Windmühlentage. Katrin Köhl
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Читать онлайн книгу Windmühlentage - Katrin Köhl страница 15
Sie senkte den Kopf, strich weiter über den glatten blauen Samt, dann gegen den Strich, rau und kratzig. Alla ging prüfend um den Stoff herum.
»Beim letzten Mal war mir irgendwo ein Loch aufgefallen, aber ich weiß nicht mehr genau, wo es war. Bevor ich dazu kam, es zu stopfen, hatte Maxim den Behang schon wieder verpackt. Siehst du was?«
Eva schaute ebenfalls.
»Njet. Nitschewo.«
Alla schaute sie an.
»Du sprichst praktisch akzentfrei russisch. Warst du länger im Land? Wo hast du gelernt?«
»In Russland war ich leider noch nie. Ich habe die Sprache für mich allein gelernt. Mit Büchern, CDs und Internet.«
»Molodez! Das ist ja toll. Ich könnte das nicht. Und Spanisch?«
»Genauso.«
Alla lachte.
»Du bist also ein Wunderkind.«
Eva schaute erstaunt von dem blauen Samtmeer auf. Wunderkind? Das hörte sich an, als hätte sie eine komplizierte Aufgabe mit Bravour gemeistert. Eine Leistung erbracht, für die man sie bewundern musste. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, ihre Beschäftigung mit Fremdsprachen so zu beschreiben. Im Gegenteil. Sprache, das war die einfache Welt, ihr Rückzugsort. Hier stellte niemand Ansprüche, sie musste nichts leisten oder richtigmachen. Grammatik war einfach da. Sie existierte als wunderbares System, das sich von allein vor ihr entfaltete, je weiter sie eindrang. Eva fühlte sich darin wie in einem freundlichen Wald, der sie beschützte und an dessen zahllosen Weggabelungen es keinen falschen Abzweig gab. Jeder Pfad führte zu neuen Entdeckungen, nie konnte sie sich im Dickicht verlieren. Der Wald selbst schien ihre Schritte zu lenken und sie wusste, anders als in allen restlichen Bereichen ihres Lebens, dass sie immer hindurchfinden würde. Was die Aussprache anging, so brauchte sie nur auf das Rauschen der Bäume zu hören. Das Rascheln der Blätter, ein Knarzen der Äste, das Summen, Scharren und Pfeifen winziger Tiere. All die kleinen Geräusche, die den Wald lebendig machten. Sie wurde ganz Ohr, tauchte ein in das Rauschen, bis sie selbst zum Baum wurde, der sich im Wind wiegte.
Hinten im Saal knackte es. Die rote Tür öffnete sich.
»Chef?«
Alla ging zum Bühnenrand.
»Alles klar mit den Getränken?«
»Wir haben die Kisten schon in den Keller getragen.«
Zwei Männer kamen durch den Mittelgang nach vorn. Alla war von der Bühne gesprungen. Sie war nicht sehr hoch, aber Eva setzte sich vorsichtshalber und ließ sich dann nach unten gleiten.
»Darf ich vorstellen?«
Alla deutete auf die beiden.
»Anatoli und Maxim, die beiden starken Männer in der Truppe. Und das ist Eva, unsere neue Übersetzerin.«
Der Jüngere, groß und schlacksig mit dunklen Haaren, streckte Eva die Hand entgegen.
»Nenn mich Tolja.«
Er grinste. Dann beugte er den Kopf zu ihr, als wolle er ihr ein Geheimnis anvertrauen.
»Der stärkste Mann hier ist sowieso Alla. Aber lass das besser nicht Sergej oder Maxim hören.«
Maxim gab Eva ebenfalls die Hand. Mit seinen langen grauen Haaren und dem wallenden Vollbart erinnerte er sie an Karl Marx. Er deutete auf den Wandbehang.
»Dann hängen wir den jetzt auf.«
»Ja, danke.«
Alla wandte sich zu der Tür neben der Bühne.
»Kommt danach in die Küche. Eva und ich regeln das Geschäftliche und bereiten dann den Tee vor. Olga müsste auch gleich da sein. Wo ist eigentlich Sergej?«
»Der ist sicher noch bei Fred.«
Alla nickte und winkte Eva, ihr zu folgen. Der Boden der Küche war schwarz-weiß gefliest. Eine der Wände war apfelgrün gestrichen, ein Poster vom Theaterfestival in Avignon hing daran. Daneben drei große Spiegel mit Leuchten und ein langer, weiß lackierter, schon etwas abgestoßener Schminktisch. Den größten Teil des Raums nahm ein rechteckiger Tisch ein, um den acht unterschiedliche Stühle standen. In einer Ecke thronte ein großer Samowar. Alla befüllte ihn mit Wasser.
»Fred ist ein Freund von uns. Er ist Schreiner und wollte für uns drei leichte Holzgestelle für Windmühlenflügel bauen, die wir dann mit Papier beziehen können.«
Eva überlegte kurz.
»Na klar! Don Quixote. Cervantes und Bulgakow.«
»Ich sehe, du kennst dich aus.«
Alla nickte anerkennend. Sie nahm eine große Papiertüte von der Anrichte und begann, kleine süße Kuchen auf einem Teller zu arrangieren.
»Die habe ich heute Morgen gebacken. Bei uns gibt‘s immer um fünf Tee. Dann sind meistens alle da. Olga arbeitet bis nachmittags in einem Kindergarten, Maxim ist Klempner, Tolja und Natascha studieren an der Uni.«
Sie seufzte.
»Vom Theater allein kann keiner leben. Sergej hilft früh morgens beim Großmarkt. Ich unterrichte an der Volkshochschule. Was machst du eigentlich?«
»Ich bin Buchhändlerin.«
»Ah, daher das Interesse für Sprache und Literatur. Das Projekt wird dir gefallen. Ausgehend von Bulgakows Theaterstück und dem Roman von Cervantes wollen wir Don Quixote im Rahmen unseres Sommerfestivals auf die Bühne bringen. Es wird Mitmachaktionen und Workshops geben, in denen ein Großteil der Kostüme und des Bühnenbilds entstehen.«
Alla erzählte, dass sich die beiden Ensembles im letzten Sommer auf einem Theatertreffen in Budapest kennengelernt hatten. Damals wurde die Idee zu dem Projekt geboren. Im Frühjahr waren die Mitglieder des Arbat in Barcelona zu Besuch gewesen, jetzt kam die Truppe des Teatro Cervantes nach Zürich. Alla lehnte sich an die Anrichte. Sie sprach von Probenplänen, Arbeitszeiten, nannte Eva eine Summe, die sie ihr bezahlen konnte.
»Ich könnte dir dein Honorar jeweils am Ende des Tages auszahlen. Das wäre das Einfachste. Bist du einverstanden?«
Eva willigte ein. Sie konnte sich das Ganze noch gar nicht richtig vorstellen. Mit so etwas hatte sie nicht gerechnet, als sie, ohne nachzudenken, in Stuttgart in den Zug gestiegen war.
Alla hatte sich wieder den Vorbereitungen fürs Teetrinken zugewandt. Sie zeigte auf einen Hängeschrank über der Anrichte.
»Dort sind Tassen und Teller. Könntest du die schon mal auf dem Tisch verteilen? Teelöffel sind in der Schublade.«
Das Geschirr war so unterschiedlich wie die Stühle. Eva stellte alles auf den Tisch, zuletzt eine mit großen Blumen bemalte Zuckerdose. Im Samowar begann das Wasser zu kochen. Alla schaufelte Berge von schwarzem Tee in eine bauchige blaue Kanne und übergoss ihn mit heißem Wasser.
»Sdrawstwujte,