Begraben in Wuppertal. Jürgen Kasten
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Das irritierte ihn.
Normalerweise beachtete sie ihn nicht – er hingegen schaute ihr gern hinterher. Dabei kamen ihm Gedanken, die er besser für sich behielt. Eine Frau an seiner Seite hatte er schon zu lange entbehrt.
Nicht ganz freiwillig. Er hatte sich gehen lassen, war kein angenehmer Anblick für seine Mitmenschen.
»Ein Geschenk meiner Schwester.« Er grinste unbeholfen.
Die Frau musterte ihn kritisch, schien ihm das nicht ganz abzunehmen. Aber sie nickte nur, lächelte dabei.
Schweigend glitten sie in die Tiefgarage hinab.
»Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag«, sagte sie und stolzierte auf ihren hohen Stöckelschuhen zu ihrem Wagen.
»Danke, wünsche ich auch«, antwortete Fiebig viel zu spät. Sie war schon eingestiegen.
»Trottel«, sagte er zu sich selbst und wandte sich seinem alten Benz zu, der direkt neben der Ausfahrt stand.
Seinen Führerschein hatte er seit Kurzem zurück, das Trinken hatte er trotzdem nicht eingestellt. Die drei Monate ohne eigenes Auto waren ihm schwergefallen. Sich zu Fuß durch die Gegend zu bewegen, war nicht sein Ding. Einer der Gründe für sein schlaffes Aussehen. Es gab noch andere. Fiebig wollte sie sich nicht eingestehen. Jedenfalls hatte er das Autofahren nicht verlernt.
Beschwingt vom Anblick der Rothaarigen, von der er nicht einmal den Namen wusste, obwohl sie mindestens so lange wie er hier wohnte, beschloss er, einen kleinen Umweg zu fahren.
Er drehte die Scheibe hinunter, ließ die laue Frühlingsluft seine Glatze umspielen und fuhr hinauf zum Lichtscheid. Die dortige Tanke war meist einige Cent billiger als die Markentankstellen. Auch an der kleinen Kirche in der Nähe fuhr er noch vorbei. Die Seitenfassade zierte immer ein großes Plakat mit einem aufbauenden Spruch, meistens einem Bibelzitat. Fiebig war nicht religiös. Seit Jahren hatte er keine Kirche mehr von innen gesehen, aber diese Plakatwand sprach ihn an. In vierteljährlichen Abständen wurde sie von lokalen Künstlern gestaltet. Die rote Ampel neben der Kirche ließ ihn einen Augenblick verweilen und den Anblick des aktuellen Plakates genießen.
Er erinnerte sich noch an den letzten Spruch, in dem es um die Beziehung von Jenseits und Diesseits ging. Fiebig hatte nichts dagegen, dass man das Zitat inzwischen ausgetauscht hatte, schließlich musste er den Übergang zum Jenseits fast täglich aus der Nähe betrachten. Nach 40 Dienstjahren war das mehr als genug. Seine Seele zeigte Narben, und obwohl er den Beruf des Kriminalisten gerne ausübte, sehnte er seine Pensionierung herbei.
Noch war es nicht so weit. Wütendes Hupen hinter ihm riss ihn aus seinen Gedanken. Entschuldigend hob er die Hand und fuhr an. Die Ampel sprang gerade von Gelb erneut auf Rot.
Fiebig bog nach links ab und fuhr zur Stadt hinunter.
Er passierte den Sportplatz an der Oberbergischen Straße und neidisch sah er, wie sich Jugendliche für den Schulsport warm machten – so agil wäre er auch gerne noch.
Im Tal musste er erneut einen Umweg fahren, denn die direkte Zufahrt zum Polizeipräsidium war wegen der Dauerbaustelle an der Bahnunterführung noch immer gesperrt. Das brachte ihn in den Genuss eines weiteren Bibelspruches an einer Hausfassade: »Bereite Dich darauf vor, Deinem Gott zu begegnen (Amos 4,12)«, las er.
»Ich habe keinen eigenen Gott«, knurrte er vor sich hin. »Wenn ich aber mal irgendeinem begegnen sollte, würde ich ihn fragen, ob es ihm eigentlich Spaß macht, die Welt in den Abgrund zu stürzen.«
Die Vorstellung einer solchen Begegnung ließ ihn schmunzeln. Er beschloss, den heutigen Tag locker angehen zu lassen und ausnahmsweise nicht mit seiner Umwelt zu hadern.
Beschwingt betrat er sein Büro im zweiten Stock des Präsidiums und fand seine Mannschaft vollständig versammelt vor. Als Chef des KK 11 besaß er natürlich das größte Zimmer, das gleichzeitig als Besprechungsraum diente.
Alle hatten sich zwischenzeitlich mit Kaffee versorgt. Dass Fiebig als Letzter kam, war ungewöhnlich. Die Gespräche verstummten. Elke schob ihm den Stapel neuer Vorgänge zu, die in der Nacht angefallen waren und die von der Kriminalwache im ersten Angriff bearbeitet worden waren. Ein anderer füllte Fiebigs Kaffeetasse auf. Alle warteten auf eine Erklärung für sein Zuspätkommen.
Fiebig grinste nur. Ohne sich zuvor die neuen Anzeigen anzuschauen, schmiss er sie quer über den Tisch einem nach dem anderen zu. »An die Arbeit«, verkündete er und klatschte dabei in die Hände.
Verwundert verließen die Kollegen sein Büro.
Elke blieb sitzen.
»Was ist los?«, fragte sie. So guter Laune erlebte sie ihren Chef selten. Sein Verhalten hatte fast etwas Kindliches.
»Es muss sich etwas ändern«, erklärte Fiebig.
»Ach ja? Dass du hier nicht mehr Chef sein willst, oder was?«
»Nein, ganz allgemein. Ich muss meine Mitte wiederfinden.«
Elke Fassbender war die Einzige im Kommissariat, mit der Fiebig überhaupt Privates besprach. Er hatte sie als seine Stellvertreterin auserkoren. Offiziell war die Stelle vakant. Sie musste noch ausgeschrieben werden und dann erst konnte Elke sich bewerben. Beide hofften natürlich, dass sie auch den Zuschlag bekäme.
»War was Wichtiges bei den Eingängen dabei?«, wechselte er das Thema. Natürlich wusste er, dass Elke alles gesichtet hatte. Wenn er etwas hätte wissen sollen, hätte sie es gesagt.
Sie schüttelte nur den Kopf.
»Gut«, sagte Fiebig, »dann übergebe ich dir die Amtsgeschäfte für ein oder zwei Stunden. Ich muss zu einer Verabredung.«
Kapitel 4
Zweimal kurvte Fiebig durch das Einbahnstraßengewirr des Luisenviertels, bis er endlich einen Parkplatz gefunden hatte. In ein Halteverbot wollte er sich nicht mehr stellen, schon gar nicht mit dem Dienstwagen, mit dem er nun unterwegs war. Seit er lautstark mit einer Politesse aneinandergeraten war, waren die städtischen Ordnungshüter nicht gut auf ihn zu sprechen. Fiebig hatte behauptet, er befände sich in einem dringenden Einsatz, was die Dame nicht geglaubt hatte. Sie ließ das überprüfen und Fiebig stand danach als Lügner da. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, nachzutreten und sich beim Leiter des Ordnungsamtes über die Politesse zu beschweren.
Dass er mit seinen verbalen Attacken die Anzahl der Menschen, die ihm wohlgesonnen waren, noch mehr reduzierte, war ihm egal.
»Irgendwann werden dich alle hassen«, hatte Lars ihm prophezeit und Fiebig hatte das nur mit einem »na und« kommentiert.
Es schien ihm wirklich egal zu sein. Ihm genügte sein Team im Kommissariat, das zu ihm stand, obwohl er es mit harter Hand führte. Er war kompromisslos, unhöflich und rechthaberisch. Er hatte so gut wie keine Freunde. Umso erstaunlicher, dass er sich mit dem Journalisten Lars