Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff

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Der Seele tiefer Grund - Beate Berghoff

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neugierig, was er da tat.

      Leise, um die Pferde nicht zu erschrecken, kam Heinrich näher. Frustriert musste er feststellen, dass der einzige greifbare Knecht ausgerechnet der war, den er aus dem Kopf haben wollte. Da stand, hochkonzentriert an der Arbeit, Veit mit seinen Fußketten. Heinrich wollte langsam rückwärts weg gehen und sich den anderen Pferdeknecht schnappen, der bald mit dem Wasser wiederkommen musste. Aber sein Pferd, Alba, hatte ihn gesehen, schnaubte freudig und kam näher.

      Veit drehte sich um und fuhr entsetzt zusammen. Für ein paar Momente starrte er den Herrn mit aufgerissenen Augen an, bevor er sich fing und den Kopf senkte, so wie es sich gehörte. Heinrichs Frust stieg an. Er wollte einfach nur ausreiten. Veits Reaktion war so ermüdend. Er wollte das alles nicht mehr. Die Leute sollten sich normal verhalten und nicht so tun, als wenn er ein Ungeheuer wäre.

      Ein Ungeheuer.

      Heinrich musste an das denken, was ihm der Verwalter vorhin erzählt hatte. Veit hatte Übles erfahren, aber doch nicht von ihm. Ja, er war schadenfroh, als er die Fußketten bekam und nicht mehr reiten konnte, aber er selbst hatte Veit nichts getan. Er bemerkte, dass er kurz davor war, die Nerven zu verlieren. Zuviel brodelte in ihm.

      Heinrich trat zwei Schritte von Veit weg und meint nur kurzangebunden: „Sattle mir mein Pferd“.

      Veit nickte leicht, sagte nichts weiter und holte Alba von der Weide. Sie folgte ihm sofort, schmiegte ihren Kopf an seine Wange. Veit ging mit dem Pferd Richtung Stall, seine Fußketten machten ein feines, schepperndes Geräusch.

      Heinrich ging hinterher. Er musste fort von hier! Wohin er auch kam, wurde er mit den Schatten der Vergangenheit konfrontiert. Gerade erst hatte er das eine große Unrecht ausgebügelt und sich mit Martin zusammengerauft, nun wurde er mit dem nächsten großen Unrecht konfrontiert. Heinrich hatte keine Lust mehr. Veit richtete geübt das Pferd her. Er vermied jeglichen Augenkontakt und versuchte einfach nur, unauffällig und schnell zu sein. Je schneller der Herr wieder weg war, desto eher konnte er aufatmen. Veit war froh, dass der junge Herr Heinrich so selten in den Ställen auftauchte. Er war ein verwöhntes reiches Söhnchen, dem sein Gut egal war. Hauptsache, es brachte genug Geld, um ihm sein faules Leben zu ermöglichen. Es war ungerecht, dass jemand wie Heinrich dieses Gut geerbt hatte. Aber was war nicht ungerecht?

      Veit liebte die Pferde und konnte gut mit ihnen umgehen. Und er war der Beste gewesen, der die Pferde bereiten und ausbilden konnte. Was könnte man mit dieser Pferdezucht alles machen! Welche grandiosen Pferde könnten sie wieder verkaufen! So wie früher. Schmerzlich zog es in seiner Brust.

      Veit ließ den Gedanken fallen, was ihm gut gelang. Er hatte lange geübt und konnte Gedanken und auch Gefühle vorübergehend einfach wegdrängen. Er konnte kurzfristig Ruhe schaffen in seinem Kopf und Denken und Fühlen abwehren und sich dann langfristig in seinen Fantasiewelten vergraben. Ohne diese Fähigkeit wäre er wohl draufgegangen in den letzten Jahren, die so erfüllt waren von Gewalt, Demütigungen und dieses entsetzlich…. Halt!

      Veit stoppte sich selbst. Nur nicht daran denken! Er versuchte, einen Tag nach dem anderen zu leben, sich immer auf die nächste Arbeit zu konzentrieren. Die Leute, die ihm so zugesetzt hatten, waren nicht mehr hier. Die anderen Dienstboten mieden ihn als Verräter, aber hatte sich an das Alleinsein gewöhnt. Er machte seine Arbeit und war froh, wenn ihm keiner zu nahekam. Er war froh, wenn ihn niemand anfasste. Außer den Pferden und den anderen Tieren. Sie gaben ihm viel Trost und Wärme. Nur schade, dass er nicht mehr reiten konnte. Er fühlte das altbekannte schmerzhafte Ziehen im Herz, und stellte mit viel Willenskraft dieses Gefühl ab. Dieses Ziehen im Herz, das wusste er, das konnte ihn vernichten. Er zwang sich selbst zur Ruhe, führte das Pferd die paar Schritte vor, verbeugte sich und hielt dem Herrn die Zügel hin. Das Ziehen im Herz versuchte sehr hartnäckig, sich bemerkbar zu machen. Dieser Mann würde jetzt AUSREITEN! Frei sein, der Wind würde ihm ins Gesicht blasen, sein Herz würde leicht werden.

      Veit versuchte verzweifelt, seinen innerlichen Aufruhr im Zaum zu halten. Er musste klein bleiben, unauffällig. Auf gar keinen Fall durfte der Herr Heinrich merken, dass es ihm weh tat, und dass er ihm den Ausritt nicht gönnte. Auf gar keinen Fall durfte er jetzt in seine Fantasiewelt abtauchen, der Herr hätte das sicher bemerkt. Veit zwang sich, im Jetzt zu bleiben und die Angst niederzukämpfen.

      Heinrich, der nichts zu tun hatte und herumstand, sah Veit beim Satteln zu. Er sah, wie sich sein Brustkorb zitternd hob und senkte. Irgendetwas war los mit ihm. Heinrich merkte, dass er sein Gut mit den ganzen stillen Anklagen nicht recht viel länger ertragen konnte. Es war, als wenn er hier ersticken würde. Er musste raus.

      Ob Veit wohl schon mal rausgekommen war in den letzten Jahren? Er konnte nicht einfach gehen, wenn es ihm zu viel wurde. Heinrich seufzte. Diese blöden Gedanken! Er wollte nicht darüber nachdenken, wie es seinen Knechten ging. Aber er konnte es nicht abstellen. Er hatte das Mitgefühl in sein Herz gelassen, und das hatte ihn verändert, ohne dass er es geplant oder gewollte hatte.

      Der Verwalter hatte um Gnade gebeten für Veit. Was war denn eigentlich so Großes dran, ihm Gnade zu gewähren? Ja, da war die alte Sache mit der Eifersucht. Früher war Veit immer der Beste gewesen. Der beste Reiter, der Wortgewandteste beim Spielen. Heinrich kramte ein paar Erinnerungsfetzen heraus. Sie hatten zusammen gespielt als Kinder. Immer hatte Veit den jüngeren Buben dominiert, und es war ihm völlig egal gewesen, dass sein Spielkamerad im Rang deutlich über ihm gestanden war.

      Heinrich atmete tief durch. Das war Kinderkram, das musste er jetzt endlich mal gut sein lassen. Er konnte den Groll nicht ewig herumtragen. Umso mehr, als dass die gebrochene und untertänige Gestalt vor ihm nicht recht viel mit dem strahlenden Veit seiner Kindertage gemeinsam hatte. Er griff nach dem Zügel seines Pferdes. Veit hielt wortlos den Steigbügel und den Sattel fest, damit Heinrich aufsteigen konnte. Sein Bein war so aufgestellt, damit der Herr es als Treppe nutzen konnte. Er tat, was er konnte, damit der Herr Heinrich so schnell wie möglich wieder verschwand.

      Heinrich stieg nicht auf, sondern schaute nachdenklich seinen Knecht an. Er fällte eine Entscheidung. „Komm mit“ sagte er und lief mit dem Pferd am Zügel los. Veit holte tief Luft und gehorchte. Er merkte, wie die Kälte anbrandete und in ihm hochlaufen wollte. Noch kämpfte er verbissen dagegen an. Nur nicht denken, nur nicht fühlen! Er verbot sich selbst, irgendeine Vermutung anzustellen, was der Herr von ihm wollte. Mit ganzer Kraft kämpfte er gegen die Angst, die sich in ihm ausbreiten wollte. Veit bemerkte die Übelkeit, die in ihm aufstieg und wusste, dass er nicht mehr lange die Panik niederhalten konnte.

      Heinrich hielt an und Veit lief gegen den Pferdehintern. Warum blieben sie stehen? Sie waren an der Schmiede. Brauchte das Pferd frische Hufeisen? Veit dachte nach. Nein, die Hufeisen hatte er gestern erst kontrolliert, da passte alles. Was zum ….?

      Der Schmied kam heraus und senkte respektvoll den Kopf. Heinrich wies auf Veit und fragte den Schmied: „Kannst Du die Fußketten wegmachen?“

      Veits Kopf schnellte hoch. Was?!? Der Schmied schien ähnlich erstaunt. Er sah Heinrich kurz an, um zu prüfen, ob er es ernst meinte. Er fand keinen Hinweis, dass das Ganze ein Scherz war, und so antwortete er: „Ja, Herr. Das ist keine Schwierigkeit.“ Heinrich war entschlossen. „Dann tu´s. Nimm die Fußketten weg.“

      Veit schwindelte. Was ging hier vor? Was wollte dieser Mann? Und was in Gottes Namen würde er dafür tun müssen?

      Der Herr wies ihn mit der Hand zum Schmied, und benommen ging Veit näher und stellte erst den einen und dann den anderen Fuß auf den Schemel, wo der Schmied sein Werk verrichtete. Die Fesseln fielen. So schnell, und so unkompliziert, so einfach. So leicht wäre das also all die langen Jahre gewesen.

      Zehn Jahre Elend fielen einfach so herunter, wie wenn das je so einfach sein könnte. Veit war fassungslos. Er hatte sich früher oft ausgemalt, was er tun, wie er jubeln

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