F&%K THE CRISIS. Fox Hardegger
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Der Kurierdienst machte Spass, doch ich wusste, dass es keine Aufgabe ist, die mich bis ans Ende meiner Tage herausfordern wird. Ich wollte an die Front, dorthin wo die Post wirklich abgeht.
Ich sah meine Kollegen, die als Verkaufsmanager teure Anzüge trugen und spannende Aufgaben zu bewältigen hatten. Das wollte ich auch. Doch es gab keine offenen Stellen in diesem Bereich. Für einmal kam nun meine Mutter ins Spiel. Sie kannte ein Generalagent bei der ältesten, grössten und wohl auch konservativsten Lebensversicherungs-gesellschaft der Schweiz und vermittelte mir den Kontakt.
Beim ersten Vorstellungsgespräch liess man mich wissen, es gäbe keinen objektiven Grund, um mich einzustellen. Ich solle selbst einen Grund nennen, der für eine Anstellung spreche. Ich war jung, wild und hatte, aus welchen Gründen auch immer, sehr viel Selbstvertrauen. Meine Antwort lautete: «Weil ich mehr Umsatz machen werde als der Rest des Verkaufsteams.» Dieses umfasste immerhin 75 Kollegen. Ich versprach: Sollte es mir nicht gelingen dauerhaft unter den Top-10 zu bleiben, werde ich wieder kündigen. So viel Kaltschnäuzigkeit beeindruckte sogar den Direktor der Region. Ich verliess das Gebäude beschwingt, denn bald würde ich in Anzug und Krawatte durch die Gegend spazieren und mit dem Verkauf von Lebensversicherungen viel Geld verdienen.
Die Anstellung war der einfachere Teil gewesen. Nun musste ich liefern und zuvor vor allem sehr viel lernen: Das Sozialversicherungswesen mit all seinen Feinheiten in kurzer Zeit zu begreifen und anzuwenden, hatte seinen Preis. Drei Monate lang sass ich Tag und Nacht über den Büchern. Ich bestand alle Prüfungen und erhielt grünes Licht, um auf die Piste zu gehen und Kunden zu besuchen. Vor einer fremden Haustüre zu stehen, zu klingeln und die Leute von meinem Angebot zu überzeugen, erwies sich als harte, aber lehrreiche Schule. Ich verkaufte sehr gut und innerhalb von neun Monaten hatte ich mein Versprechen eingelöst, den Grossteil des Verkaufsteams hinter mir zu lassen. Ich konzentrierte mich – anders als jene Kollegen, die stets diverse kleinere Eisen im Feuer hatten – auf die grossen Fische und veränderte meine riskante Strategie auch nicht, als mir alle davon abrieten. Meine Devise, ich will lieber die Taube auf dem Dach als den Spatz in der Hand, machte sich bezahlt. So kam es, dass ich als ehemaliger Schulabbrecher und schwer erziehbarer Jugendlicher Anfang Zwanzig bereits sechsstellig verdiente. Dass mein Gehalt mit denjenigen meiner studierten Kollegen mithalten konnte, vermittelte mir noch mehr Selbstvertrauen und einen Kick. Um meinen Erfolg auch nach aussen sichtbar zu machen, lebte ich bald in einer tollen Attikawohnung, kaufte mir einen schönen Kaschmir-Mantel von Boss und legte mir ein standesgemässes Fahrzeug zu. Ich war erfolgreich und sehr hungrig und im Wissen um meine Talente wollte ich viel erleben, viel erfahren und viel Geld verdienen.
Natürlich wurde in diesem Business mit harten Bandagen gekämpft, was ich als spannende Herausforderung erlebte. Vor allem lernte ich, mich zu verkaufen. Es bedeutet, dass man sich präsentieren kann, die Sachen auf den Punkt bringt, die Ziele in einem Gespräch so formuliert, dass man sie erreicht. Ob man selbst verstanden wird, so lernte ich bald, ist kein Zufallstreffer. Man muss dafür sorgen, dass man sich verständlich machen kann, was auch bedeutete, dass man anderen zuhört, sie verstehen will. Als weitere Meilenstein in diesem Prozess erwies sich das Vermögen nicht aufzugeben, wenn man brutal zurückgewiesen wird. Rückblickend kann ich sagen: Bei all diesen Erfahrungen handelte es sich um eine wertvolle Lebensschule.
In den folgenden Jahren genoss ich das Geld und viel Freiraum. Ich erkannte meine Begabung mit Menschen umgehen zu können, gleichzeitig verfügte ich über einen untrüglichen Jagdinstinkt. Zwei Jahre kostete ich dieses Leben in vollen Zügen aus, doch mit der Zeit verstärkte sich mein Bedürfnis, mich mit anderen Themen als nur dem materiellen Erfolg zu befassen. Ich wollte eine Aufgabe finden, die mich auf einer kreativen und geistigen Ebene erfüllt und so beschloss ich eine ziemlich radikale Kehrtwende. Ich machte – mein seit Jahren gepflegtes Hobby – zum Beruf und fristete künftig des Daseins eines Künstlers.
Meine dritte berufliche Tätigkeit ging ich mit ähnlichem Elan an, wie alles was ich bisher getan hatte. Mein Atelier befand sich in einer ehemaligen Brauerei und lag direkt am Wasser, an der Aare. Es verfügte über eine eigene Dachterrasse, die zum Fluss hin ausgerichtet war: Ein regelrechtes Paradies, das ich dem Besitzer abgeschwatzt hatte. Mein neues Leben besiegelte eine ausschweifende Einweihungsparty. Aufgrund der Lage mit vielen Badenden, die von meinem Boden aus direkt in die Aare springen konnten, machte ich viele spannende und unkonventionelle Bekanntschaften. Es folgte ein perfekter Sommer: Ich besass Ersparnisse, an den Wochenenden verdiente ich als Barkeeper zusätzlich etwas Geld und meine künstlerischen Ambitionen hätte ich gemächlich angehen können. Doch bereits nach einigen Monaten fanden die ersten Vernissagen statt. Die bunten und grossflächigen Werke sprühten vor Energie und Lebensfreude und verkauften sich – sogar zu meinem Erstaunen – wie frische Semmeln.
In dieser wunderbaren Phase trat ein Engel in mein Leben: Eines Nachts, ich arbeitete in der angesagten Bar der Stadt, der Laden brummte, stand sie plötzlich vor mir: Tina. Das faszinierendste Geschöpf, das ich jemals gesehen hatte. Zwei winzige aufgeklebte Diamanten liessen ihre Augen strahlen, über Schulter und Armen baumelte eine Federboa und eine wilde Haarmähne. Ein Fabelwesen von einem anderen Stern. Geheimnisvoll. Und wunderschön. Bei ihrem Anblick fühlte ich, was ich bisher noch nie gefühlt hatte. Wir schauten uns an, wechselten einige Worte und ich war sofort unsterblich verliebt. Heute glaube ich nicht mehr an Liebe auf den ersten Blick. Vielleicht ist sie der Jugend vorbehalten, wenn man noch echte Romantik und wenig Erfahrung in sich trägt. Aber damals war alles möglich und ich wusste: Es ist eine magische Begegnung.
Sie war erst 17 Jahre alt, stammte aus Glarus und durfte nur im Ausgang sein, weil ihre ältere Schwester auf sie aufpasste. Was diese auch tat. Ich wusste, dass ich Tina auf keinen Fall gehen lassen durfte. Bevor die Gruppe übereilt aufbrach, verabredete ich mich mit ihr: Obwohl sie keine Ahnung hatte, wie sie ihre Eltern davon überzeugen sollte, dass sie sich in Bern mit einen wildfremden Typen treffen wollte, um das Wochenende mit ihm zu verbringen, versprach sie mir, die dreistündige Zugfahrt auf sich zu nehmen und in genau zwei Wochen, zur genannten Zeit, am Bahnhof, auf mich zu warten.
Die Situation war verzwickt, denn drei Tage später flog ich nach Vietnam. Ich wollte das Land, in dem sich mein Vater während meiner ganzen Kindheit und Jugend, sechs Monate pro Jahr, aufgehalten hatte, kennenlernen. Ohne Vorbereitung und ohne ihn zuvor kontaktiert zu haben, bestieg ich den Flieger Richtung Asien und landete in Saigon.
Vietnam traf mich mit voller Wucht. Nicht nur weil ich Tina vermisste, empfand ich das Land als frustrierend und bedrückend.
Unsinnige Regeln und Restriktionen sowie eine desolate Infrastruktur erschweren den Menschen das Leben. Der Vietnamkrieg war schon lange zu Ende, aber die extreme Armut war allgegenwärtig. Das Elend von kriegsversehrten Menschen, darunter viele ohne Beine, die auf selbstgebastelten Rollbrettern, die sie auf Bodenhöhe mit den Händen antrieben, durch die dreckigen Gassen bewegten, schockierte mich. Dass viele Bettler Jagd auf mich machten, verstand ich und andererseits schränkten sie meine Bewegungsfreiheit zusätzlich ein. Ausser den Denkmälern von Ho Chi Minh und anderen Kriegsdenkmälern gab es – anders als heute, wo prächtige Hotelanlagen, kilometerlange Strände, ein ausuferndes Freizeitangebot und eine fantastische Infrastruktur viele Touristen anlocken – nicht viel zu sehen und jene Zustände, die sich bei meinen kleinen Reisen über das Land präsentierten, vermochten meine Stimmung auch nicht zu heben. Die Amerikaner warfen in Vietnam mehr Bomben ab als die Alliierten im zweiten Weltkrieg über Hitler-Deutschland. Von dieser Zerstörung und den traumatischen Folgen des Kriegs hatte sich das ländliche Vietnam in den 1990er-Jahren nicht erholt. Der Aufenthalt war demoralisierend: Mir war es schleierhaft, wie mein Vater hier ein Imperium hatte aufbauen können und ebenso rätselhaft fand ich es, dass er sich in Vietnam offenbar wohlfühlte. Getroffen haben wir uns übrigens nicht. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt hielt er sich in der Schweiz auf und zeigte sich ein wenig enttäuscht, dass ich meine Reise nicht mit ihm abgesprochen hatte.