Wiener Bagage. Andreas Pittler

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Wiener Bagage - Andreas Pittler

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die Situation, Pater Gerhard atmete tief durch und sandte ein Stoßgebet zum Himmel.

      »Ich war immer ein gottesfürchtiger Mann, das müssen Sie mir glauben, Vater. Das war ich wirklich.«

      »Schon recht«, replizierte der Pater eilig, »aber wer war nun der Teufel in Menschengestalt?«

      »Das … ist nicht … so einfach …«

      »Wer?«, beharrte der Priester, »deine Frau?«

      »Aber ich bin doch ledig«, entfuhr es dem Beichtenden.

      »Dann eine … Venuspriesterin?«

      »Wie meinen?«

      »Eine Dirne, eine Liebesdienerin, eine Bordsteinschwalbe …«

      »Aber Vater, wie reden Sie von meiner Schwester?«

      Immerhin, so dachte sich Pater Gerhard, wusste er nun, wen der Mann auf dem Gewissen hatte. Aber was nutzte ihm diese Information, hier in den hehren Hallen des Wiener Stephansdoms? Vor allem handelte es sich hier um eine Gewalttat! Konnte er die überhaupt den Behörden gegenüber verschweigen? Mein Gott, er befand sich in einem wahren Gewissenskonflikt, und das nur, weil dieser Mörder ausgerechnet jetzt den Weg zu seinem Beichtstuhl gefunden hatte.

      »Ihre Schwester also? Warum war sie der Teufel?«

      »Ausgenützt hat sie mich. Seit ich denken kann. Das hätte ich ja noch hingenommen, aber dann ist sie auch noch dazu übergegangen, mich absichtlich zu quälen. … Und, Vater, … krümmt sich nicht auch ein Wurm, wenn er getreten wird?«

      »Sie hat dich gequält? In welcher Weise, mein Sohn?«

      Nur wenige Augenblicke später sollte Pater Gerhard die Frage bereuen, denn was er zu hören bekam, ließ ihn sich mehrfach bekreuzigen. Jener Mensch, der da Erleichterung im Beichtstuhl gesucht hatte, erwies sich als weitaus üblerer Sünder, als er ursprünglich angenommen hatte. »Dass sie mich nie ernst genommen hat, damit konnte ich ja noch leben. Ebenso damit, dass sie mir jeden Heller sofort abgenommen hat. Und dass sie sich in meiner Wohnung aufführte, als gehörte sie ihr. Doch dann, die Geschichte mit Christoph, die konnte ich ihr einfach nicht nachsehen.«

      An dieser Stelle hatte Pater Gerhard naturgemäß gefragt, wer denn nun Christoph sei. Und da stellte sich heraus, dass es sich bei jenem Christoph um den Mann handelte, in den sich der Beichtende unsterblich verliebt hatte. In einer dunklen Stunde, so berichtete er weiter, habe er seiner Schwester von dieser Leidenschaft erzählt. »Und da hat sie sich den Christoph einfach geangelt. Sie kam mitten in der Nacht nach Hause, ihn im Schlepptau. Ich hab’ sie angefleht, das nicht zu tun, doch sie hat nur gelacht, ihn vor meinen Augen ausgezogen und sich ihm hingegeben.«

      Das war nun normalerweise die Stelle, an der Pater Gerhard gerne nach Details fragte, doch die Lust auf solche Erzählungen war ihm gründlich vergangen. »Die beiden haben fleischlich miteinander verkehrt. Vor meinen Augen. Angefleht hab’ ich sie, damit aufzuhören, doch sie hat nur gelacht. Nur gelacht.«

      Pater Gerhard wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er hätte sich nie träumen lassen, dass er in den Tiefen des gotischen Gemäuers jemals so etwas wie Hitze empfinden würde, doch angesichts der Offenbarungen, die ihm hier zuteil wurden, vermochte er keinesfalls, kühlen Kopf zu bewahren.

      »Und dann, Vater, … dann habe ich die Bratpfanne genommen und … und zugeschlagen!«

      Pater Gerhard schnellte nach vorn. Die Bratpfanne? Das konnte doch unmöglich des Mannes Ernst sein! Hatte man schon jemals davon gehört, dass jemand durch einen Schlag mit der Bratpfanne zu Tode gekommen war?

      »Du hast sie mit einer Bratpfanne erschlagen?«

      »Aber geh! Herr Pfa… Hochwürden! Ich habe beiden das Pfandl über den Schädel gezogen, damit sie ohnmächtig werden. Und dann hab ich alles fest zugemacht und das Gas aufdreht. Ich hab’ mir dacht, dann spüren sie wenigstens nichts, wenn sie hinübergehen in die andere Welt. Und dann bin ich weggegangen, weil ich mich besaufen wollt’. Und … immer hab ich daran denken müssen. Immer hab’ ich mir g’sagt, jetzt sind s’ bestimmt schon tot. Jetzt aber sicher. Und dann hab ich es nicht mehr ausgehalten und bin hierher in den Dom gegangen. Oh Gott! Was habe ich nur getan.«

      Pater Gerhard war sich sicher, den Mann auf der anderen Seite weinen zu hören. Daher brauchte es eine Weile, bis ihm die Bedeutung des zuletzt Gesagten voll bewusst wurde. »Das heißt, du weißt gar nicht, ob du sie getötet hast?«

      »Na ja«, der Mann zog schniefend Rotz hoch, »das war ja schon vor Stunden. In der Zwischenzeit müssen die ganz einfach erstickt sein …«

      »Aber was, wenn nicht? Vielleicht kannst du sie noch retten!«

      »Sie noch retten …«, echote der Mann. Dann hörte Pater Gerhard ein merkwürdiges Rumoren. Der haut ab, dachte er sich, mitten in der Beichte. Das Knarren des Holzes ließ keinen anderen Schluss zu. Der Priester erhob sich und öffnete die Tür des Beichtstuhls. Tatsächlich sah er eine kleine ärmlich gekleidete Gestalt an der Kanzel des Meisters Pilgram vorbei in Richtung des Seitenausgangs laufen. Pater Gerhard wollte die Verfolgung aufnehmen, doch sein Alter, vor allem aber sein Körperumfang, ließen ihn dieses Vorhaben bald aufgeben. Als er endlich auch ins Freie kam, war von dem Mann keine Spur mehr zu sehen.

      II.

      »Sie glauben also, Ihnen hätte jemand zwei Morde gestanden, aber Sie sind sich nicht sicher, ob das auch stimmt. Ist das soweit richtig, Hochwürden?«

      Bronstein ließ den Blick auf dem Geistlichen ruhen, der unruhig auf dem Besuchersessel hin und her rutschte. »Schauen Sie, Herr Kommissar, eigentlich hat mir der Mann seine Tat in der Beichte anvertraut. Also gilt das Beichtgeheimnis. Ich dürfte Ihnen ergo nicht einmal unter Androhung der Folter davon berichten, was der Mann mir gesagt hat. Aber andererseits war es ja gar keine vollständige Beichte, da ich nicht dazu kam, ihm die Absolution zu erteilen, und außerdem besteht immerhin die Möglichkeit, dass seine Opfer noch leben, sodass sie eventuell gerettet werden könnten. Und wer weiß«, fügte der Pater hinzu, »ob er es sich dann nicht doch wieder anders überlegt und sie ganz totmacht, falls sie noch am Leben sein sollten.«

      »Nun, der Gedanke ist nicht abwegig«, konzedierte Bronstein. »Wann war der Mann bei Ihnen?«

      »Ich würde sagen, vor einer guten halben Stunde. Sowie er aus der Kirche geflohen ist, habe ich vor dem Dom ein Taxi genommen und bin hierher gefahren. Die Tat, von der er sprach, müsste demnach vor knapp fünf Stunden begangen worden sein.«

      Bronstein seufzte. »Aber Hochwürden, wie stellen Sie sich das vor? Wir können doch unmöglich ganz Wien durchkämmen, um herauszufinden, ob irgendwo jemand einer Gasvergiftung erlegen ist. Und solange nicht erwiesen ist, dass jemand einem Verbrechen zum Opfer fiel, gibt es für uns auch keinen Fall und daher auch keinen Verdächtigen. Es tut mir leid, aber ich wüsste nicht, wo ich hier zu einer konkreten Handlung ansetzen sollte.«

      Die Miene des Paters gefror. »Ich habe mein Möglichstes getan. Ich habe das Beichtgeheimnis verletzt, um zwei Menschen zu retten. Wenn Sie nichts tun, dann liegt das in Ihrer Verantwortung. Nicht in meiner!«

      »Beruhigen Sie sich, werter Herr Pfarrer«, begütigte ihn Bronstein, »niemand wird Sie irgendeiner Fehlleistung beschuldigen. Aber wir wissen zum gegenwärtigen Zeitpunkt ja nicht einmal, ob das überhaupt stimmt, was der Ihnen erzählt hat. Vielleicht ist das nur ein Gestörter, der sich das ausgedacht hat. Dann wäre es doppelt unangenehm,

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