Windmühlentage. Katrin Köhl

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Windmühlentage - Katrin Köhl

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sie vor dem Aufzug stand, drehte sie sich noch einmal zu Eva um und winkte. Dann ging sie aufrecht, mit zügigen Schritten den Flur hinunter.

      In ihrem Zimmer setzte Eva sich aufs Bett. Sie würde in die Oper gehen! Was für ein schöner Zufall, dass die alte Dame sich ausgerechnet neben sie gesetzt hatte. Ihr fiel das Paillettenkleid aus dem Umstandsmodengeschäft wieder ein. Es war nicht gerade billig, aber für einen Opernbesuch wäre es perfekt. Bis zu ihrem Termin am Nachmittag mit Sergejs Frau hatte sie ohnehin nichts zu tun. Sie wollte das Kleid zumindest einmal anprobieren. Eva packte ihre Handtasche. Das Handy lag noch auf dem Nachttisch. Sie hob es auf, wiegte es in der Hand. Sie sollte zu Hause anrufen. Eigentlich hätte sie sich schon gestern melden müssen, damit der Vater sich keine Sorgen machte. Andererseits fuhr sie ja morgen schon zurück. Eva ließ das Telefon in ihre Tasche gleiten, schloss das Zimmer ab und ging nach unten.

      Das Kleid passte wie angegossen. Die Verkäuferin stand neben Eva am Spiegel und machte ihr Komplimente. Dann holte sie aus der Auslage im Schaufenster eine Haarspange mit einer großen roten Blume darauf. Sie steckte sie Eva ins Haar.

      »Wunderbar! Sie sehen aus wie eine spanische Tänzerin.«

      Eva lachte.

      »Wie eine Tänzerin fühle ich mich mit diesem Umfang nicht gerade. Aber das Kleid nehme ich.«

      Natürlich war die Verkäuferin ein Profi, sie wusste, wie man die Kundinnen umgarnte. Trotzdem hatte Eva das Kompliment gutgetan. Beschwingt verließ sie mit einer weiteren bunten Tüte das Geschäft. In einem Kaufhaus besorgte sie sich Lockenwickler und eine nach Rosen duftende Körpermilch. In einem Café in der Altstadt ließ sie sich nieder, bestellte etwas zu essen und streckte die Beine aus.

      Am Nachmittag machte Eva sich auf zum Theater. Im Hotel studierte sie den Stadtplan, um sicher zu gehen, dass sie die richtige Straße wiederfand. Die Eingangstür war wie am Tag zuvor offen. Im Foyer war niemand zu sehen. Eva holte sich einen Hocker hinter der Theke und setzte sich. Sie betrachtete die Bilder an den Wänden, wartete. Würde Sergejs Frau sie hier abholen? Eva schaute auf die Uhr. Es war schon kurz nach vier. Sie blickte zu der Tür, die wohl in den Theatersaal führte. Sollte sie einen Blick hineinwerfen? Vielleicht war dort jemand, den sie nach Alla fragen konnte. Sie stand auf, öffnete einen Flügel der breiten Tür. Rechts und links eines Mittelgangs standen je zehn Reihen Stühle. Auf der Bühne bauschte sich ein Berg aus blauem Samtstoff. Eva schaute sich um, konnte aber niemanden entdecken.

      »Hallo?«

      Keine Reaktion. Vielleicht hatte sie zu leise gerufen. Zögernd ging Eva ein paar Schritte durch den Mittelgang in Richtung Bühne.

      Rechts vorn, neben einer Treppe zur Bühne, sah sie eine weitere Tür, dahinter einen Flur. Von dort waren jetzt Geräusche zu hören. Eva wollte gerade noch einmal rufen, als eine große, stämmige Frau in den Saal kam. Sie hatte einen zerbeulten Karton im Arm, den sie auf die Bühne hievte.

      »Hallo, entschuldigen Sie …«

      »Ja?«

      Die Frau blinzelte zu Eva hinüber, vom Licht der Bühnenscheinwerfer geblendet.

      »Ich hatte gestern mit Sergej gesprochen. Er hat mich für heute um vier Uhr hierher bestellt. Sind Sie Alla?«

      Die Frau schnaubte.

      »Das ist typisch. Ich weiß wie immer von nichts!«

      Sie stapfte an der Bühne vorbei durch den Mittelgang zu Eva. Die Hand, die sie ihr entgegenstreckte, war kräftig, ein wenig rau.

      »Ich bin Alla. Willkommen im Arbat. Worum geht es?«

      »Das Projekt mit den spanischen Gästen – Sie brauchen eine Dolmetscherin?«

      »Ah, du musst Irina sein. Gut, dass du da bist. Was gibt‘s Neues von Natascha, warst du heute schon im Krankenhaus?«

      Sie hatte ins Russische übergewechselt. Jetzt wandte sie sich um und ging zurück zur Bühne.

      »Die Formalien können wir später regeln. Hilfst du mir mal, den Wandbehang auszubreiten?«

      Projektvorbereitung. Viel zu tun, die Zeit ist knapp, jeder packt mit an. Es war wie gestern mit Sergej. Wäre sie doch Irina! Die Freundin von Natascha müsste nicht erklären, warum sie hier war. Sie würde einfach mit anfassen, mühelos Teil der Gruppe werden, als Russin unter Russen, legitimiert durch die gemeinsame Bekannte. Eva räusperte sich.

      »Menja sowut Eva Brandes. Mein Name ist Eva Brandes.« Da Alla auf Russisch mit ihr sprach, blieb Eva ebenfalls dabei. »Ich hatte mich gestern nur kurz vor dem Regen untergestellt. So kam ich mit Ihrem Mann ins Gespräch. Irina ist nicht gekommen, und da ich Russisch und Spanisch spreche …«

      Alla hielt inne. Sie drehte sich wieder zu Eva um.

      »Oh, verzeih! Ich dachte …«

      Sie schaute Eva an, jetzt erst schien sie ihren Bauch zu bemerken.

      »Wann ist es soweit?«

      »In gut zwei Monaten.«

      Alla nickte. Eva holte tief Luft.

      »Ich kann nicht bleiben. Mein Hotel ist ausgebucht, ich konnte das Zimmer nicht verlängern und wegen der Messe gibt es wohl auch sonst nirgends etwas. Ich werde nach Hause fahren.«

      Alla machte eine wegwerfende Handbewegung. Sie setzte sich auf den Bühnenrand, strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn.

      »Einen Schlafplatz finden wir immer für dich. Zur Not kommst du zu mir und Sergej. Wird ein bisschen eng, aber das geht schon. Vielleicht könnte auch Olga …«

      Alla überlegte einen kurzen Moment, dann zuckte sie mit den Schultern, stand auf und streckte Eva die Hand hin.

      »Mir fällt schon was ein. Komm hoch! Wir schauen uns den Wandbehang an, dabei kannst du mir mehr von dir erzählen.«

      Anders als Sergej schien Alla nicht besorgt wegen Evas Schwangerschaft. Sie zog sie auf die Bühne und lachte.

      »Man wird etwas unbeweglich gegen Ende, nicht? Als ich mit Nikita schwanger war, waren wir auf Tournee in Polen. Damals war der eiserne Vorhang gerade erst gefallen. Ich weiß nicht, wie viele Kilometer wir auf den holperigen Landstraßen unterwegs waren. Und an jedem neuen Ort musste wieder das große Zelt aufgebaut werden. Das war was!«

      Alla sprach weiterhin russisch und nicht gerade langsam. Sorgen, dass Eva sie nicht verstehen könnte, schien sie sich nicht zu machen. Sie beugte sich über den Berg aus blauem Samt.

      »Hier, nimm das eine Ende und zieh es nach außen, bis zum Rand der Bühne.«

      Eva zog an dem Stoff, während Alla versuchte, in dem Gewirr eine zweite Ecke zu finden. Einen Moment arbeiteten sie schweigend.

      »Du bist keine Schweizerin, oder?«

      Eva schüttelte den Kopf.

      »Ja is Germanii. Ich komme aus Deutschland.«

      »Machst du Urlaub in Zürich?«

      Sie hatten den gesamten Behang ausgebreitet. Das glänzende Blau ergoss sich über den Bühnenboden. Im Licht der Scheinwerfer leuchtete es wie Marias Mantel

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