Blutheide. Kathrin Hanke

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Blutheide - Kathrin Hanke

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die sie bei der Ankunft durch Rehders Bemerkung bereits registriert hatte, hatte sich zwischenzeitlich noch weiter gefüllt. Während Katharinas Blick jetzt durch die Schaulustigen wanderte, hatte sie kurz das Gefühl, ihren Chef Kommissar Rehder in der Menge gesehen zu haben. Doch sie musste sich getäuscht haben, denn als sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Terrasse richtete, sah sie ihn mit jemandem von der Spusi sprechen. Sie ging wieder zu ihm rüber und hoffte darauf, dass er ihr eine konkrete Aufgabe zuteilen würde.

      »Frau von Hagemann«, setzte Rehder auch prompt an, »da drüben, die junge blonde Frau, das ist Jana Helm. Sie arbeitet hier im Service und hat die Leiche entdeckt. Würden Sie bitte eine erste Befragung vornehmen?«

      »Klar, mach ich«, antwortete Katharina. Sie hatte also eben mit ihrer Vermutung richtig gelegen, dachte sie, während sie sich auf den Weg zu der jungen Frau machte, die nach wie vor verängstigt in der Ecke saß.

      10.09 Uhr

      Bene hatte sich ein wenig abseits gestellt und beobachtete aus den Augenwinkeln die Frau, mit der er die letzte Nacht verbracht hatte und die sich in den frühen Morgenstunden aus seiner Wohnung geschlichen hatte. Natürlich hatte er es bemerkt, doch er hatte sie nicht zurückgehalten. Ihm war es ganz recht gewesen – bloß keine Verbindlichkeiten! – und außerdem war er davon ausgegangen, ihr sowieso bald wieder über den Weg zu laufen. Das ließ sich im überschaubaren Lüneburg kaum vermeiden und war ganz in seinem Sinn. Dass er sie allerdings dermaßen schnell wiedersehen würde, damit hatte er nicht gerechnet. Irgendwie freute er sich, obwohl die Umstände nicht gerade seinen Vorstellungen entsprachen.

      Katharina gehörte durchaus zu der Kategorie Frau, die ihn auch ein zweites Mal reizen würde. Schon allein deshalb, weil sie einfach so sang- und klanglos aus seinem Bett verschwunden war. Für ihn war das ein Zeichen von Souveränität, die er eher selten bei Frauen erlebt hatte, die er sonst so abschleppte. Normalerweise wollten sie nach einer gemeinsamen Nacht auch noch ein gemeinsames Frühstück und machten keinen Hehl daraus, auf der Suche nach einem männlichen Gegenstück zu sein. Es war nicht immer das reinste Vergnügen, ihnen klar zu machen, dass er genau dafür nicht zur Verfügung stand. Katharina aber imponierte ihm. Wie er in der vergangenen Nacht mehrmals hatte feststellen können, war sie eine Frau, die wusste, was sie wollte. Bei diesem Gedanken musste er schmunzeln. Oh ja, sie wusste sogar sehr genau, was sie wollte, und das hatte mächtig Spaß gemacht. Viel geredet hatten sie zwar nicht gerade, aber trotzdem hatte er irgendwie das Gefühl, mit ihr auf einer Welle zu sein. Und außerdem sah sie wirklich toll aus mit ihren roten Locken, ihrem fein geschnittenen Gesicht und der nach seinem Gusto geradezu perfekten Figur. Halt nicht zu dünn, sondern gerade richtig. Sehr feminin und ohne jegliche Koketterie, die er bei Frauen immer furchtbar anstrengend fand. Ja, Katharina war definitiv ganz nach seinem Geschmack. Einer Eingebung folgend, setzte Bene sich in Bewegung und drängte sich durch die Schaulustigen auf Katharina zu, die nach wie vor bei der Hotelangestellten stand und leise auf die junge Frau einredete. Katharina war also Polizistin. Das wiederum gefiel Bene nicht unbedingt.

      Bene rechnete damit, dass sich hier noch jemand herumtrieb, den er kannte, doch bisher hatte er ihn noch nicht entdecken können. Bei dem Gedanken an seinen Bruder beschlich ihn ein seltsames Gefühl. Er hätte sich längst bei ihm melden sollen. Spätestens jetzt, wo er wieder hier war. Aber irgendetwas hatte ihn davon abgehalten. Sie hatten sich damals nicht gerade unter besten Umständen voneinander getrennt. Bene hatte seinen Bruder enttäuscht. So wie er ihn Zeit ihres gemeinsamen Lebens enttäuscht hatte, weil er es immer wieder schaffte, in Schwierigkeiten zu geraten, und sein Bruder ihn ständig vor der ultimativen Katastrophe bewahren musste. Beim letzten Mal war das Fass aber übergelaufen. Sein Bruder hatte ihm klipp und klar gesagt, dass Bene ab jetzt auf sich allein gestellt sei, und dann hatte er den Kontakt abgebrochen. Bene hatte das akzeptiert. Zuerst aus Schamgefühl, dann, weil er nicht wusste, wie er wieder an die Familienbande anknüpfen sollte. Dennoch hatte er die ganzen Jahre seinen Bruder, den Fels in der Brandung, der so ganz anders war als er selbst, vermisst. Mehr noch als Julie, denn dieses Vermissen war bald verblasst und inzwischen einer schönen Erinnerung an alte Zeiten gewichen. Mit seinem Bruder war das anders. Mit ihm verband ihn einfach sein komplettes Leben. Hin und wieder erfuhr Bene von seiner Mutter, was ›der Große‹ so trieb, aber das war es dann auch. Rohe Eckdaten eben.

      Ob Katharina und sein Bruder sich wohl bereits kannten? Aber nein, dann hätte sie das sicher erwähnt. So wie eigentlich jeder, der erst den einen und dann den anderen Bruder kennenlernte. Bene erinnerte sich auch vage daran, dass Katharina ihm erzählt hatte, dass sie heute einen neuen Job anfangen würde und erst gestern in die Stadt gekommen war. Wahrscheinlich war sie seinem Bruder also noch gar nicht über den Weg gelaufen.

      Bene war nun bis an die Absperrung der Terrasse gelangt und blieb unschlüssig stehen. Er sah, wie Katharina immer noch leise mit der jungen Blondine sprach und sich dabei Notizen machte. Jetzt klappte sie ihren Block zu, stand von ihrem Stuhl auf und legte dem Mädchen noch einmal beruhigend die Hand auf die Schulter. Als sie sich nun umdrehte, traf ihr Blick genau auf seinen. Ihr Mund formte ein stilles ›Oh‹. Dann kam sie direkt auf ihn zu.

      »Wieso … wieso haben Sie sich denn umgezogen?« Katharina schaute Bene verwirrt an.

      »Na ja, im Adamskostüm wäre es jetzt wohl ein wenig kalt«, erwiderte Bene schlagfertig, wie er fand. Gleichzeitig war er ernüchtert. Warum siezte Katharina ihn, und warum schaute sie ihn jetzt so entsetzt an? Die Art der Begrüßung überraschte ihn, er hatte sie für cooler gehalten. Doch dann stutzte er: Inzwischen guckte sie gar nicht mehr ihn an, sondern haarscharf an seiner rechten Schulter vorbei. Bene drehte sich um und sah sich seinem Spiegelbild gegenüber.

      »Benjamin!«, entfuhr es Bene. Benjamin Rehder sagte gar nichts. Er stand nur da. Ganz ruhig. Dann sagte er zu Katharina gewandt: »Frau von Hagemann, darf ich vorstellen: Benedict Rehder, mein Zwillingsbruder.«

      10.27 Uhr

      Katharina konnte nur fasziniert von einem zum anderen gucken. Innerlich musste sie beinahe lachen, aber sie riss sich zusammen, um es niemanden merken zu lassen. Immerhin hatte sie nicht mit ihrem Chef geschlafen, das war schon mal eine Menge wert. Sie würde jetzt erheblich entspannter mit ihm umgehen können. Unangenehm war ihr die ganze Geschichte trotzdem, denn Benedict hatte soeben keinen Hehl daraus gemacht, dass sie beide sich schon begegnet waren, und den Rest würde sich der Kommissar vermutlich allein zusammenreimen können. War ja schließlich sein Job, zwischen den Zeilen zu lesen. Ansonsten waren die beiden Brüder in Katharinas Augen merkwürdig distanziert miteinander umgegangen, aber das ging sie nichts an. Um der merkwürdigen Situation möglichst schnell zu entkommen, hatte sie sich darauf berufen, wieder an die Arbeit gehen zu müssen. Zudem war sie sich auch überhaupt nicht im Klaren darüber, wie sie mit Bene – oder Benedict, wie sie jetzt wusste – umgehen sollte und wollte auch nicht länger seinem intensiven Blick ausgeliefert sein. So nickte sie beiden kurz wortlos zu und machte sich weiter an ihre Arbeit, denn darum war sie ja schließlich hier.

      Katharina betrachtete die Leiche, die zweifellos schon ein paar Tage im Wasser verbracht hatte. Mit der Identifizierung würde es nicht einfach werden, zumal man bisher bei dem Toten keinerlei Papiere gefunden hatte. Eindeutig war lediglich eine Wunde in der Herzgegend, denn der Blutfleck war nicht zu übersehen. Dunkle Erinnerungen stiegen in Katharina hoch, doch sie verdrängte sie sofort und wendete sich einem Kollegen der Spurensicherung zu, der neben ihr stand.

      »Haben Sie irgendetwas bei der Leiche gefunden?«, fragte sie ihn ohne Einleitung und dann: »’tschuldigung, Katharina von Hagemann, das ist heute mein erster Tag.«

      »Na, das ist ja kein so toller Start«, antwortete der Kollege trocken. »Bisher haben wir gar nichts gefunden, wir sind aber auch noch nicht ganz durch. Ich denke mal, so in 20 Minuten können wir ihn abtransportieren lassen. Ich bin übrigens Bodo, Bodo Schmitt.«

      »Haben Sie da schon nachgesehen?« Katharina bückte sich, streifte sich dünne Einweghandschuhe über und

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