Wiener Bagage. Andreas Pittler
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Es war offensichtlich, dass die beiden Herren etwas mit dem Ministerpräsidenten zu besprechen hatten, denn sie bestellten nur Wein, aber keine Mahlzeit. Auch die beiden Bronsteins waren mittlerweile mit dem Hauptgang fertig, sodass Ruhe in der Räumlichkeit einkehrte. Die beiden Bronsteins rauchten, die drei Politiker diskutierten leise, und der versonnene Adler nippte an einem Mineralwasserglas.
Irgendetwas hatte Bronstein irritiert. Mit einem Mal saß der junge Adler so krumm am Tisch, als laste alle Not der Welt auf seinen Schultern. Doch das war es nicht, was Bronstein neugierig machte. Es schien, als blitze etwas unter dem Tischtuch hervor. Hantierte der junge Mann wie ein Schuljunge unter der Bank mit einem Gegenstand?
Ach, wahrscheinlich war es nur das Portemonnaie gewesen, denn jetzt erhob sich Adler und ging wohl, um seine Rechnung beim Zahlkellner zu begleichen.
Aber halt! Der Mann ging in die falsche Richtung. Statt dem Ausgang strebte er dem Tisch Stürgkhs zu. Nun gut, immerhin waren beide Politiker. Vielleicht gab es etwas über alle Parteigrenzen hinweg zu besprechen oder auch nur einen Termin für ein diesbezügliches Treffen zu vereinbaren. Bronstein wollte sich schon wieder von der Szene abwenden und die Unterhaltung mit dem Vater wieder aufgreifen, als er plötzlich sah, wie Adler in seine Sakkotasche griff, etwas Metallenes daraus hervorbeförderte und den Arm in Richtung des Ministerpräsidenten ausstreckte.
Der Vater erschrak halb zu Tode, als der Sohn abrupt von seinem Sessel aufsprang. Dieser hatte jene Reaktion gesetzt, als ihm bewusst geworden war, dass Adler eine Waffe in Händen hielt. Er wollte selbst zu seiner Dienstpistole greifen, doch wie so oft in seinem Leben führte er selbige gar nicht mit sich, was ihn innerlich einen Fluch ausstoßen ließ. Dann blieb ihm nichts anderes übrig, als einen Warnruf auszustoßen. Doch der ging bereits im Lärm, der nun durch den gesamten Saal tönte, unter.
Adler war bis auf wenige Zentimeter an Stürgkh herangekommen und feuerte ohne weiteres Zögern drei Mal auf den Regierungschef, noch ehe Bronstein auch nur einen einzigen Schritt in die Nähe des Tisches hatte machen können. Deutlich sah Bronstein, wie der Kopf des Mannes getroffen wurde. Bronsteins Schrei war verstummt, sein Mund blieb offen, und sein ganzer Körper wirkte wie eine Statue. Nun drehte sich auch sein Vater, so schnell er es eben vermochte, um. Beide sahen mit schreckgeweiteten Augen, wie der Leib des Grafen langsam den Sessel abwärtsrutschte. Adler betrachtete noch einmal den hinscheidenden Mann und strebte dann dem Ausgang zu. »Aufhalten! Den muss man aufhalten«, stammelte Bronsteins Vater automatisch. Während er diese Worte hervorstieß, schien sich der alte Mann darauf zu besinnen, dass sein Sohn Polizist war, und so wendete er seinen Kopf abermals und sah seinen Junior auffordernd an.
Dieser versuchte nun auch endlich, sich selbst in Bewegung zu setzen. Adler hatte die Tür bereits fast erreicht, als er von Aehrenthal und dem zweiten Mann eingeholt wurde. Ein wildes Handgemenge entstand. Gerade als Bronstein die Gruppe erreichte und sich mit seiner Kokarde entsprechende Autorität verschaffen wollte, krachte ein weiterer Schuss, der sich wohl im Gefolge des Ringens der Männer gelöst hatte. Bronstein duckte sich und meinte, die Kugel sei haarscharf an ihm vorbeigeflogen. Dann jedoch erkannte er, dass Aehrenthal stöhnend zu Boden ging. Anscheinend hatte der Schuss ihn getroffen. Bronstein war darüber so erschrocken, dass er laut »genug jetzt« rief. Tatsächlich hielten die beiden auf den Beinen verbliebenen Männer inne und sahen den Neuzugang neugierig an. Bronstein hob nun wirklich seine Kokarde und erklärte mit ihn selbst erstaunender fester Stimme: »Herr Adler, Sie sind festgenommen!«
Der zeigte keinerlei Absicht, sich zu wehren, und händigte Bronstein die Waffe aus. Einige Kellner kamen herbeigelaufen und wollten Adler fesseln. Bronstein hob die Hand und sah dabei Adler fest in die Augen: »Sie werden uns jetzt keine Schwierigkeiten machen, oder, Herr Adler?« Dieser stand nur stocksteif da und schüttelte den Kopf. »Gut, dann verzichte ich darauf, sie zu fesseln.« An die Kellner gewandt, meinte er: »Lasst ihn nicht aus den Augen! Wo kann ich hier telefonieren?« Ein Kellner deutete zur Schank, wo Bronstein tatsächlich einen Apparat stehen sah. Er ging hin und wählte die Vermittlung an.
»Das Polizeipräsidium, bitte. Oberinspektor Nechyba.«
Nach einigem Knacksen und Knacken in der Leitung hörte er den polternden Bass seines Vorgesetzten. »Was ist?«, knurrte der kurz angebunden.
»Chef, Sie sollten ganz schnell ins ›Meissl & Schadn‹ kommen! Sie werden nicht glauben, was gerade passiert ist.«
I.
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, vergeben Sie mir, Vater, denn ich habe gesündigt.«
Pater Gerhard stützte seinen Kopf in die rechte Hand. Seit zwei Stunden saß er nun schon im Beichtstuhl im hinteren Teil des Stephansdoms und er konnte nicht umhin, sich einzugestehen, dass ihn die Litaneien der Gläubigen langweilten. Zumeist, dies war seine zentrale Erkenntnis aus fast zwei Jahrzehnten als Geistlicher, beichteten just jene, die am wenigsten Grund dazu hatten. Vor allem die alten Frauen nervten ihn. In ihrer panischen Angst, demnächst abberufen zu werden und dann nicht ihrem Schöpfer gegenübertreten zu dürfen, weil auf ihnen ach so schreckliche Sünden lasteten – die Bandbreite reichte von einem furchtbaren Fluch á la »Fix Laudon« bis zu einem Stück Dürre an einem Freitag –, trieb sie fast jeden Tag in den Beichtstuhl. Wobei es auch durchaus möglich war, dass sie einfach nur eine Art Ansprache suchten, die sie in dieser neuen Zeit, da alles immer schneller zu werden drohte, nicht mehr finden konnten. Und als Gottesdiener hatte man ganz einfach Verantwortung für die Herde. Und wenn sie sich fürchtete, dann musste eben der gute Hirte dafür sorgen, dass der Herde kein Leid widerfuhr.
Immerhin aber hatte da eben ein Mann seine Beichte eingeleitet. Das mochte für ein wenig Abwechslung sorgen. Männer trieb es in der Regel dann in den Beichtstuhl, wenn sie gegen das 7. Gebot verstoßen hatten, und mit etwas Glück würde er dem Mann dann ein paar Details entlocken, die ihm, aus rein sachlichen Gründen natürlich, ein klareres Bild geben könnten, wodurch die Zeit dann nicht gar so lang werden mochte.
»Meine letzte Beichte war … ach, das weiß ich nicht mehr, Vater. Bitte vergebt mir.«
Pater Gerhard wusste, nun musste er etwas sagen. »Sprich weiter, mein Sohn. Was bedrückt dich?«
»Ich habe ein Menschenleben ausgelöscht.«
Pater Gerhard fuhr hoch. Hatte er da eben richtig gehört?
»Wie war das eben, mein Sohn?« Der Gottesmann wollte sich des gerade Gehörten versichern.
»Ja, Vater, es ist wahr. Ich habe getötet. Und ich bereue zutiefst.« Der Mann im Beichtstuhl seufzte hörbar. »Ach, wenn ich es nur ungeschehen machen könnte. Aber die Tat ist getan, und ich, ach … ich weiß nicht weiter! Helfen Sie mir, Vater! Vergeben Sie mir.«
Pater Gerhard rutschte nervös auf seiner Sitzgelegenheit hin und her. Mit einer solchen Äußerung war er noch nie in seinem ganzen Leben konfrontiert worden. Er musste sich eingestehen, nicht zu wissen, wie er nun reagieren sollte.
»Aber mein Sohn«, stammelte er, »was ist geschehen?«
»Ich habe mir nicht mehr zu helfen gewusst«, kam es von der anderen Seite des Beichtstuhls, »sie war … ein Teufel in Menschengestalt. Eigentlich war es … Notwehr.«
»So erkläre dich doch, mein Sohn«, forderte der Pater den Beichtenden auf, »ich kann dir Gottes Vergebung nicht geben, wenn du mir nicht genau sagst, worum es eigentlich geht.«
Wieder kam ein Seufzen. Es war offenkundig, dass der Mann sich zu sammeln versuchte, sich ein Korsett zurecht legte,