5 Romane Auswahlband Ärzte und Schicksale Februar 2019. A. F. Morland

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5 Romane Auswahlband Ärzte und Schicksale Februar 2019 - A. F. Morland

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Stiefbruder an.

      „Später, okay?“

      „Nein, jetzt!“

      „Ich würde gern das Spiel sehen.“

      Sie schaltete den Fernsehapparat kurzerhand ab.

      Bruno sah sie entgeistert an. „Nicola, was soll das?“

      „Ich muss mit dir reden.“

      „Hat das denn nicht bis später Zeit? Das Spiel ist in einer halben Stunde zu Ende …“

      „Du hörst mir jetzt zu!“, verlangte die junge Ärztin schneidend.

      „Na schön, schieß los.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie abwartend an. Ein süffisantes Lächeln umspielte seine Lippen, als er sagte: „Steht dir übrigens gut, wenn du wütend bist.“

      Nicola funkelte ihn an. „Drei, vier Tage, hast du gesagt. Drei, vier Tage! Nur so lange, bis du etwas Passendes gefunden hast. Nun ist schon beinahe eine Woche vergangen, und ihr seid noch immer hier.“

      „Ich hatte mir die Suche leichter vorgestellt.“

      „Du suchst ja gar nicht.“

      „Wer sagt denn das?“

      „Wann immer ich nach Hause komme, lungerst du irgendwo herum und lässt es dir auf meine Kosten gut gehen.“

      „Ich erledige das per Telefon“, erklärte Bruno. „Schließlich bin ich kein mieser, kleiner Klinkenputzer.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich verstehe deine künstliche Erregung nicht, Schwesterherz. Ist es denn so schwierig für dich, ausnahmsweise mal ein gutes Werk an einem Mitmenschen zu tun? An einem Mitmenschen, der noch dazu blutsverwandt mit dir ist?“

      „Ihr verwandelt mein Haus in einen Schweinestall, macht alles kaputt …“

      „Alles? Bloß den Videorecorder, und der muss schon vorher ein Leiden gehabt haben.“

      „Solange nur ich ihn bediente, war er in Ordnung.“

      „Ich habe doch gesagt, du kriegst einen neuen.“

      „Mit welchem Geld willst du den denn bezahlen? Du kannst dir ja nicht einmal ein Hotel leisten.“

      „Soll ich mein gutes Geld verschwenden, wenn meine Schwester allein in einem großen Haus wohnt?“

      Nicola stemmte die Fäuste wütend in die Seiten. „Hör zu“, fauchte sie, „ich gebe dir noch eine Woche, dann bist du mit deiner Freundin verschwunden – ob du bis dahin nun eine Wohnung gefunden hast oder nicht. Ist das klar?“

      „Großer Gott, wie aggressiv du geworden bist! So warst du früher nicht. Was ist mit dir passiert, während ich in Hamburg war? Was hat dich so verändert?“

      „Du hast noch sieben Tage“, sagte Nicola kalt. „Du solltest die Zeit nutzen, sonst sitzt du mit Rosy in einer Woche auf der Straße.“

      18

      Es belastete Nicola immer mehr, dass sie Torben nicht die Wahrheit gesagt hatte, und wenn er sie fragte, wie weit die Umbauarbeiten bereits gediehen seien, musste sie sich jedes Mal eine neue Lüge einfallen lassen. Es tat ihr in der Seele weh, dem Mann gegenüber, den sie so sehr liebte, so unaufrichtig sein zu müssen, und irgendwann sagte sie sich: So darf es nicht weitergehen. Torben vertraut mir – und ich belüge ihn. Das darf nicht sein. Das darf ich nicht mehr tun. Ich muss ihm endlich die Wahrheit sagen. Wenn ich weit genug aushole, wird er mich verstehen und mir nicht böse sein.

      Sie wollte ihm Bruno in den schwärzesten Farben schildern – eben so, wie ihr Stiefbruder tatsächlich war. Dann würde Torben nachvollziehen können, wie sie empfand, und ebenfalls nichts von dem Taugenichts, mit dem sie unglücklicherweise verwandt war, wissen wollen.

      Heute, dachte sie entschlossen. Heute sage ich ihm endlich alles. Und dann wird nie mehr eine Lüge zwischen uns sein.

      Sie besuchte den fünfjährigen Matthias. Der kleine Patient war mit starken Halsschmerzen, Husten, Erbrechen, hohem Fieber, Kopf- und Bauchschmerzen und Herzrasen eingeliefert worden. Die ersten drei Tage war seine Zunge belegt gewesen, danach hatte sie himbeerartig ausgesehen – Scharlach, hatte Dr. Nicola Sperling unschwer diagnostiziert und Penizillin verordnet.

      Zwei Wochen nach Krankheitsbeginn wurde Matthias’ Urin auf Blut kontrolliert, um festzustellen, ob man mit der Komplikation einer Nierenkörperchenentzündung rechnen musste.

      Da dies nun zweifelsfrei nicht zu befürchten war, konnte die junge Kinderärztin dem kleinen Patientin eröffnen: „Morgen darfst du nach Hause gehen.“

      Matthias riss die großen dunkelbraunen Augen auf. „Ehrlich?“

      „Ehrlich.“ Dr. Sperling nickte. „Ich habe deiner Mutti bereits Bescheid gesagt.“

      Matthias’ Augen wurden noch größer. „Sie holt mich morgen ab?“

      „Das hat sie mir versprochen.“ Dr. Nicola Sperling strich dem Kind sanft übers blonde Haar. „Freust du dich schon auf zu Hause?“

      „Ja. Auf meine Spielsachen und auf Pipsi.“

      „Wer ist Pipsi?“

      „Mein Wellensittich. Mutti hat ihn mir zum Geburtstag geschenkt – und ein paar Tage später musste ich ins Krankenhaus.“

      „Welche Farbe hat dein Pipsi?“

      „Blau. Er ist noch jung, kann noch nicht sprechen, aber ich werde es ihm beibringen – Guten Tag, Auf Wiedersehen, Pipsi ist brav, Schönes Wetter heute – und all solche Sachen.“

      „Er wird dir bestimmt viel Freude machen, dein gefiederter Freund.“

      „Davor hatte ich einen Goldhamster, aber der wurde nicht alt – nicht einmal zwei Jahre. Wir haben ihn in unserem Garten unter einer Tanne begraben.“

      „Pipsi wird mit Sicherheit länger leben“ , versicherte die junge Kinderärztin. „Ich kenne eine Frau, die hatte ihren Wellensittich zwölf Jahre.“

      Matthias staunte. „Zwölf Jahre.“

      Nicola Sperling nickte. „Hat die Frau gesagt.“

      „Zwölf Jahre. Jetzt bin ich fünf. Dann – dann bin ich …“

      „Siebzehn.“

      „Dann bin ich siebzehn. Das ist lang.“

      „Ja“, gab Nicola dem Kleinen schmunzelnd recht. „Das ist sehr lang.“ Sie strich ihm noch einmal sachte übers Haar, weil das so ein angenehmes Gefühl für sie war, und verließ das Krankenzimmer dann.

      Eine halbe Stunde später trat sie aus der Seeberg-Klinik. Der Himmel war bleigrau. Es war sehr schwül und sah nach Regen aus. Nicola stieg in ihren Wagen und fuhr zu Torben – und sie bemühte sich, nicht daran zu denken, wie ihr Stiefbruder

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