Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff

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Der Seele tiefer Grund - Beate Berghoff

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aus seinen Händen und sah Heinrich ziemlich beunruhigt an. Dann meinte er:

      „Martin ist Euer Halbbruder.“

      Heinrich braucht ein paar Sekunden, um zu verstehen, was der Verwalter ihm da gesagt hatte. Er verstand, aber glauben konnte er es nicht. „Was? Was redet Ihr da? Mein Vater hätte doch niemals einen seiner Bastarde so übel misshandelt. Wozu auch?“ Ulrich wurde noch blasser. Dann stand er auf und ging zum Tisch, um sich ein Glas Wein einzuschenken. Unschlüssig drehte er das Glas in seiner Hand und meinte versonnen:

      „Er ist auch nicht der Bastard Eures Vaters.“

      Stumm starrte Heinrich ihn an. Seine Gedanken rasten und überschlugen sich. Das konnte einfach nicht sein.

      Ulrich war froh, dass der Herr nichts nach ihm warf und auch nicht herumbrüllte. Er blieb am Tisch stehen, in sicherem Abstand. Heinrich musste es erfahren, besser gleich. „Eure Mutter war tatsächlich schwanger von der Vergewaltigung. Aber sie hat sich nicht das Leben genommen, sondern hat das Kind geboren und es zu Pflegeeltern gegeben. Gestorben ist sie erst später, als…“

      Er brach ab, als er Heinrichs Gesicht sah. Da kam auch schon sein Trinkbecher angeflogen, er verfehlte Ulrich nur knapp und krachte hinter ihm gegen die Wand. Rot vor Wut schrie Heinrich: „Raus! Ich dulde keine Lügen über meine Mutter! Schert Euch zum Teufel!“

      Ulrich stellte wortlos das Glas ab und ging. Heinrich blieb schwer atmend in seinem Bett liegen und schrie dem Verwalter noch eine Zeitlang üble Beleidigungen hinterher. Irgendwann konnte er nicht mehr schreien und lag vor Empörung zitternd in seinem Bett. Sein Vater hatte ihm erzählt, die Mutter hätte sich wegen der Schande das Leben genommen. Sein Vater hatte ganz sicher nicht gelogen, sein Vater war ein Ehrenmann gewesen.

      Heinrich versuchte, sich zu beruhigen, aber es ging nicht. Warum erzählte sein Verwalter diese Geschichten? Wollte er Mitleid für Martin schinden? Das war gründlich danebengegangen. Er würde nicht zulassen, dass irgendwer seine Mutter verleumdete und ihr ein uneheliches Kind nachsagte. Er konnte sich nicht mehr gut an seine Mutter erinnern, alles war verblasst und so furchtbar weit weg.

      Fluchend schon Heinrich sich aus dem Bett, griff nach seinem Stock und humpelte mühsam zur Truhe an der anderen Wand. Er öffnete sie und kramte darin herum, bis er das Portrait seiner Mutter in Händen hielt. Sein Vater hatte es vor langer Zeit von einem guten Maler anfertigen lassen. Mit dem Bild in der Hand humpelte er zurück ins Bett. Er legte sich einigermaßen bequem hin und studierte das Portrait liebevoll, wie schon so oft. Er sog alle Einzelheiten auf und genoss jede kleine Erinnerung, die er spürte. Schon oft hatte er das getan, aber immer nur heimlich. Weibische Gefühle und Trauer standen einem edlen Ritter nicht gut zu Gesicht.

      Wie so oft schon schaute er das Bild an und blieb dann an den wunderschönen blauen Augen seiner Mutter hängen. Heinrich erstarrte. Es waren Martins Augen.

      Erschrocken ließ er das Bild aufs Bett fallen. Sein Herz klopfte so schnell, dass er dachte, es würde zerspringen. Er hatte Martins Augen vor einigen Wochen in der kleinen Höhle am Bach gesehen und sich gewundert, warum sie ihm so bekannt vorgekommen waren. Damals hatte er gedacht, es wären die Augen des Vergewaltigers gewesen. Doch, so erkannte Heinrich jetzt, er hatte sich geirrt. Es waren die Augen seiner Mutter. Ulrich hatte also rechtgehabt.

      Schwer atmend kämpfte Heinrich um seine Fassung. Seine Mutter hatte also das Kind der Schande geboren. War sie daran gestorben? Warum hatte sein Vater ihm das nicht gesagt? Er grübelte pausenlos und fand doch keine Antwort.

      Als nach langer Zeit die Magd kam, um ihn zu versorgen, trug Heinrich ihr auf, den Verwalter zu schicken.

       Kapitel 3: Alleine mit der Schuld

      Bald darauf klopfte es, und Ulrich kam herein. Er sah angespannt aus. In sicherer Entfernung blieb er stehen und meinte: „Ihr habt mich rufen lassen? Braucht Ihr etwas?“ Heinrichs Gesicht war eine Maske aus Stein, als er befahl: „Setzt Euch.“

      Ulrich setzte sich an den Tisch und wartete. Heinrich spürte, dass er gar nicht wirklich wissen wollte, was passiert war, aber es musste wohl sein. Zögernd fragte er: „Wie ist meine Mutter gestorben, und warum? War es im Kindbett?“

      Ulrich schüttelte stumm den Kopf und sah so kummervoll dabei aus, dass es Heinrich das Herz zusammenzog. „Was war es dann? Mein Vater hat gesagt, sie hätte sich das Leben genommen.“ Der Verwalter schluckte schwer. Dann meinte er: „Ich hatte gedacht, Ihr wisst es. Jeder hier weiß es.“

      Heinrich schloss die Augen. Alle außer ihm.

      Die Männer schwiegen eine Weile, dann nahm Heinrich allen seinen Mut zusammen. „Nun?“

      Ulrich räusperte sich. Am liebsten wäre er jetzt ganz weit weg gewesen. Er überlegte. Leider gab es niemand anderen, der Heinrich die Wahrheit ins Gesicht sagen konnte, also musste er wohl oder übel in den sauren Apfel beißen.

      „Wie gesagt, Eure Mutter war schwanger von den Vergewaltigungen. Sie hat mir erzählt, dass es mehr als einer war, deswegen weiß niemand, wer von ihnen Martins Vater war. Bei der Befreiung war sie bereits hochschwanger, sonst hätte sie das vielleicht anders lösen können, hm, also, Ihr wisst schon.“

      Heinrich wusste, was er meinte. Sicherlich wäre das das Beste gewesen für alle Beteiligten.

      „Euer Vater ist vergangen vor Kummer und Sorge. Er hat Eure Mutter so sehr geliebt und als er sie in ihrem Zustand gesehen hat, da hat er…. er hat etwas überreagiert.“

      Überreagiert? Was konnte das wohl gewesen sein? Heinrich wollte gar nicht fragen. Der Verwalter fuhr fort:

      „Als das Kind dann geboren war, hat Eure Mutter es gleich nach der Geburt ihrer Schwester mitgegeben, damit sie es zu Pflegeeltern bringt. Das hat sie auch getan, sie ist bei Nacht und Nebel aufgebrochen. Als Euer Vater das herausgefunden hat, war er furchtbar wütend. Er hat gedacht, dass sie das Kind liebte, dass es ihr wichtig wäre, dass sie es schützen wollte. Er hat sich in einen Wahn hineingesteigert und gedacht, sie hätte den Vergewaltiger und auch sein Kind geliebt.“

      Heinrich wusste, was er mit Wahn meinte. Sein Vater hatte auch am Ende seines Lebens panische Angst vor einem Überfall gehabt. Irgendwie war es sein Wahn, dass jemand ihn angreifen würde. Niemand hatte ihm das ausreden können. Er hatte öfter solche Wahnideen gehabt.

      Trotzdem verstand Heinrich nicht. Er fragte nach: „Aber meine Mutter hat doch das Richtige getan? Was hätte mein Vater denn mit dem Säugling anfangen können?“

      Ulrich sah sehr traurig aus. Heinrichs Vater war sein Freund gewesen, und er hatte ihm immer treu als Verwalter gedient, aber seine Unbeherrschtheit und Grausamkeit war legendär gewesen. Leise meinte er: „Er wollte das Kind töten, um seine Genugtuung zu haben.“

      Heinrich schauderte. Er war im Krieg gewesen und hatte viel Übles getan, aber Kinder hatte er nie töten können. Ulrich sprach weiter:

      „Als Euer Vater herausgefunden hat, dass das Kind nicht mehr da war, hat sich sein Zorn auf Eure Mutter gerichtet. Er hat sich in die Idee verrannt, dass sie dem Vergewaltiger zärtlich zugetan war und nun sein Kind schützen wollte. Er hat einfach nicht erkannt, dass fast jede Mutter ihr Kind schützen würde, ob sie es nun freiwillig ausgetragen hat oder nicht. Wenn er einfach Ruhe gegeben hätte, dann wäre alles so einfach gewesen. Nichts wäre passiert.“

      Heinrich staunte, denn Ulrich kämpfte mit den Tränen. Er hatte seinen Verwalter noch nie weinen oder die Fassung verlieren sehen. Sein Brustkorb wurde eng. Die Wahrheit

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