Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff

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Der Seele tiefer Grund - Beate Berghoff

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werden, aber, so fand Heinrich, es war schon erstaunlich, was Menschen alles aushalten konnten. Wenigstens hörte die Blutung auf.

      Heinrich legte sich seitlich auf die Unterlage aus Holzstücken, er war erschöpft von den Schmerzen und der Kälte. Er rutschte so nah wie möglich mit seiner Vorderseite ans Feuer. Plötzlich spürte er, wie es hinter ihm auch warm wurde. Martin hatte sich hinter ihn gelegt und presste sich ganz eng an seinen Rücken. Was tat er da? Warum tat er das? Plötzlich wurde Heinrich klar: Martin wärmte ihn mit seinem Körper. Er verstand diesen Mann immer weniger.

      Dann wurde er ruhiger, er spürte die Wärme, und der Schmerz ließ langsam nach, wenn er sich nicht bewegte. Es pochte stark im Bein, aber die grauenhaften Schmerzen von vorhin verschwanden. Die Erschöpfung forderte ihren Tribut, und Heinrich nickte langsam ein.

      Als er wieder aufwachte, lag Martin immer noch hinter ihm und vor ihm brannte das Feuer. Heinrich konnte nicht behaupten, dass ihm wirklich warm war, aber kalt war es auch nicht mehr. Er setzte sich auf, und falls Martin auch geschlafen haben sollte, bemerkte Heinrich es nicht, denn er richtete sich auch sofort auf.

      Heinrich spürte seinen Hunger. Er hatte ja nicht gefrühstückt, nur ein paar Bissen Brot hinuntergewürgt. Martin war aufgestanden und legte neues Holz ins Feuer. Heinrich war zu hungrig, um stolz zu sein, und so fragte er: „Hast Du was zu essen?“ Martin sah ihn nicht an, als er den Kopf schüttelte und meinte: „Nein. Es ist Sonntag. Am Sonntag habe ich nie was zu essen.“ Heinrich schluckte schwer. Seine eigene Rache wurde ihm jetzt zum Verhängnis. Und er hatte ein ungutes Gefühl. Hunger fühlte sich übel an, und Martin hatte das jede Woche. Falls er hier lebend rauskam, würde er Martin das Hungern erlassen, das schwor er sich.

      Martin setzte sich und schaute ins Feuer. Dann meinte er: „Wir müssen von hier verschwinden, ein Schneesturm zieht auf.“ Heinrich blickte nach draußen. Er wusste nicht, woran Martin den drohenden Schneesturm erkennen konnte, aber er musste es wohl so hinnehmen. Martin fuhr fort. „Eure Kleidung ist noch nicht trocken, die könnt Ihr nicht anziehen. Ihr könnt meinen Mantel anlassen, und die Pferdedecke haben wir ja auch noch. Das muss reichen bis Rabenegg. Wir beeilen uns.“

      Er stand auf, löschte das Feuer mit Schnee und hievte Heinrich auf den Schlitten. Schnell breitete er die kratzige Pferdedecke über ihn und nahm das Halfter des Pferdes, das brav loslief. Martin hatte nur seine Hose und sein Hemd an und Heinrich sah, wie er vor Kälte zitterte und seine Finger langsam blau wurden, aber er lief stoisch weiter. Es dauerte nicht lange, und ein sehr unangenehmer Wind kam auf. Heinrich zog sich die Decke zitternd über den Kopf. Hoffentlich, hoffentlich ging alles gut. 20 Gehminuten vor Rabenegg kam dann der Schneesturm. Martin und das Pferd kämpften sich vorwärts, während der Wind ihnen um die Ohren pfiff und der Schnee vor ihren Beinen immer höher wurde. Heinrich hätte den Weg nicht mehr gewusst, aber Martin und das Pferd waren ihn so oft gegangen, dass sie ihn blind gefunden hätten. Heinrich verkroch sich noch mehr unter der Decke, er war froh, dass er da nicht im bloßen Hemd durch den Schnee stapfen musste, und das alles noch mit leerem Magen.

      Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, kamen sie an. Die Wachen hatten die beiden schon von weiten gesehen, und Ulrich und noch ein paar Männer liefen ihnen entgegen. Einer der Leute nahm Martin das Pferd mit dem Schlitten ab, und Ulrich legte ihm seinen eigenen Mantel um und hakte ihn unter, anscheinend gaben Martins Beine nach.

      Heinrich hatte noch nie in seinem Leben solch tiefe Dankbarkeit empfunden als in dem Moment, als der Schlitten durch das Tor fuhr. Er war gerettet. Vermutlich würde er eine Erkältung bekommen und das Bein musste heilen, aber er würde nicht alleine in der Wildnis erfrieren.

      Ulrich erzählte ihm unterwegs, dass er einen Suchtrupp zusammengestellt hatte, als der Schneesturm aufgezogen war, deswegen waren die Männer gleich zur Hand gewesen. Zuhause trugen sie ihn gleich in seine warme Kammer ins Bett. Erschöpft sank er in seine Kissen. Er klopfte, und eine Magd brachte ihm warme Suppe, gute Würste und Brot. Dazu gab es keinen Wein, sondern warme Milch. Das war Heinrich nur recht, er war so durchgefroren.

      Er machte sich über sein Essen her, als es wieder klopfte und der Verwalter hereinkam. Heinrich wappnete sich. Vermutlich würde er jetzt zu hören bekommen, dass Ulrich es ihm schließlich gleich gesagt hatte und noch irgendwelche anderen Vorwürfe.

      Doch Ulrich sagte etwas ganz anderes: „Heute ist Sonntag. Gestattet Ihr, dass ich Martin trotzdem etwas zu Essen gebe? Er ist sehr erschöpft. Und vielleicht könntet Ihr euch sogar dazu durchringen, ihm die Arbeit heute zu erlassen? Dann kann er sich auch irgendwo hinlegen und sich wärmen.“

      Heinrich starrte ihn verlegen an. Vor ein paar Stunden erst hatte er um eine zweite Chance gebettelt und sich vorgenommen, ein besserer Mensch zu werden, und schon jetzt hatte er seinen Retter wieder vergessen. Er nickte: „Ja. Ja, natürlich, gebt ihm was Gutes zu Essen. Und natürlich kann er sich hinlegen, heute, morgen, die ganze Woche, wie Ihr es für nötig haltet.“

      Ulrich nickte nur und ging wieder. Heinrich war zu erschöpft zum Denken. Er aß fertig und überließ sich dann dem Schlaf in seiner warmen Kammer.

      Als er am anderen Morgen wieder aufwachte, hatte Heinrich üble Kopfschmerzen, seine Nase lief und sein Hals kratzte unangenehm. Außerdem drückte seine Blase. Heinrich wollte aufstehen, um sich zu erleichtern, also schlug er die Decke zurück und wollte die Beine aus dem Bett heben. Ein furchtbarer Schmerz durchfuhr ihn. Der Schmerz war so schlimm, dass er aufschrie und keuchend ins Bett zurücksank. Langsam kam es Heinrich zurück ins Bewusstsein, dass er sich das Bein gebrochen und aufgeschnitten hatte. Ernüchterung machte sich breit, was sollte er nun tun? Er konnte nicht aufstehen und musste doch dringend pinkeln.

      Wenigstens darüber musste er sich keine Gedanken machen, denn die Tür ging auf und eine Magd kam herein. Sie sah ihn kurz unsicher an, anscheinend wusste sie nicht, wie sie sich verhalten sollte. „Ihr habt gerufen, Herr?“ Heinrich war überrascht. Er hatte gerufen? Sie musste wohl seinen Schmerzensschrei gehört haben.

      Kurzangebunden sagte er: „Ich muss pinkeln. Außerdem soll der Verwalter kommen.“

      Sie nickte, brachte ihm einen Topf ans Bett und blieb stehen. Heinrich wartete, dass sie ging, aber das tat sie nicht. Anscheinend wollte sie hierbleiben und ihm helfen. Das kam gar nicht in Frage. Ziemlich unwirsch nahm er ihr den Topf aus der Hand und befahl: „Geh und bring mir den Verwalter. Und was zu Essen.“ Sie meinte nur leise: „Ja, Herr“ und ging.

      Unter großen Schmerzen zog Heinrich sich hoch und setzte sich auf. Er versuchte, sich den Topf zwischen die Beine zu schieben, was eine mühsame Plackerei war. Er fluchte und erleichterte sich, die Hälfte ging daneben und landete im Bett. Heinrich war so frustriert, dass er den Topf zornig an die Wand warf.

      Als sein Verwalter eintrat, sah er sich erst einmal stumm die ganze Bescherung an: Heinrich fluchend im nassen Bett, ein zerschlagener Topf an der Wand mit einer stinkenden Lache auf dem Boden.

      Es dauerte eine ganze Weile, bis die Sauerei beseitigt war. Die Scherben wegräumen und die Lache aufwischen, das ging recht schnell, aber ein Bettlaken zu wechseln, auf dem jemand mit einem gebrochenen Bein lag, das war schon schwerer. Aber sie schafften es und Heinrich war am Ende. Die Schmerzen zermürbten ihn, sein Kopf tat weh, genauso wie seine Glieder. Vermutlich würde er krank werden.

      Und so kam es auch. Im Laufe des Tages zog seine Nase immer mehr zu, er begann zu husten. Hinter seinen Augenbrauen begann es furchtbar zu stechen, v.a. bei jeder Bewegung des Kopfes. Heinrich lag einfach nur noch da und versuchte, den Tag zu überstehen. Gegen Mittag kamen seine Freunde, um ihm Gesellschaft zu leisten, aber Heinrich war nicht sehr gesprächig. Irgendwann zogen sie wieder ab, vermutlich machten sie mit den Saufgelagen weiter.

      In den nächsten Tagen bekam Heinrich nur seinen Verwalter Ulrich zu sehen und die Magd, die ihn versorgte.

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