Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff

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Der Seele tiefer Grund - Beate Berghoff

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geheiratet hatte. Ob sie wohl noch lebte?

      Martin ließ seinen Blick wieder über das Grab schweifen, und dann weiter zu Heinrich. Heinrich schien tief in ein Gebet versunken und Martin versuchte auch, zu beten. Er beschloss, für seine Eltern und seine Geschwister zu beten. Sicherlich waren sie im Himmel, und das gab ihm Trost. Seine Eltern waren gute Leute gewesen, sie hatten nichts zu befürchten im Jenseits.

      Er hörte ein Geräusch und drehte den Kopf. Heinrich weinte! Zuerst wusste Martin nicht, was er tun sollte, dann legte er ihm scheu seine Hand auf den Arm.

      Heinrich sah in an und schluchzte: „Ich vermisse sie so. Und ich kann gar nicht richtig beten, weil mein Vater auch dort beerdigt ist. Er hat es nicht verdient, neben meiner Mutter zu liegen, er hat sie umgebracht!“

      Martin schluckte. Ja, es war wohl so. Heinrichs Vater hatte zwei Mütter auf dem Gewissen: die von Heinrich und auch die Seine. Was für ein Ungeheuer.

      Er hätte Heinrich gerne in den Arm genommen, wagte es aber nicht. Er kam jedoch näher, legte seinen Arm auf Heinrichs Rücken und blieb einfach stehen, bis er sich ausgeweint hatte. Irgendwann wischte Heinrich sich mit seinem Ärmel den Schnodder aus dem Gesicht und begann, Martin über das Grab zu erzählen. Die Marienstatue und der Rosenkranz aus Muscheln waren aus dem Heimatland seiner Mutter, der Bretagne. Auch die Steine waren von dort, es war rosa Granit.

      Heinrich erzählte Martin von der Bretagne, vom Essen dort, von der Musik, von den Leuten, vom Duft der Blumen, von den großen Steinen aus alter Zeit, vom Meer und vom Wind, vom Geschrei der Möwen und von den unglaublich schönen Sonnenuntergängen über den Felsen am Meer. Die Sehnsucht klang aus seinen Worten und Martin sehnte sich auch nach diesem schönen Land, ohne es zu kennen. Vielleicht hatte ihm die Frau, die ihn geboren hatte, diese Sehnsucht nach der Heimat ins Herz gepflanzt. Er sagte Heinrich das auch so, und Heinrich versprach, mit ihm eines Tages nach Frankreich zu reisen und mit ihm zusammen die Bretagne zu besuchen. Sie würden im Meer baden und Muscheln suchen, frischen Meeresfisch essen und am Abend wunderschöner Musik zuhören.

      Frankreich war das Heimatland der Troubadoure gewesen, und viele Edelmänner dort waren stolz darauf, selbst zu musizieren. Heinrich erzählte dem hingebungsvoll lauschendem Martin von den Kreistänzen und der Musik dazu, gespielt mit Sackpfeife und Schalmei oder Flöten und Trommeln.

      Heinrich hörte gar nicht mehr auf zu reden und schwärmte Martin von den frischen und süßen Früchten dort vor, es gab Nektarinen, Aprikosen, Trauben, Erdbeeren, Pfirsiche, Himbeeren, Zuckermelonen und eine Frucht, die Martin bis dahin nur als getrocknetes verklebtes Etwas kannte: Feigen. Laut Heinrich schmeckten frische Feigen süß und unglaublich gut, man konnte sie direkt vom Baum pflücken und in den Mund schieben.

      Und natürlich war der Wein dort besser und nicht so ein saures Gesöff wie Zuhause.

      Heinrich schwärmte und erzählte, und Martin hörte ihm staunend zu. So hatte er Heinrich noch nie erlebt, so begeistert und frei. Fast war es Martin, als könnte er seinen Halbbruder sogar mögen, irgendwann. Vielleicht war er ja wirklich ganz nett, vielleicht würde man ihm wirklich trauen können, vielleicht würden sie tatsächlich Brüder sein.

      „…. können wir das dann üben, oder?“

      Martin wurde aus seinen Gedanken gerissen. Anscheinend hatte Heinrich ihm eine Frage gestellt, und er wusste aber nicht, worum es ging. Also fragte er:„Was können wir dann üben?“

      „Na, bretonisch. Wenn wir nach Frankreich reisen, dann musst Du doch bretonisch können.“

      „Ich dachte französisch?“

      Heinrich lachte. „Nein, in der Bretagne wird bretonisch gesprochen. Aber französisch kann ich auch, ich kann Dir beides beibringen.“

      Martin nickte. Das Glück kam gefährlich nahe.

       Kapitel 8: der Freund aus Kindertagen

      Bereits am gleichen Tag begann Heinrich, mit seinem Halbbruder Französisch und Bretonisch zu üben. Seine Mutter hatte Bretonisch mit ihren Kindern gesprochen, doch sie hatte ihren eigenen Beichtvater aus Frankreich mitgebracht, der die Kinder auch in Französisch unterrichtete, sogar nach ihrem Tod. Er übte auch mit ihnen, Französisch zu schreiben, was Heinrich als unsäglich schwierig in Erinnerung hatte. Er hatte wohl auch einmal gelernt, in Bretonisch zu schreiben, aber das konnte er nicht mehr.

      Er übte also Wörter und Redewendungen mit Martin, in Französisch und dann in Bretonisch. Die französischen Wörter schrieb Martin auch auf seine Schiefertafel. Es war mühselig. Latein fiel Martin leicht, es war eine logische und strukturierte Sprache. Französisch war schon deutlich schwerer, aber die Sprache hielt sich mit ihrer Logik und ihren Wörtern doch nah am lateinischen Vorbild. Aber Bretonisch war wirklich schwer. Es glich dem Lateinischen überhaupt nicht, und so manches Mal seufzte Martin verzweifelt. Es ging sehr langsam, aber, so tröstete Heinrich ihn, sie hatten ja Zeit. Dieses Jahr würden sie nicht in die Bretagne kommen, sein frisch verheiltes Bein würde noch keine mehrwöchige Reise auf dem Pferd durchhalten. Sie könnten frühestens im Jahr drauf aufbrechen, und bis dahin würde Martin sicher gut Französisch und Bretonisch sprechen.

      Die nächsten Tage hielt Heinrich täglich Unterricht. Er freute sich schon darauf, sich mit Martin irgendwann in seiner Muttersprache unterhalten zu können. Er traf bei Festen und Märkten und Jagdpartien immer mal wieder Leute aus Frankreich und sprach Französisch oder Bretonisch mit ihnen, so dass er es nicht verlernte. Hier am Gut konnte bis jetzt niemand Französisch sprechen, aber das würde sich bald ändern.

      Jeden Vormittag verbrachte Heinrich also mit seinem Verwalter, während Martin bei Bruder Alban war. Nach dem Mittagessen gingen sie zu den Pferden und ritten oft eine Runde aus, dann folgte der Sprachunterricht, und später kam Alban zum Singen. Es war perfekt.

      Oder fast perfekt. Immer wieder dachte Heinrich an seinen Traum, wieder Pferde zu bereiten und zu züchten. Martin sollte ihm helfen, aber Martin war noch nicht gut genug. Heinrich hoffte, dass sein Halbbruder mit der Zeit immer besser werden würde, aber tief drin wusste er, dass Martin seine große Leidenschaft für Pferde vermutlich nicht teilte.

      Der April ging zu Ende, der Mai kam. In der Nacht zum ersten Mai wurde gefeiert nach altem Brauch. Eine Birke wurde aufgestellt, um die herum in der Nacht getanzt wurden. Die Leute legten Besen und Maibüschel aus und knallten mit Peitschen, um die Unholde fernzuhalten. Ebenfalls wurde ein Feuer entzündet, um die bösen Geister zu vertreiben.

      Bruder Alban blieb dem Fest fern, er war jedes Mal erzürnt über die heidnischen Bräuche. Jedoch musste er sich damit abfinden, dass die jeweiligen Herren von Rabenegg gerne Feste hielten, die seit jeher gefeiert wurden. Heinrich verstand nicht, warum er seinen Leuten die unschuldige Freude nehmen sollte. Die Leute arbeiteten so viel, da sollten sie auch feiern dürfen. Außerdem waren die Dinge schon immer so gemacht worden.

      Es gab gutes Essen, ein Ochse wurde am Spieß gegrillt, es gab Bier und die Leute tanzten fröhlich. Heinrich wusste, dass gut neun Monate nach der Walpurgisnacht für gewöhnlich deutlich mehr Kinder in den Dörfern und Weilern zur Welt kamen als sonst. Auch das stieß Alban sauer auf, für ihn hätte es mehr Sinn gemacht, wenn die Leute in der Hexennacht zum Beten und Fasten in die Kirche kommen würden.

      Aber er wusste, er würde am nächsten Tag, am Tag der Heiligen Walpurgis, eine besonders heilige und lange Messe feiern. Dann würden sie zwei Walpurgisfeuer anzünden, zwischen denen alle Gutsbewohner, Herren und Dienstboten, durchgehen mussten. Immerhin war die Heilige Walpurgis die Schutzheilige gegen Pest, Husten und Tollwut. Jeder wusste, dass der Gang zwischen zwei geweihten Walpurgisfeuern vor diesen Krankheiten schützen würde. Für Alban war es wichtig,

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