»Mit der Polizei will ich nichts zu tun haben.«
Kotthausen schaute Lars direkt an.
»Lassen Sie mich einfach in Ruhe. Ich verschwinde aus eurem ungastlichen Wuppertal und damit ist die Sache erledigt. Vorläufig«, murmelte er noch vor sich hin.
Unschlüssig stand Lars auf.
»Wenn Sie meinen. Ich wünsche Ihnen jedenfalls alles Gute.«
Eine merkwürdige Geschichte, dachte er, als er in seinem Wagen saß. Die letzten Stunden in der Notaufnahme hatten nicht viel Stoff für eine Geschichte ergeben. Vielleicht würde aus der ergebnislosen Schatzsuche doch noch eine?
Lars startete und fuhr zum Hardtufer. Der Tunneleingang war leicht zu finden. Nur wenige Meter von der Straße entfernt blinkte eine helle Metalltür im Mondlicht. Sie war zwar mit diversen Graffiti beschmiert, sah aber relativ neu aus.
Lars parkte den Wagen. Weit und breit war niemand zu sehen. Aus dem Handschuhfach kramte er seine Taschenlampe hervor und ging hinüber.
Ein Rucksack und eine Akkubohrmaschine lagen im Gestrüpp vor dem Eingang. Nachdem er sich die Tür genau angesehen hatte, glaubte er dem Mann aus Leipzig: zwei Dellen, die ganz nach Einschüssen aussahen. Mit seinem Smartphone fotografierte er alles und packte die zurückgelassenen Sachen ein.
Im Rucksack fand er eine Art Tagebuch. Eine interessante Lektüre. Seine Neugier war größer als der Respekt vor den fremden Gegenständen. Er verstand nun, warum Kotthausen von dem Gedanken beseelt war, das Bernsteinzimmer in Wuppertal zu finden.
Anscheinend hatte der NS-Scherge Erich Koch noch Verwandte in Wuppertal. Koch war Gauleiter in Ostpreußen und der Ukraine gewesen. Anfang 1945, die russischen Truppen stießen