Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff

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Der Seele tiefer Grund - Beate Berghoff

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schleppte sich aus dem Raum heraus und durch den Gang hinaus ins Freie. Die Wintersonne schien prächtig und Heinrich musste blinzeln, weil sie so blendete. Er sog die frische Luft ein und stellte erst jetzt fest, welch ekliger Mief im Rittersaal gewesen war. Eine Mischung aus Bier, Wein, Braten, Erbrochenem und ungelüftetem Raum, in dem vier Besoffene schnarchten. Heinrich pinkelte einfach vor die Tür. Erleichtert stand er da und hielt sein Gesicht noch ein bisschen in die Sonne. Es war Anfang Dezember, und die Sonne war seit den nebligen Herbsttagen rar gewesen. Nun schien sie in aller Pracht, und der Schnee vor ihm funkelte. Leider war etliches davon zertreten. Vermutlich war es bereits gegen Mittag, und die Leute auf seinem Gut waren schon seit Stunden mit der täglichen Arbeit beschäftigt und waren über den Schnee getrampelt.

      Heinrich ging ein paar Schritte nach hinten, wo der Schnee noch unberührt lag. Er sah ihn an spürte ein Ziehen in seiner Brust. Früher, als Kind, hatte er den frischen, funkelnden Schnee sehr geliebt. Sobald es geschneit hatte, war er hinausgerannt und hatte darin herumgegraben und war mit einem kleinen Schlitten, den sein Vater für ihn hatte bauen lassen, den Hügel hinter den Ställen hinuntergefahren.

      Heinrich sah den Schnee an und dachte an all diese alten, schönen Erinnerungen. Ganz früher waren auch seine Geschwister dabei gewesen, Karl und Cateline. Sein älterer Bruder Karl war bei einem Reitunfall gestorben, als Heinrich 9 Jahre alt gewesen war. Cateline war nach dem Tod ihrer Mutter in ein Kloster zur Erziehung gegeben worden und war mittlerweile mit einem Großcousin in Frankreich verheiratet. Heinrich hatte sie schon lange nicht mehr gesehen und beschloss, sie im Sommer zu besuchen. Er hatte ja sonst nichts zu tun. Heinrich war 26 Jahre alt und seit sechs Jahren ein Ritter. Er hatte an kleineren Kriegen und Nachbarschaftsfehden teilgenommen und sich in der Zeit dazwischen auf Turnieren bewiesen. Vor zwei Jahren war – leider – sein Vater gestorben und er hatte zurück nach Rabenegg kommen müssen, um dort den Gutsherrn zu spielen.

      Heinrich dachte nach. Er war ein miserabler Gutsherr. Die Landwirtschaft interessierte ihn einfach nicht. Das Beste am Gut war, dass es ihm Geld für seinen Lebenswandel einbrachte. Er war viel unterwegs, irgendwo war immer eine Hochzeit, ein Pferdemarkt, eine Jagdgesellschaft. Er lud auch gerne Leute zu sich ein und veranstaltete Feste und Jagden, sehr zum Missfallen seines Verwalters.

      Der Verwalter, Ulrich, war ein alter Geizkragen. Ständig rechnete er Heinrich vor, was das alles kostete und mahnte ihn zur Sparsamkeit. Heinrich hätte diese alte Spaßbremse gerne vor die Tür gesetzt, aber er hatte keine Ahnung, wie so ein Gut mit Landwirtschaft und all den abgabepflichtigen Dörfern und Weilern funktionierte, und ohne Ulrich wäre er verloren gewesen. Ulrich war ein alter Freund seines Vaters gewesen, sie hatten zusammen im Krieg gekämpft, und als Ulrich nach einem Kampf als Krüppel mit einem lahmen Bein und einer fehlenden linken Hand zurück blieb, war es für Heinrichs Vater selbstverständlich gewesen, Ulrich das Amt des Verwalters anzutragen. Er füllte dieses Amt gut aus, und so ertrug Heinrich den alten Mann und hoffte, dass er noch lange leben und ihm die ganze Verantwortung abnehmen würde.

      Heinrich ging zurück in seinen kleinen Rittersaal. Er hatte auch noch eine große Halle, aber dort aßen die Dienstboten. Er war dort nur, wenn es unvermeidlich war, mit dem Gesinde zu essen, wie an hohen Feiertagen. Wenn Heinrich viele Gäste hatten, dann aß das Gesinde anderswo, Heinrich wusste auch nicht, wo genau. Wenn Heinrich viele Gäste hatte, dann bewirtete er sie in seiner großen Halle. Aber jetzt war Winter, und es waren nur seine drei besten Freunde da und der kleine, gemütliche Rittersaal reichte allemal. Er sah die schnarchenden Männer an. Sie hatten noch die Reste vom Festmahl gestern am Gewand und teilweise im Gesicht kleben, genauso wie die Reste vom Wein und vom Bier. Sie würden heute vermutlich ein heißes Bad in Heinrichs großem Badezuber nehmen, das hatten sie dringend nötig. Heinrich liebte heiße Bäder, sie erfrischten ungemein.

      Die Männer schliefen tief, und es würde noch eine Weile dauern, bis sie endlich wach und einigermaßen ansprechbar sein würden.

      Heinrich spürte eine tiefe Unruhe in sich. Die letzten Tage hatte er nur mit seinen Freunden gesoffen und viel zu viel gegessen. Sein Magen rumorte, sein Rücken tat weh, und sein Kopf drohte ihm abzufallen vor Schmerzen. Er musste an die frische Luft und sich bewegen. Heinrich beschloss, dass er ausreiten würde. Er wusch sich oberflächlich mit kaltem Wasser, was ungemein guttat. Dann ging er in die Küche und holte sich heiße Gemüsebrühe, die er durstig trank. So fühlte er sich schon besser. Richtig essen wollte und konnte er nicht, also nahm er sich einen Kanten trockenes Brot und begann, darauf herum zu kauen. Dann ging er wieder und bemerkte gar nicht, wie die Mägde erleichtert aufatmeten, als er verschwand.

      Er ging in seine Kammer und zog sich für den Ausritt warm an, schließlich war es kalt draußen. Dann ging er in den Stall. Es waren nur wenige Leute da, drei Knechte dösten im Stroh. Wo waren die Leute alle? Ach ja, heute war ja Sonntag, und die Leute mussten außer der Stallarbeit nichts tun. Es war Sonntag, Heinrich und seine Freunde hatten also die Messe verpasst, aber der Pfaffe, Bruder Alban, hielt am Abend meistens nochmal eine Messe ab, weil sich Heinrich und seine Gäste selten pünktlich aus dem Bett quälen konnten. Als die Knechte ihn sahen, sprangen sie auf, rissen ihre Mützen herunter und verbeugten sich. Dann schauten sie stumm auf den Boden.

      Heinrich gab den Befehl, sein Pferd zu satteln, und einer der Knechte tat es sofort. Er sattelte Juno. Heinrich hatte noch zwei Reitpferde, Alba und Diana, aber mit Juno ritt er am liebsten aus. Leider zu selten. Heinrich überlegte, wann er das letzte Mal reiten gewesen war. Ob wohl jemand seine Pferde bewegte, wenn er es nicht tat? Er stellte fest, dass er keine Ahnung hatte, was in seinem Gut eigentlich den ganzen Tag passierte. Aber es war ja auch egal, er hatte Leute dafür.

      Der Knecht war fertig und verschränkte die Hände, damit Heinrich aufsteigen konnte, was er auch tat. Ausreiten war eine gute Idee, das würde seinen schmerzenden Kopf freiblasen. Er ritt hinaus in den Hof, wo Ulrich ihm über den Weg lief. Er zog die Augenbrauen hoch und fragte: „Wollt Ihr allein ausreiten? Es wird schneien, nehmt doch einen von Euren Freunden oder einen Reitknecht mit.“

      Heinrich war genervt, wie immer, wenn der Verwalter ihn so schulmeisterlich behandelte. Von oben herunter meinte er: „Ich war schon mal ausreiten, Ulrich, ich weiß wie das geht. Aber trotzdem vielen Dank“.

      Dann ritt er los, durchs Tor hinaus Richtung Wald.

      Es war wunderschön. Eigentlich liebte Heinrich die Stille, aber in den letzten Tagen hatte er keine Minute Ruhe gehabt. Da er die meistes Zeit betrunken gewesen war, hatte er es gar nicht so bemerkt, aber jetzt, wo er in der Stille war, merkte er, wie sehr er sie vermisst hatte.

      Heinrich fühlte, wie sein Herz aufging, als er durch den verschneiten Wald ritt, erst im Schritt und dann im Trab. Galoppieren traute er sich noch nicht, weil er unter dem Neuschnee eine Eisschicht vermutete und er nicht wollte, dass Juno ausrutschte. Er ritt in Stille, bis er merkte, wie er zur Ruhe kam. Das sollte er öfter tun, und Heinrich nahm sich vor, nicht mehr ganz so viel zu trinken und lieber jeden Tag auszureiten. Er musste zwar nicht mehr auf Turnieren kämpfen, aber er wollte nicht so fett und unbeweglich enden wie sein Vater. Außerdem waren seine Freunde Albrecht, Leonhard und Gottfried immer noch Turnierkämpfer, und denen würde es sicher guttun, wenn sie auch im Winter Bewegung bekamen.

      Heinrich ritt einen großen Bogen. Er würde nicht im Wald zurückreiten, sondern am Bach entlang, der bis zu seinem Gut führte.

      Heinrich hatte keine große Burg wie Grafen oder Herzöge. Eigentlich war es ursprünglich nur ein Wohnhaus auf einem Hügel mit Stallungen und einer Mauer drumherum gewesen. Das Wohnhaus war vergrößert worden, die Ställe auch, es waren noch zwei Türme zur Beobachtung des Umlandes und der Aufbewahrung des Getreides gebaut worden. Sein Vater hatte Pferde gezüchtet und beritten, also gab es neben den Ställen für Kühe, Schweine, Schafe, Hühner und Gänse auch zwei große Pferdeställe, von denen einer halbverfallen war, und Koppeln und Reitplätze. An Pferden gab es nur noch eine Handvoll Reitpferde und ein paar kräftige Arbeits- und Zugpferde.

      Um

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