terrane Manifestationen. Klaus Paschenda
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Den Gedankengang führte sie dann weiter: „Es gibt eine Sichtweise, die durch Alice belegt ist, und eine andere, die in der Abbildung Bob eingenommen hat. Zwischen beiden besteht eine Verbindung: Das ist der Tisch. Wenn Alice sich mit einer Sichtweise beschäftigt, kann Bob nur die zweite sehen. Beide Sichtweisen zusammen sind ein System. Genau in dem Moment, wo Alice sich für eine Position entscheidet, hat Bob keine Wahl mehr.
Das ist das Entscheidende: Die Auswahl von Alice ist mit den Möglichkeiten von Bob verschränkt, wie man fachsprachlich sagt. Wählt Alice Sichtweise 1, bleibt Bob nur Sichtweise 2. Umgekehrt: Wählt Alice Sichtweise 2, bleibt Bob nur Sichtweise 1. Zwischen der Entscheidung von Alice und der Wahlbeschränkung von Bob vergeht keine Zeit. Aber beide betrachten den gleichen Kasten. Das Objekt ist der Anker für die Verschränkung, das Verbindende
Für das Folgende ersetzen wir jetzt das Verbindende durch die Nachricht, bleiben aber bei der räumlichen Anordnung unseres Beispiels. Wenn Alice jetzt ein Buch auf einen Tisch legt, hat sie eine bestimmte Sichtweise auf das Buch. Bob hat keine Wahl, er sieht das Buch aus einer anderen, durch das System festgelegten Perspektive. Die Sicht von Alice ist mit der von Bob zeitgleich fest verbunden.
Eine solche Verschränkung ist die Basis für den Zero-Time-Transmitter. Der sendende ZTT entspricht Alice, der empfangende ZTT ist Bob. Wenn der sendende ZTT eine Sicht der Nachricht definiert, muss Bob eine andere nehmen. Wenn es nur zwei Sichten gibt und die Sichtweise von Bob, jetzt der empfangende ZTT, bekannt ist, weiß man, was Alice gesendet hat.“
In der Folge war es ihr gelungen, mit Animationen Grundzüge der Physik dahinter zu erklären. Wie auf diese Weise eine Nachrichtenübertragung funktionierte, hatte sie grob angedeutet. Den Investoren sollte genügen, dass damit Geld zu verdienen war.
Mehr war nicht zu verraten. Hier ging es nur um die Beschaffung finanzieller Mittel für die weitere Forschung. Der Weg zu den Manifestationen blieb ihre Sache. Auf atomarer Ebene waren ihren ersten Versuche erfolgreich gewesen. Die Skalierung auf makroskopische Dimensionen schien machbar, mit beträchtlichem Aufwand. In der Theorie deuteten sich Möglichkeiten an, die sie noch nicht überblickten. Daheim in La Ferme hatten sie beim Aperitif bereits häufiger gescherzt, wer welchen Nobelpreis gewinnen würde. Ihr Bruder Maxim zitierte sich dann aus nicht existierenden Artikeln der Nature.10 Bei diesen Erinnerungen und an den Erfolg in Toronto denkend nickte Geniè trotz der quälenden Bestuhlung des Fliegers ein wenig ein.
Auch die Anonymität der Sache schien gut gelaufen zu sein. Im Vorfeld war alles über verschlüsselte Kanäle abgesprochen worden. Auf Toronto, der größten Stadt Kanadas, als Treffpunkt hatte man sich sofort geeinigt. Kanada galt als unauffälliges Land. Toronto mit seinem riesigen Einzugsgebiet gab sich sehr multikulturell, hatte aber dennoch kein übermäßiges Touristenaufkommen. Mittlerweile gab es in den Cafés auf den Islands auch für Europäer akzeptablen Kaffee. Schade, dass der Aufenthalt nicht länger gedauert hatte. Sie wäre noch gern zu den Niagara-Fällen gefahren. Wieder verfiel sie ins Träumen, kam auf Paris. Sie musste den Flieger nach Mulhouse erreichen. Dort wartete hoffentlich wohlbehalten ihr alter Peugeot 405, den ihr Vater kurz vor seinem Tod rundum restauriert hatte. Sie freute sich auf die Heimfahrt. Auch klassische Technik hatte etwas.
7 Bertrand Russell, 1872-1970, Mathematiker, Philosoph, Nobelpreis für Literatur 1950, hat sich unter anderem mit den grundlegenden Fragen nach der Erkenntnis auseinandergesetzt.
8 Russel, Bertrand: Probleme der Philosophie; Frankfurt, 9. Aufl. 1981; S. 9-13 gekürzt
9 Wir nehmen einfach an, dass ein Tisch existiert. Das nennt man hypothetischen Realismus. Aus: Vollmer, Gerhard: Evolutionäre Erkenntnistheorie; Stuttgart, 6. Aufl. 1994, S. 34ff.
10 Die Zeitschrift “Nature” ist eine führende, wöchentlich erscheinende naturwissenschaftlich orientierte Fachzeitschrift.
4 La Ferme
Marie stürmte in die große Scheune von La Ferme zu ihrem Pierre. Etwas kleiner und zierlicher als ihre Schwester Geniè, sie kam mehr nach der Mutter, aber mit dem gleichen Temperament ausgestattet, verband sie eine innige Liebe mit Pierre. Sie hatten sich in Paris kennengelernt als Marie an der École Polytechnique studierte. Während sie dort ein hervorragendes Examen in Mathematik ablegte, war Pierre nicht nur ihren Kochkünsten verfallen. Für ihn war es immer ein Rätsel, wie eine so muntere Person sich mit solcher Begeisterung in den doch sehr trockenen Höhen der Mathematik verlieren konnte. Er war eher das Gegenteil, einer von den langweilig wirkenden Experimentalphysikern, die scheinbar ausschließlich ihr technisches Gelumpe im Kopf hatten. Wahrgenommen wurde er als jemand, der mit beiden Beinen auf dem Boden des Lebens stand, am liebsten hüfthoch mit Werkzeug und Messgeräten umgeben. Einen alten ‚Franzosen‘, ein Geschenk seines Großvaters an den damals noch kleinen Pierre, hatte er meist bei sich.11
Nur zwei Umstände pflegten ein Lächeln auf sein ernstes Gesicht zu zaubern, nämlich wie jetzt, wenn seine Liebe seine Kreise störte oder wenn Hamlet, der Hofhund, um Aufmerksamkeit buhlte. Der war als Welpe praktisch zeitgleich zum Einzug von Pierre nach La Ferme gekommen. Die beiden hatten sich gleich gemocht. Für Hamlet, absolut verfressen, war das eine optimale Beziehung, denn Pierre liebte Marie und Marie hatte die Küche. Meist döste Hamlet, keine Bulldogge, sondern ein majestätischer Berner Sennenhund, vor dem alten originalen Bulldog12, der mit allerlei historischen landwirtschaftlichen Geräten, die keiner mehr benötigte, in einer Ecke abgestellt war.
In der Scheune hatte sich Pierre zwei Arbeitsplätze fürs Grobe eingerichtet. Eine Hebebühne stand ebenso zur Verfügung wie die eine oder andere Maschine zur Bearbeitung von Holz und Stahl. Das sah alles nach bäuerlicher Werkstatt des letzten Jahrhunderts aus. Vieles war noch von Maries Vater. Zwei große Bildschirme und ein offensichtlich selbst gebauter Arbeitsroboter wiesen auf die Gegenwart hin. Durch die offene Tür in den ehemaligen Hühnerstall konnte man einen Blick auf modernste Werkzeugmaschinen erheischen.
Im Moment war Pierre zur Entspannung mit der Feinabstimmung des 2,8l-Motors beschäftigt, den er in den 82er Land Rover eingebaut hatte. Der alte Landy-Motor war sehr schlapp gewesen. Demnächst würde er zusätzlich die Bremsen verstärken, damit das Kräftegleichgewicht gewahrt bliebe. Er liebte die Auseinandersetzung mit der alten Technik. Häufig fanden sich durch analoges Denken Lösungsansätze für aktuelle Probleme. Schon während seines Studiums hatte er bedauert, dass die technischen Wissenschaften überhaupt keinen Sinn für ihre eigene Geschichte besaßen und gefundene Lösungen wieder vergaßen. Sicher könnte er einen neuen KI-Allradtransporter kaufen, aber Freaks fahren freakig.
Während seine Marie sich in der Küche austobte, waren die historischen Gerätschaften sein Sandkasten. Marie, die Mathematikerin, suchte und fand den Ausgleich am Kochtopf. Manchmal sah man sie in der Küche, wie sie in einem abgenutzten Escoffier13 blätterte, um dann plötzlich zum Screen an der Wand zu stürzen, den sie dann mit Formeln verstopfte.
„Pierre, Geniè hat Vater gefunden!“
Sie riss ihn vom Laptop weg und sprang ihm an den Hals. Dieses quirlige schwarzhaarige Persönchen mit dem süßen Mund war einfach toll. Das sorgte für Anregungen einer anderen Art. Wohlig knurrend ließ er die Küsse auf sich niederprasseln. „Komm, wir trinken einen Crémant darauf.“
Pierre und Maire gingen Hand in Hand nach draußen. Unter der ehrwürdigen Platane, die mitten im Innenhof stand, spendete eine Plane einer verwitterten Sitzgruppe Schutz. Maries Bruder Maxim öffnete bereits den Crémant. Eine uralte Lichterkette voller bunter Glühbirnen dekorierte den sommerlichen Treffpunkt. Hier war man ungestört. Das Anwesen hat einen fast rechteckigen Grundriss. Scheune, Nebengebäude