Windmühlentage. Katrin Köhl

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Windmühlentage - Katrin Köhl

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kleine dicke Frau mit zerzausten Locken schob sich durch die Tür. In jeder Hand hatte sie eine prall gefüllte Plastiktüte. Sie ging zum Tisch, stellte die Tüten ab und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Aus der Rocktasche zog sie ein mit Spitze umhäkeltes Taschentuch und wischte sich die Stirn ab.

      »Das Tram ist nicht gefahren. Und der Bus war so voll, dass ich nicht mehr reinkam. Deshalb bin ich den ganzen Weg vom Kindergarten gelaufen. Ich habe die Stoffreste mitgebracht.«

      Sie sah den Teller mit Gebäck, den Alla auf den Tisch gestellt hatte.

      »Allotschka, du bist ein Schatz! Ich bin am Verhungern!«

      »Warte noch auf Maxim und Tolja, sie sind gleich da. Darf ich dir solange Eva vorstellen? Sie wird uns in den nächsten Tagen als Übersetzerin zur Seite stehen.«

      Die kleine Frau zog mit schuldbewusster Miene die Hand zurück, die sie schon nach dem Kuchen ausgestreckt hatte.

      »Otschen prijatno, sehr angenehm, ich bin Olga. Es ist ein Glück, dass du da bist!«

      Sie lächelte Eva an, schaute dann zu Alla.

      »Vorhin habe ich Irina getroffen. Sie dachte, dass das Projekt erst in der nächsten Woche anfängt. Heute und die kommenden Tage hat sie keine Zeit. Und selbst danach wäre es schwierig geworden, weil sie dann Prüfungen hat. Na, so kann ich sie anrufen und ihr sagen, dass sie nicht mehr gebraucht wird.«

      Maxim und Tolja kamen in die Küche und setzten sich an den Tisch. Alla brachte eine kleine Kanne und eine Blechdose.

      »Hier ist Kräutertee. Den hat Natascha immer in der Schwangerschaft und während des Stillens getrunken. Möchtest du?«

      »Ja, danke.«

      Kurze Zeit später saßen alle vor dampfenden Tassen. Olga hatte sich etwas Tee in ihre Untertasse gegossen und schlürfte ihn hörbar. Dann nahm sie sich eines der Kuchenstücke.

      »Ich war heute Morgen kurz bei Natascha. Die Ärzte sagen, dass sie außer Lebensgefahr ist. Gott sei Dank! Aber sie sieht schlecht aus. Die Arme, Boshe moj! Sie wird wohl noch die gesamte nächste Woche in der Klinik verbringen.«

      Alla beugte sich zu ihr vor.

      »Olga, wie ist das in Nataschas WG? Denkst du, Florence und die anderen könnten Eva für die nächsten paar Tage aufnehmen? Sie muss aus ihrem Hotel raus und hat noch keine Unterkunft.«

      Olga schüttelte sich ein paar Krümel von den Händen und goss noch etwas Tee in ihre Untertasse.

      »Gut möglich. Es sind Semesterferien. Patrycja ist nach Polen zu ihrer Familie gefahren, soviel ich weiß.«

      Erneutes Schlürfen, dann wandte sie sich an Eva.

      »Ich will nachher sowieso dort vorbeigehen und nach dem Kleinen sehen. Komm einfach mit, dann fragen wir nach. Ist ein nettes Trüppchen. Und sie kümmern sich rührend um den kleinen Grischa, vor allem Florence.«

      Natascha und ihre Freunde wohnten im Westen von Zürich. Eva saß neben Olga im Tram. Draußen zogen riesige Bürotürme vorbei. Lange Fassaden aus Glas und Stahl. In den Straßen brauste der Verkehr. Eva konnte sich nicht vorstellen, wo hier eine Studenten-WG sein sollte. Umso überraschter war sie, als sie an einer ehemaligen Arbeitersiedlung ankamen. Niedrige Reihenhäuser, hübsch renoviert, jedes hatte eine andere Farbe und sogar ein Stückchen Garten. Zwischen den Häuserzeilen verliefen schmale Fußwege. Hinten rauschte die Limmat. Olga blieb vor einem rosafarbenen Haus stehen und drückte auf den Klingelknopf. Die Tür öffnete sich. Eva sah eine hochgewachsene schlanke Frau mit blonden Locken. Ein kleiner Junge, vielleicht zwei Jahre alt, schob sich an ihr vorbei ins Freie und kam auf wackeligen Beinchen den Gartenweg entlanggelaufen. Olga breitete die Arme aus, nahm ihn hoch und wirbelte ihn durch die Luft. Er kreischte freudig. Nun kam auch die junge Frau den beiden entgegen.

      »Bonjour, Olga, ça va?«

      Sie gab Olga rechts und links ein Küsschen, dann begrüßte sie Eva auf die gleiche Weise.

      »Bonjour, ich bin Florence.«

      »Eva.«

      Gemeinsam gingen sie ins Haus. Im Erdgeschoss waren Nataschas und Grischas Zimmer, der Rest wurde von einer große Wohnküche eingenommen.

      »Möchtet ihr Tee?«

      Olga setzte den Kleinen ab und holte wieder ihr Taschentuch hervor.

      »Für mich höchstens ein Tässchen, wir hatten gerade schon Tee im Arbat.«

      Eva bat um ein Glas Wasser und setzte sich auf einen der Klappstühle, die um den Küchentisch standen. Der Junge kam wieder angewackelt, diesmal mit einem Buch in der Hand. Er ging auf Eva zu und hielt sich an ihrem Hosenbein fest.

      »Ischa, tscha!«

      Olga lachte.

      »Mit Ischa meint er sich selbst, tscha bedeutet tschitat. Er möchte, dass du ihm vorliest.«

      Grischa zog an Evas Bein. Sie lächelte unsicher, stand dann auf und hielt ihm ihre Hand hin. Er ergriff einen Finger und stapfte los Richtung Flur. Eva folgte ihm. Er hatte ein eigenes kleines Zimmerchen, das mit dem seiner Mutter verbunden war. Dort saßen sie nun zu zweit auf einem Sessel. Eva öffnete das russische Bilderbuch. Mascha und der Bär. Sie las, wie Mascha mit Großmutter und Großvater in den Wald ging, um Beeren und Pilze zu sammeln, wie sie allein in die Hütte des Bären geriet und sich schließlich mit einer List wieder befreien konnte. Der Kleine blickte gebannt auf die Seiten. Als Eva zu Ende gelesen hatte, sagte er etwas, das sie nicht verstand. Was er meinte, war trotzdem klar. Sie schlug das Buch vorn wieder auf und begann erneut vorzulesen. Nicht mehr lang und sie würde ihrem eigenen Kind Bücher vorlesen. Schnell schob sie den Gedanken beiseite. Sie gestatte sich nicht, an das Kind zu denken. Versuchte, überhaupt nicht zu denken. Die Geburt. Ein Punkt wie eine gleißende Sonne, auf den sie mit rasender Geschwindigkeit zusteuerte. Keine Möglichkeit zu bremsen, kein Ausstieg. Sie würde verglühen, ausgelöscht in einem einzigen Augenblick wie ihre Mutter. Grischa war aufgestanden und hatte aus einer Kiste ein neues Buch geholt. Er legte es auf ihre Knie und sagte etwas. Als sie nicht reagierte, klappte er erwartungsvoll den Deckel auf. Sie begann zu lesen, hörte gleichzeitig, wie Florence im Flur telefonierte. Es ging um ihre Unterkunft. Vermutlich sprach Florence mit dem Mädchen, das gerade in Polen war. Eva merkte, wie sie das Bilderbuch fester umfasste. Wenn sie hier für die nächsten Tage unterkam, konnte sie nicht mehr zurück. Worauf hatte sie sich eingelassen? Wäre es nicht das Einfachste gewesen, nach Hause zu fahren? Was, wenn es nun mit dem Spanischen nicht so gut klappte wie mit Russisch? Und selbst wenn – vielleicht konnte sie jede der beiden Sprachen leidlich sprechen. Aber Übersetzen, das war noch einmal etwas ganz Anderes. Was, wenn sie es nicht konnte? Alle würden sie anschauen, darauf warten, dass sie etwas sagte, und sie würde keinen Ton herausbekommen, alle Vokabeln wären aus ihrem Kopf gefegt wie Blätter, die der Wind verwirbelt. Grischa zog an ihrem Ärmel.

      »Tscha, tscha!«

      Eva lächelte ihn an.

      »O.k., das eine noch, dann gehe ich wieder in die Küche.«

      Sie las das Märchen vom Fischer und dem Fisch.

      Als sie vom Sessel aufstehen wollte, nahm Grischa wieder ihren Finger. Sie spürte den festen warmen Griff seiner kleinen Hand.

      »Du

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