Wiener Bagage. Andreas Pittler
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Der Gottesmann zögerte noch eine kleine Weile, dann erhob er sich, nickte kurz und verließ Bronsteins Büro. Der seufzte noch einmal, schüttelte den Kopf und wandte sich wieder seiner Zeitungslektüre zu.
Als Bronstein von der Mittagspause zurückkehrte, war er eben im Begriff, sich an seinen Schreibtisch zu setzen, als sich Pokorny vernehmen ließ: »Wir haben zwei Tote in der Beatrixgasse. Gasvergiftung. Aber der …« Bronstein fuhr hoch: »Was sagst du da?«
»Beatrixgasse 7. Weißt eh, dritter Bezirk. Zwei Tote durch Gasvergiftung, Verdacht auf Fremdeinwirkung«, wiederholte Pokorny ungewöhnlich wortkarg. Bronstein war in der Zwischenzeit auf ihn zugestürmt, hatte ihn am Ärmel gepackt und Richtung Ausgang geschoben. Vor dem Präsidium sprang Bronstein überraschend behände in den eben einfahrenden Ringwagen und trieb Pokorny zur Eile an. »Ich versteh’ gar nicht, warum es dich auf einmal so pressiert. Ich mein’, die zwei sind in einer halben Stund’ auch noch tot. Da brauch’ ma jetzt nicht hetzen wie die wilde Jagd.«
»Doch, weil … ach was, ich erklär’s dir später.«
In der Beatrixgasse angekommen stürmte Bronstein förmlich die Treppe hinauf und kam erst zur Ruhe, als er in der genannten Wohnung die Bescherung mit eigenen Augen sah. Am Boden lagen ein ziemlich geckenhaft aussehender Mann von Anfang, Mitte 20 und eine grelle Blondine mit üppigen Brüsten, die sich in einem ähnlichen Alter befunden haben musste. Beide waren nackt, was Pokorny zu einem verlegenen Hüsteln veranlasste. Bronstein wandte sich an den Hausmeister, der den Beamten in die Wohnung gefolgt war.
»Wissen Sie, wer die Toten sind?«
»Die Frau ist die Marie Oberhollerer. Sie ist … war, wenn S’ so wollen, Herr Inspektor, die Schwester vom Wohnungsmieter, dem Josef Oberhollerer. Den Herrn da, den kenn ich nicht. Der ist da fremd.«
Bronstein nickte kurz. »Und wann haben S’ die zwei da g’funden?«
»Ich?« Der Hausmeister gab sich erstaunt. »Ich gar nicht. Vor einer halben Stund’ hat mich der Oberhollerer aus der Wohnung pumpert und hat g’schrien, ein Unglück ist g’scheh’n. Na bin ich rauf, nachschau’n, ned? Und da hab ich das da g’seh’n.« Dabei deutete er auf die Toten. »Na, bin ich sofort wieder runter, doch da war der Oberhollerer schon nimmer da. Ich hab’ mir gleich denkt, da stimmt was nicht, weil sonst pascht der ja nicht einfach so ab, und drum bin ich zum Hirschen in der Ungargasse gangen, weil der ja ein Telefon hat. Na und von dort hab’ ich dann Sie ang’rufen.«
Bronstein blieb nur, seine ursprüngliche Kopfbewegung zu wiederholen. »Oberhollerer, sagen Sie?«, meinte er dann, Bestätigung heischend, in Richtung des Hausmeisters. Worauf dieser es Bronstein nachmachte und ebenfalls nickte. »Gut. Dann lassen wir einmal die Kollegen ran. Die sollen die zwei auf die Gerichtsmedizin bringen. Aber so, wie’s ausschaut, ist das Ergebnis eh klar. Und ein Geständnis hamma praktisch auch.«
»Ah, war das gar kein Unglück, war das ein Mord?«
Bronstein ärgerte sich insgeheim darüber, sich in Gegenwart des Hausmeisters verplappert zu haben, doch gelang es ihm, seinen Fehler rasch auszubügeln. »Na ja, wenn es ein Unfall gewesen wäre, dann wär’ der Oberhollerer ja ned abpascht, ned wahr?« Der Hausmeister gab sich mit dieser Antwort zufrieden.
Zwei Stunden später saß Pokorny bei Bronstein im Büro und referierte, was er bei den diversen Behörden über Oberhollerer in Erfahrung gebracht hatte. Polizeilich war der Mann zwar noch nicht aktenkundig geworden, aber es existierten Aufzeichnungen über ihn beim Bundesheer und beim Arbeitsamt. Demnach war Oberhollerer unmittelbar nach dem großen Krieg beim Heer geblieben, ehe er vor zwei Jahren aus dem Militärdienst entlassen worden war. Er hatte sich als Tellerwäscher in einem Restaurant, als Tischabräumer in einem Café und zuletzt als Brotschani in einer Buschenschank durchgeschlagen, war nun aber bereits seit einem Jahr arbeitslos und daher ausgesteuert. Von der Hausverwaltung der Beatrixgasse erfuhren sie weiters, dass Oberhollerer zuletzt mit der Miete in Rückstand geraten war, sodass seine Delogierung nur noch eine Frage weniger Wochen war.
Seine Schwester wiederum war seit einem Jahr in der Beatrixgasse gemeldet gewesen. Fast zehn Jahre jünger als ihr Bruder, dürfte sie keinerlei Beschäftigung nachgegangen sein. Der Hausmeister hatte jedoch bei der Befragung angegeben, dass sie wohl als ›Geheime‹ angeschafft habe, wenngleich er, der Hausmeister, natürlich nichts gesagt haben wollte. Ob nun der zweite Tote ein Freier oder aber der Liebhaber der Maria Oberhollerer war, ließ sich vorerst nicht sagen, da über seine Identität nichts in Erfahrung zu bringen war. Zwar gab es die Aussage des Paters, wonach der Mann Christoph geheißen hatte, doch Christophs gab es viele in Wien. Bronstein beschloss, diese Frage vorläufig außer Acht zu lassen. Stattdessen gab er Pokorny den Auftrag, eine Großfahndung nach Josef Oberhollerer hinauszugeben. Er war zwar mehr als skeptisch, dass der Mann auf diese Weise wirklich geschnappt werden konnte, doch schadete es auch nichts, die größeren Bahnhöfe überwachen zu lassen, wenngleich die Personenbeschreibung, die man geben konnte, mehr als vage war.
III.
Natürlich blieb Oberhollerer verschwunden. Bronstein konnte es nach zwei Tagen auch nicht mehr verantworten, die Kollegen weiterhin am West- und am Südbahnhof, am Franz-Josephs-Bahnhof und am Nordbahnhof herumstehen zu lassen. Die ganze Sache drohte, auf Frist gelegt werden zu müssen. Bronsteins Laune war dementsprechend. Nicht einmal die Zigarette schmeckte ihm, als er lautstark über den schlechten Kaffee lamentierte. Da kam ihm Pokorny gerade recht. Dieser hatte eigentlich versucht, den Chef mit einer alten Anekdote aufzuheitern, als dieser ihn brüsk anfuhr: »Weißt was, Pokorny, deine alten Kamellen kannst du dir einrexen. Die brauch ich jetzt wie einen Kropf.« Unweigerlich schreckte Pokorny verletzt zurück und sah zu, dass er aus dem Zimmer kam.
»Was ist denn noch, verdammt noch einmal! Hast ned mitgekriegt, dass ich meine Ruhe haben will, sapperlot?!«
»Doch, Chef, aber da ist ein Anruf. Aus dem Erzbischöflichen Palais. Irgendein geistlicher Herr. Er sagt, er weiß was über den Oberholl…«
Bronstein war aufgesprungen und hatte sich in Windeseile an Pokorny vorbeigezwängt. »Jetzt gib schon her, du Unglückswurm!« Hektisch griff er nach dem Apparat. »Pater Gerhard?«
»Nein, Pater Sebastian. Aber ich rufe im Auftrag von Pater Gerhard an. Der hat mir gesagt, ich soll Sie verlangen, weil Sie über die ganze Sache Bescheid wissen.«
»Ja, der Fall Oberhollerer, ich bin im Bilde. Was will mir der Herr Pater ausrichten?«
»Also, er sagt, er ist sich nicht sicher, weil er den Oberhollerer ja nur g’hört und danach nur ganz kurz von hinten g’sehen hat, ned wahr. Aber er glaubt, dass der Oberhollerer jetzt gerade im Dom ist. Er sitzt im Gestühl bei der Kanzel und betet. Pater Gerhard beobachtet ihn vom Abgang zur Gruft aus, und deswegen hat er mich herübergeschickt, damit ich Sie anruf’.«
Bronstein dankte dem Geistlichen und legte auf. »Pokorny!«, brüllte er dann, »sofort einen Streifenwagen. Aber fix a no! Wir müssen zum Dom.«
Als sich der Wagen durch die Innenstadt schlängelte, quengelte Bronstein wie ein kleines Kind. »Geht das nicht schneller, Herrschaftszeiten!« Der Fahrer tat, was er konnte, doch die engen, verwinkelten Gassen verunmöglichten eine höhere Geschwindigkeit.
»Sakrament, da sind wir ja zu Fuß schneller«, fluchte Bronstein.
»Wollen Sie’s ausprobieren, Herr Major? Ich lass Sie gerne aussteigen«, gab der Fahrer über die