Der Tod auf dem Nil. Agatha Christie

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Der Tod auf dem Nil - Agatha Christie

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      Wieder spürte er, wie das Mädchen im Dunkeln zusammenzuckte.

      »Ihnen kann ich’s ja sagen, Monsieur Poirot, ich bin hier auch wegen des Lokalkolorits. ›Schnee im Antlitz der Wüste‹ – so heißt mein nächstes Buch. Stark – gefühlvoll. Schnee – in der Wüste – schmilzt beim ersten flammenden Hauch der Leidenschaft.«

      Rosalie stand auf, murmelte etwas und verschwand in den dunklen Garten.

      Mrs Otterbourne plapperte mit so nachdrücklichem Kopfnicken weiter, dass der Turban wippte. »Stark muss man sein. Und starker Tobak – das sind ja auch meine Bücher – darum geht’s. Sie stehen auf dem Index in Bibliotheken – egal! Ich sage die Wahrheit. Sex – ja! Monsieur Poirot, warum hat alle Welt so viel Angst vor Sex? Er ist der archimedische Punkt des Universums! Haben Sie meine Bücher gelesen?«

      »Leider nein, Madame! Sie müssen wissen, ich lese kaum Romane. Meine Arbeit –«

      Mrs Otterbourne fuhr energisch dazwischen. »Ich muss Ihnen ›Unter dem Feigenbaum‹ geben. Ich glaube, Sie erkennen seine Bedeutung. Das Buch ist sehr unverblümt – aber es ist die Wirklichkeit

      »Sehr freundlich von Ihnen, Madame. Ich werde es mit Vergnügen lesen.«

      Eine Weile schwieg Mrs Otterbourne, nestelte an der doppelreihigen langen Klunkerkette, die ihr am Hals baumelte, und sah nervös um sich. »Ach, vielleicht – ich springe rasch und hole es Ihnen.«

      »Was ist denn, Mutter?« Rosalie stand plötzlich neben ihr.

      »Nichts, Liebling. Ich will nur rasch hoch und ein Buch für Monsieur Poirot holen.«

      »Den ›Feigenbaum‹? Ich hole es.«

      »Du weißt doch gar nicht, wo es ist, Liebes. Ich gehe schon.«

      »Doch, weiß ich.« Das Mädchen lief hastig über die Terrasse ins Hotel.

      »Darf ich Ihnen gratulieren, Madame, zu einer sehr liebenswerten Tochter?«, sagte Poirot mit einer Verbeugung.

      »Rosalie? Ja, ja – sie ist recht hübsch. Aber auch sehr hart, Monsieur Poirot. Kein Mitgefühl, wenn man mal krank ist. Sie glaubt, sie weiß alles besser. Sie findet ja auch, sie weiß besser über meine Gesundheit Bescheid als ich.«

      Poirot winkte einem Kellner, der gerade vorbeikam. »Einen Likör, Madame? Chartreuse? Crème de Menthe?«

      Mrs Otterbourne schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein. Ich bin sozusagen Abstinenzlerin. Sie haben vielleicht bemerkt, dass ich ausschließlich Wasser trinke – allenfalls Limonade. Ich mag den Geschmack von Spirituosen einfach nicht.«

      »Dann darf ich Ihnen einen Zitronensaft bestellen, Madame?« Für sich selbst gab er dem Kellner einen Bénédictine in Auftrag.

      Die Terrassentür schwang wieder auf, und Rosalie kam mit einem Buch in der Hand zurück. »Hier ist es«, sagte sie. Ihre Stimme war tonlos – erstaunlich tonlos fast.

      »Monsieur Poirot hat gerade einen Zitronensaft für mich bestellt«, erwiderte die Mutter.

      »Und Sie, Mademoiselle, was nehmen Sie?«

      »Nichts.« Rosalie merkte, wie schroff es geklungen hatte, und fügte hinzu: »Nichts, vielen Dank.«

      Poirot nahm das Buch, das Mrs Otterbourne ihm entgegenhielt. Es steckte noch im Originalschutzumschlag mit einer grellbunten Dame darauf, die mit einem kecken Bubikopf, scharlachroten Fingernägeln und im klassischen Evaskostüm auf einem Tigerfell thronte. Über ihr ragte ein Baum mit Eichenblättern und unglaublich bunten, riesigen Äpfeln empor. Dazu der Titel: »Unter dem Feigenbaum«, sowie »von Salome Otterbourne«. Der Klappentext auf der Innenseite schwelgte vor Begeisterung über den superben gewagten Realismus dieser Studie über das Liebesleben einer modernen Frau. Die Adjektive lauteten: »Unerschrocken, unkonventionell, lebensecht«.

      Poirot machte noch eine Verbeugung und murmelte: »Ich fühle mich geehrt, Madame.« Als er den Kopf wieder hob, traf sein Blick den der Tochter der Autorin, und er fuhr unwillkürlich zusammen vor lauter Überraschung und Bekümmerung über den Schmerz, den er darin sah.

      Genau in diesem Augenblick kamen die Getränke und sorgten für eine willkommene Ablenkung. Poirot hob galant sein Glas. »A votre santé, Madame – Mademoiselle.«

      Mrs Otterbourne nippte ihren Zitronensaft und brummte: »So erfrischend – köstlich!«

      Dann saßen alle drei da und starrten schweigend hinab auf die glänzenden schwarzen Felsen im Nil. Im Mondlicht bekamen sie etwas Phantastisches; sie sahen aus wie halb aus dem Wasser ragende prähistorische Riesenungeheuer. Eine kleine Bö kam plötzlich auf und erstarb ebenso schnell wieder. Es lag etwas in der Luft – etwas Heimliches, Dräuendes.

      Hercule Poirot drehte sich wieder zur Terrasse und den Gästen. Irrte er sich, oder herrschte hier dieselbe heimliche, erwartungsvolle Spannung? Es war wie im Theater, der Augenblick, in dem man weiß, dass gleich die Hauptdarstellerin die Szene betritt.

      Und genau in diesem Augenblick flog wieder die Schwingtür auf, und diesmal war es, als sei das von besonderer Bedeutung. Alle hatten aufgehört zu reden und starrten auf die Tür. Heraus trat ein schlankes, dunkelhaariges Mädchen in einem weinroten Abendkleid, blieb kurz stehen, schritt dann gemessen über die ganze Terrasse und nahm an einem leeren Tisch Platz. Nichts an ihrem Verhalten war übertrieben oder abwegig, und trotzdem wirkte es wie ein wohlüberlegter Bühnenauftritt.

      »Nun ja«, Mrs Otterbourne warf Kopf und Turban nach hinten, »scheint sich ja für etwas ganz Besonderes zu halten, das Mädchen!«

      Poirot sagte nichts, sondern beobachtete die Szenerie. Das Mädchen hatte sich an einen Tisch gesetzt, von dem aus sie Linnet Doyle in aller Ruhe ansehen konnte. Und die, stellte Poirot fest, beugte sich jetzt vor, sagte etwas, stand einen Augenblick später auf und wechselte den Platz. Nun saß sie mit dem Gesicht in die andere Richtung.

      Poirot nickte in sich hinein und dachte nach.

      Etwa fünf Minuten später wechselte auch das andere Mädchen die Stellung und nahm am anderen Ende der Terrasse Platz. Dort blieb sie sitzen, rauchte und lächelte vor sich hin, ein Bild zufriedener Nonchalance. Nur ihr Blick blieb, scheinbar ganz unabsichtlich, auf Simon Doyles Frau fixiert.

      Eine Viertelstunde später stand Linnet Doyle abrupt auf und ging ins Hotel. Ihr Mann folgte fast augenblicklich.

      Jacqueline de Bellefort lächelte weiter und drehte ihren Stuhl. Dann zündete sie sich noch eine Zigarette an und sah, weiter in sich hineinlächelnd, hinaus auf den Nil.

      Viertes Kapitel

      »Monsieur Poirot.«

      Poirot sprang eilig auf. Er war allein auf der Terrasse sitzen geblieben, nachdem alle anderen Gäste hineingegangen waren, und hatte in Gedanken versunken auf die schimmernden schwarzen Felsen gestarrt, als der Klang seines Namens ihn wieder zurückholte.

      Die Stimme ließ auf Kultiviertheit und Selbstbewusstsein schließen, eine charmante Stimme, eine Spur arrogant vielleicht.

      Gleich darauf sah er Linnet Doyle in die Augen. Ihr Blick war zwingend, sie trug einen schweren roten Samtumhang über

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